Ehrenwache
vor dem Bandera-Denkmal an einem Feiertag in Lwiw - Quelle: Sputnik
Die
Stadt Leipzig und die Bundesregierung geben Geld für die Modernisierung
ukrainischer Straßen aus. Die Projekte laufen unter der Chiffre "Entwicklungshilfe".
Doch was, wenn die Straßenschilder Nazi-Kollaborateure und Massenmörder
ehren?
Es gehört zu den Grundfesten der derzeitigen ukrainischen
Geschichtspolitik, dass der Nazi-Kollaborateure und Terroristenführer aus
den Zeiten des Zweiten Weltkrieges nun als Freiheitshelden mit allen Staatsehren
gedacht wird. Anstelle der Namen der Befreier der Ukraine vom Nazi-Joch werden
im Straßenbild nun die Namen ihrer Feinde von damals verewigt. Die Bundesregierung,
die das Regime in Kiew seit dem Maidan-Umsturz 2014 ohne Wenn und Aber unterstützt,
schaut da gerne weg. Aber ein Projekt im westukrainischen Lwiw lässt das
deutsche Engagement in neuem Licht erscheinen.
Im Dezember 2018 hat die
Stadtverwaltung Lwiw (russ. Lwow, deutsch Lemberg – Anm. der Redaktion) eine
Präsentation
ins Netz gestellt, die die Umgestaltung einer der Hauptstraßen im Zentrum
der Stadt dokumentiert. "Straße für alle" soll das Projekt
heißen, das vorsieht, die Straße verkehrstauglicher und attraktiver
für Passanten zu machen. Die Straße soll nach Wunsch der zahlreichen
gesellschaftlichen Akteure nach "europäischen Standards" umgebaut
werden, betonte die Stadtverwaltung. Seit Anfang der 1990er-Jahre trägt
die Straße den Namen des Anführers der Organisation der Ukrainischen
Nationalisten (OUN) Stepan Bandera (zuvor hieß sie "Straße
des Friedens"), sie kreuzt sich mit der Straße der Ukrainischen Aufstandsarmee
(UPA) und führt an einem Bandera-Denkmal vorbei. Als Unterstützer
des Projekts sind die Stadt Leipzig und das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung angegeben.
Die so ans Licht gekommene
deutsche Beteiligung an dem Projekt weckte das Interesse des Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten
Jörg Tauss und des europapolitischen Sprechers der Linksfraktion Andrej
Hunko. Die beiden stellten Anfragen an die jeweiligen Behörden. Die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth bestätigte
die Beteiligung der Bundesregierung. Im Auftrag des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sei das Projekt mit einem Zuschuss
von 72.000 Euro über "Engagement Global/Servicestelle Kommunen in
der Einen Welt" gefördert worden.
Im Rahmen der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit sei eine Integrierte Fachkraft – vermittelt durch
das Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) – am Stadtinstitut
der Stadt Lwiw tätig. Diese sei unter anderem auch für dieses Projekt
beratend tätig. Im Rahmen des abgeschlossenen Projektes der Technischen
Zusammenarbeit "Kommunalentwicklung und Altstadtsanierung in Lwiw"
fänden gelegentlich gemeinsame Veranstaltungen, vor allem zum Thema Bürgerbeteiligung,
statt.
Die Entscheidung fiel auf die Stepan-Bandera-Straße,
da hier aufgrund erheblicher verkehrstechnischer und städtebaulicher Mängel
dringender Handlungsbedarf gegeben war. Die Auswahl der Straße erfolgte
erst nach Projektbeginn im Oktober und November 2015 durch eine Arbeitsgruppe
der Stadtverwaltung Lwiw. Dabei wurden Vorschläge zivilgesellschaftlicher
Akteure einbezogen. Vertreter der deutschen Entwicklungszusammenarbeit waren
an der Auswahl der Straße nicht beteiligt", so Flaschenbach.
Tauss
wunderte sich darüber, dass Leipzig nicht als offizieller Partner der Stadt
Lwiw am Ausbau der dortigen Straßen mitwirkte. Auf seine kritische Nachfrage
betonte das Referat Kommunikation des Leipziger Oberbürgermeisters Burkhard
Jung (SPD), dass sich die Stadt auf die Rolle des "Ratgebers und Beraters"
beschränkt habe.
Die "unterschiedliche geschichtliche Bewertung
der Person Stepan Bandera aus russischer, ukrainischer oder gegebenenfalls deutscher
Sicht" sei für Leipzig allerdings auch kein Beratungsgegenstand bei
diesem sogenannten "Projekt Straße für alle" gewesen. Die
Stadt Leipzig will in der dortigen "Bürgerbeteiligung" zur Bandera-Straße
sogar eine "wesentliche Qualität demokratisch verfasster Gesellschaften"
erkennen, zitierte Jörg Tauss in seinem Artikel
bei Telepolis aus der Stellungnahme des Oberbürgermeisters.
