Euro-Dilettantismus – Erkenntnisse

Publiziert am 11. März 2018 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Hier geht es um die Euro-Zone, nicht um die EU oder gar um ganz Europa. Die Euro-Story ist eine Story von gut gewollt und schlecht gekonnt, eine Story von hochherzigem Dilettantismus. Jetzt bekommt die Klage noch eine Strophe drangehängt..

Los ging es mit der Aufnahme von Griechenland, das gegen die Bedenken von Eurostat aufgenommen wurde, das sogar seine Bilanzen schönen ließ, um die Aufnahme zu erreichen. Hätten die Griechen über ein funktionierendes Orakel verfügt, das ihnen die Zukunft weissagen konnte, dann hätten sie die Finger vom Euro gelassen (Bild: Noupload, pixabay).

Vor 20 Jahren hatten Griechenland und die Türkei vergleichbare Wirtschaftsdaten. Dann erlebte die Türkei ganz unsubventioniert ein Wirtschaftswunder (bis der Obermufti Erdogan überkandidelte). Und Griechenland? Das liegt seit Jahren darnieder, trotz Milliardensubventionen und der teuersten Konkurshilfe in Friedenszeiten (300 Mrd. gegenüber 100 Mrd. bei der Nummer 2, Argentinien).

Um mit dermaßen viel Geld ein dermaßen schlechtes Abschneiden wie in Griechenland herbeizuführen, braucht es schon die höheren Weihen des Dilettantismus'. Das Geld einfach verbrennen und Griechenland mit der Drachme weitermachen lassen, wäre besser gewesen und billiger gekommen. Um das nachzuvollziehen, muss man sich den Werdegang anschauen.

Griechenlandrettung

Gleich am Anfang kam ein Missverständnis: Der Markt unterstellte allen Euro-Staaten gleichermaßen Solidität. Griechenland wurde Kredite und Anleihen zu Euro-Zinsen los, deutsches Niveau statt griechisches – 10% zuwenig, und das wurde von Bevölkerung und Regierung auch so aufgefasst: Wer jetzt nix pumpt, verschenkt 10%.

Als die Märkte aufwachten und angemessene Zinsen für die griechischen Staatsanleihen verlangten, war der Staat schon überschuldet. Die Bevölkerung gab die neugekauften Autos zurück, zog aus den zwangsversteigerten Häusern aus, schloss die überteuerten Geschäfte. Die Regierung stand vor dem Konkurs.

Wer das Geld nachgeschmissen kriegt, wirtschaftet schlecht damit. Nur wenn das Geld den richtigen, unmanipulierten Marktpreis hat, wird es sparsam und nutzbringend investiert. Falls jemand diese Binse noch nicht kannte, hätte er sie vor 15 Jahren lernen können. Aber die Euro-Politik tut das nicht. Sie lernt nicht. Sie ist die ganze Zeit davon geprägt, dass die Steuerungsfunktion des Geldes kaputtmanipuliert wird.

Griechenland begab Staatsanleihen, die Banken kauften sie. Wenn Griechenland die Anleihen nicht zurückzahlen kann, weil das Geld nicht investiert, sondern irgendwo verschwendet oder abgegriffen wurde, geht das Land pleite. Dann gehen die Banken auch konkurs – und das darf nicht sein, weil, das sind ja Banken in Frankreich und Deutschland. Also muss gerettet werden. Es heißt Griechenland-Rettung, ist aber eine Bankenrettung.

Dass es fürs Retten kein demokratisches Mandat gibt, ist der Euro-Politik egal. Es gab ja eh kein demokratisches Mandat für den Euro. Bei uns durfte nicht abgestimmt werden, und wo abgestimmt wurde, ging es normalerweise gegen den Euro aus. Und das trotz des No-bail-out-Versprechens, dass keiner die Schulden vom anderen übernehmen würde.

Die gesetzliche Grundlage des No-bail-out hat man schlicht und einfach ignoriert, als die Rettungsschirme eingerichtet wurden. Mit großem politischen Getöse schuf man die Rettungsfonds EFSF und ESM, die zusammen mehr als 300 Mrd. nach Griechenland pumpten, von denen 95% in den Banken verschwanden. Die Banken durften die Zinsen kassieren für die Risiken, die nun die Rettungsfonds tragen.

Showkredite

In Wirklichkeit ist der Risikofall längst eingetreten. Die Griechenandkredite sind Showkredite, die von weitem wie seriöse Kredite aussehen, aber nichts dergleichen sind. Und das kam so: Anfangs wollten die Kreditgeber noch nach ökonomischen Methoden vorgehen, bis sie merkten, dass Griechenland dann neue Kredite aufnehmen musste, um die Zinsen der alten zu bezahlen. So ein Schneeballsystem wollte man denn doch nicht einrichten. Pleite gehen durfte Griechenland qua Euro-Dogmatik aber auch nicht (bezeichnenderweise kennt die Eurozone nicht mal eine Ausstiegsklausel), deshalb gestaltete man die Konkursverschleppung so, dass es von weitem wie eine Rettung aussah.

