Von langer Hand geplant
Tatsächlich ist die Entscheidung für die frühe Wahl, obwohl sie so
eilig erscheint, von langer Hand geplant: Zunächst hatte Erdoğan seine
„Organisation gesäubert“ und die Konkurrenz innerhalb der AKP beseitigt.
Feinde außerhalb der Partei ließ er ins Gefängnis werfen. Er hat seine
Kandidatur gefestigt, ein Bündnis gegründet und sich die Unterstützung
der rechtsnationalistischen MHP gesichert. Mit einem neuen Wahlgesetz
hat er zudem „die Urnen in Sicherheit“ gebracht.
Sprich: er hat die Tricks in der Abstimmungskabine legalisiert. Und
damit nicht genug: er hat auch noch den Ausnahmezustand verlängert, die
Opposition kriminalisiert, das Militär in Syrien einmarschieren lassen,
Afrin erobert und geht nun als Kriegs-Führer und Präsident in die
Wahlen. Erdoğans Kampagne hat schon vor langer Zeit begonnen.
Und auf den frühen Beginn seiner Kampagne war der türkische Präsident
angewiesen. Denn Erdoğan muss die Wahlen in der ersten Runde gewinnen.
In einer Stichwahl könnte es sein, dass sich die Opposition gegen
Erdoğan zusammenschließt – und den Sieg davon trägt. Die Umfragen zeigen
weiter eine tiefe Spaltung der Gesellschaft an. Selbst die Stimmen der
rechtsnationalen MHP reichen noch nicht aus, um Erdoğan sicher zum Sieg
zu führen.
Die vorgezogene Wahl bringt nun vor allem die Opposition in eine
schwierige Lage. In wenigen Wochen muss sie sich auf einen Kandidaten
einigen, hinter den sich alle geschlossen stellen können – und eine
Kampagne durchziehen, die sie nicht vorbereiten konnte. Dabei wäre nur
ein Bündnis der Opposition in der Lage, die Wahlen gegen Erdoğan zu
entscheiden. Wenn die Opposition zersplittert in den Wahlkampf zieht,
kann sie untergehen. Und hier liegt die Gefahr. Noch gibt es diesen
Kandidaten nicht – und jeder Tag, der vergeht, spielt Erdoğan in die
Hände.
Die vorgezogenen Wahlen waren nicht Ausdruck von Panik, sondern von Strategie.
* Can Dündar ist ein türkischer Journalist, Dokumentarfilmer und Buchautor. Der auch als TV-Moderator arbeitende Kolumnist und ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet wurde 2015 der Spionage angeklagt und festgenommen; die Staatsanwaltschaft forderte im Cumhuriyet-Prozess eine lebenslange Haft. Am 6. Mai 2016 wurde Dündar der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen für schuldig befunden. Er wurde zu fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Dündar legte Revision ein, das Urteil ist nicht rechtskräftig. (wikipedia)