Was
die Kooperation mit der Ukraine bisher kostete
Sind die 72.000 Euro,
die Bund und Kommunen für die "Europäisierung" der Bandera-Straße
ausgab, eigentlich ein hoher Betrag? Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf die Kleine Anfrage der Linkspartei mitteilte, wurde im Jahr 2018 die kommunale
Kooperation mit Russland aus den Mitteln des Bundes ebenfalls mit 72.000 Euro
bezuschusst. Die kommunale Zusammenarbeit mit der Ukraine war dem Bund im gleichen
Jahr 1.135.197 Euro wert. Diese Zahlen sind umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt,
dass es viel mehr Städtepartnerschaften deutscher Städte mit russischen
Städten gibt als mit ukrainischen Gemeinden.
Die Diskrepanz in der
Förderung deutsch-ukrainischer im Vergleich zu deutsch-russischer kommunaler
Zusammenarbeit begründete die Bundesregierung mit "entwicklungspolitischer
Zusammenarbeit": Die Bundesregierung erklärt den unterschiedlichen
Umfang der Förderung der kommunalen Zusammenarbeit mit Russland und der
Ukraine dadurch, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen
und ukrainischen Kommunen zusätzlich im Rahmen der Entwicklungspolitik
der Bundesregierung unterstützt wird. Russland ist kein Partnerland der
deutschen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Die kommunalen Behörden
scheinen von der Partnerschaft mit ukrainischen Städten in der Tat beflügelt
zu sein. Auch wenn dort nicht nur Straßen nach Nazi-Kollaborateuren
benannt, sondern auch Angehörige der Einheiten der Waffen-SS auf den Friedhöfen
mit Denkmälern geehrt werden. Statt Kritik an der "Banderisierung"
dieser Städte äußerte beispielsweise der Oberbürgermeister
der Stadt Freiburg – der eigentlichen Partnerstadt von Lwiw – Martin Horn den
Wunsch, "die Partnerschaft weiter zu stärken und zu festigen":
Im nächsten Jahr soll das 30. Jubiläum der Städtepartnerschaft
nach Angaben der Stadt kräftig gefeiert werden.
Unbestritten:
Bandera war ein Kriegsverbrecher
Als Schlupfloch für viele Bandera-Versteher
in der Ukraine dient das Argument, dass Stepan Bandera und seine Verbände
angeblich auch gegen Hitler gekämpft hätten. Das Militärgeschichtliche
Forschungsamt in Potsdam und die Universität der Bundeswehr in München
konnten jedoch auf Anfragen der russischen Historiker keine Erkenntnisse über
Verluste vorlegen, die die Ukrainische Aufstandsarmee deutschen Truppen zugefügt
haben soll. Ein zweites Argument ist das Fehlen eines Beschlusses des Nürnberger
Tribunals in Bezug auf die Person Stepan Bandera sowie Truppen, deren Organisator
und Ideologe er war. Bandera war langjähriger Agent des deutschen Militärgeheimdienstes
"Abwehr", und dieser wurde vom als verbrecherisch eingestuften Reichssicherheitshauptamt
kontrolliert.
Aber das wichtigste ist, dass die vielfach dokumentierten
Gräueltaten der ukrainischen Nationalisten klar der Definition von Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsprechen, die im Artikel
6 des Statuts des Nürnberger Militärgerichts definiert
sind. "Die ukrainischen Nationalhelden waren für Juden ein Grauen",
sagte der israelishe Botschafter in der Ukraine Ioel Lion in einem Radiointerview.
Sie seien "direkt an fürchterlichen antisemitischen Verbrechen beteiligt"
gewesen. Für den aus Lwiw stammenden Kulturwissenschaftler Prof. Roman
Dubasevych von der Universität Greifswald ist die Vorstellung über
Bandera als Freiheitshelden ein Mythos, "der sofort zerfällt, wenn
man ihn nur berührt, aber viele glauben ihn bis heute", wie er der
Zeitung Der Freitag sagte.
Unter
der Leitung von Bandera hat die Organisation Ukrainischer Nationalisten während
des Zweiten Weltkriegs mehrere Verbrechen an der polnischen, jüdischen
und ukrainischen Zivilbevölkerung begangen. (…) Die Bundesregierung muss
sowohl der Regierung der Ukraine als auch ihrer politischen Elite klarmachen,
dass Nationalismus und Revisionismus nicht hinnehmbar sind", machte der
Abgeordnete Andrej Hunko im RT-Gespräch klar.