Zunächst wurden die Zinsen auf Null gesetzt, und später auf 1 symbolisches Prozent (zu Zeiten, wo die Euro-Politik noch nicht den Nullzins erzwungen hatte). Eine Tilgung wurde auch beschlossen: Nach 30 und mehr Jahren sollte Griechenland alles auf einmal zurückzahlen. Also Showkredite ohne Verzinsung und mit theoretischer Tilgung – noch windiger als bloß unseriös. Um das Maß vollzumachen, wurde als Galionsfigur der IWF   dazugeholt, der bekanntermaßen ökonomische Gesetze befolgt und den Anschein davon auch bei der Euro-Rettung verbreiten sollte. Das lief dann so, dass die IWF-Kredite tatsächlich verzinst und zurückgezahlt wurden, aber aus Mitteln der Euro-Rettungsschirme – glatter Betrug.

Heutzutage gilt es als positive Nachricht, wenn Griechenland keine neuen Schulden macht, sondern eine positive Bilanz vorzeigt. Allerdings wird bei der "positiven" Bilanz die Kreditlast ignoriert, als ob die Kredite schon abgeschrieben wären. Das bringt einen aktuellen Touch ins Geschehen, denn bisher wurde in Sachen Griechenlandkredite die stramme Lüge vertreten, "die werden voll zurückgezahlt". Die neue GroKo könnte sich von dieser Illusion des Ex-Finanzministers Schäuble trennen, der ja die Rettungsgelder partout als Kredite und nicht als Geschenke interpretieren wollte. Ein neuer Finanzminister Scholz kann das ohne allzu großen Gesichtsverlust durchziehen.

Chinagate

Inzwischen hat Griechenland einen bemerkenswerten modus vivendi gefunden, indem es aus seiner Euro-Mitgliedschaft – nachdem der Euro das Land praktisch ruiniert hat – doch noch einen Nutzen zieht. Das Land hat sich von China kaufen lassen, und nun tritt Griechenland als Fürsprecher für China innerhalb der EU auf (wenn es aus dem Euro ausgetreten wäre, hätte es auch in der EU sein Gewicht verloren). Mit seiner Stimme verhindert Griechenland nun EU-Verurteilungen der chinesischen Politik (Aggression im südchinesischen Meer, Menschenrechtsverletzungen, Überprüfung chinesischer Geschäftspraktiken in Europa, siehe wb-Link Chinagate).
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Dabei hat sich das Land billig kaufen lassen, für keine 10% von dem, was die Rettungsschirme ins Land gepumpt haben. Aber die Chinesen sind Freunde, und sie verlangen nicht das Verscherbeln des Tafelsilbers wie die Euro-Retter. Die Privatisierung von allem, was sich zu Geld machen lässt, ging sowieso nur im einstelligen Prozentbereich voran, und sie wurde durch viele Bürgerproteste aufgehalten. Darum ging ja ein großer Teil des Streits, ob nun genug "Reformen" gemacht waren, um die nächste Tranche des Rettungsgelds zu bewilligen.

Die Eurozone rettete Griechenland vor Problemen, die es ohne den Euro gar nicht gehabt hätte, und die Rettungsgelder gingen dann gar nicht nach Griechenand, sondern an die Banken.

Spekulation

Wer das Ganze für maximalen Dilettantismus hält, der hat einen wesentlichen Aspekt noch nicht im Kalkül. Es ist schließlich dereguliert worden, und das führte u.a. zu enormem Missbrauch auf den Kreditmärkten, z.B. bei konzertierten Währungsspekulationen und Spekulationen gegen Euro-Staaten. Unterhalb vom Radar der normalen Beobachter toben sich die Zocker aus. Sie müssen nur den Trend setzen, indem sie z.B. CDS für griechische Staatspapiere kaufen, also Versicherungen gegen deren Ausfall. Mit Leerverkäufen von solchen Staatspapieren geht es auch: Der Kurs sinkt, die anderen Zocker springen auf. Dadurch sinkt der Kurs noch mehr, bis auch seriöse Anleger aussteigen, weil sie ihre Verluste begrenzen müssen. Und dank Deregulierung dürfen die Hedgefonds CDS für Papiere kaufen, die sie gar nicht haben, und sie dürfen Papiere leer verkaufen, die sie genausowenig haben (siehe unten Medien-Link).

Die griechische Konkursverschleppung bot den Hedgefonds viele Möglichkeiten, die Eurozone für ihre Marktmanipulationen zu bestrafen. Immer wenn Kurse manipuliert werden, können die Hedgefonds darauf spekulieren, dass die Manipulation zusammenbricht. Z.B. als die Ratingagenturen die griechischen Staatsanleihen auf Schrott-Niveau herunterstuften, geschah das auf Druck der Märkte; und die Spekulanten profitierten, die das erzwangen. Damals war die Alternative Griechenland-Konkurs und -Restrukturierung oder Griechenland-Rettung, und man hat die falsche Wahl getroffen.

Kann gut sein, dass die Politik durch die Spekulation motiviert wurde, noch mehr zu manipulieren und alles nach Methode politischer Willkür statt ökonomischem Gesetz zu regeln. Es ist ja auch ärgerlich, wenn die Euro-Finanzpolitik zuschauen muss, wie die Euros zigmilliardenweise von den Zockern abgesaugt werden. Aber die folgende Groß-Manipulation namens QE oder Nullzinspolitik verdankt sich noch anderen Faktoren. Damit befasst sich der nächste Bericht.

Medien-Link:
Das Ende der Gier (Ulrich Mössner 2011, oekom-Verlag): Wir Bürger müssen die Suppe auslöffeln, die uns die deregulierte Finanzwirtschaft eingebrockt hat. "Die zentralen Versprechungen des Neoliberalismus haben sich als Luftnummern  erwiesen!