Österreich: Zwischen Europa und Russland

Bernhard Schwarz am 18.3.2019 auf https://de.sputniknews.com/

Die jüngste Reise der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Alpenrepublik seit Jahrzehnten ausgezeichnete Verbindungen nach Moskau pflegt. Doch warum passt es eigentlich so gut zwischen Moskau und Wien?

Die Außenminister Karin Kneissl und Sergej Lawrow wirkten fast wie zwei alte Freunde, als sie lachend das Besprechungszimmer im Kreml verließen und anschließend genüsslich eine Zigarette rauchten. Kneissl erklärte, dass sie nur rauche wenn sie sich "wohl und entspannt" fühle. "Das bringt die Menschen zusammen", analysierte Kneissl nüchtern. Auch Wladimir Putin empfing Kneissl – nach dem eineinhalbstündigen Treffen sprach die österreichische Außenministerin von einem "wirklichen Austausch". Töne dieser Art vernimmt man kaum, wenn ein deutscher Außenminister nach Moskau reist, wie der letzte Besuch von Heiko Maas bewiesen hat.

Historische Freundschaft zwischen Moskau und Wien

Die Gründe dafür liegen nicht nur in der österreichischen Gemütlichkeit und Kompromissfähigkeit, die den Russen oft näher sind als die deutsche Gründlichkeit, sondern vor allem in der Geschichte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Wien in vier Zonen geteilt, wobei der innere Bezirk gemeinsam von den Großmächten verwaltet wurde. Der österreichische Historiker Stefan Karner ist überzeugt, dass Österreich gerade in dieser Zeit zum "Mittler und Brückenbauer" zwischen Ost und West wurde.

So fand der erste Supergipfel nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Kennedy und Chruschtschow in Wien statt. Karner weist auch auf "heikle Situationen in unmittelbarer Nachbarschaft, wie Ungarn 1956, Prag 1968" hin, aber trotzdem war Wien stets ein "Fenster nach Europa" für Moskau. "Vergessen Sie nicht, Wien liegt östlicher als Prag. Von Wien bis zur ukrainischen Grenze ist es näher als nach Bregenz auf den Bodensee", fährt Karner fort.

Erste Gaslieferungen 1968

Österreich erhielt 1968 als erstes Land Gaslieferungen aus der Sowjetunion. Der Vertrag über die Gaslieferverträge wurde damals für 50 Jahre abgeschlossen und 2018 verlängert. In diesen 50 Jahren sind fast 200 Milliarden Kubikmeter über das Verteilerzentrum Baumgarten nach  Italien, Slowenien, Kroatien, Deutschland, Frankreich und Ungarn geflossen. OMV-Chef Rainer Seele lobt die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit Gazprom: "In den letzten 50 Jahren haben wir verlässlich Gaslieferungen aus Russland erhalten und konnten unsere Industrie- und Haushaltskunden immer mit Erdgas hoher Qualität versorgen".

Neben der 2722 Kilometer langen Pipeline aus Ostsibirien soll in Zukunft auch Gas über die geplante Pipeline Nord Stream 2 bis Baumgarten fließen. An der Erweiterung der direkten Pipeline zwischen Deutschland und Russland beteiligt sich neben anderen europäischen Ölkonzernen sowie der russischen Gazprom auch die österreichische OMV. In deutschen und finnischen Hoheitsgewässern wurden bereits 200 Kilometer Röhren verlegt, im Winter soll bereits das erste Gas nach Deutschland fließen. Die Vereinigten Staaten versuchen, den Bau von Nord Stream mit allen Mitteln zu verhindern, da sie die Übergehung der Transitländer Polen und Ukraine strikt ablehnt. Außerdem sind die USA daran interessiert ihr eigenes Flüssiggas nach Europa zu verkaufen, obwohl russisches Erdgas weitaus günstiger ist.

In diesem Zusammenhang sollten in der EU neue Gasrichtlinien beschlossen werden, die weitreichend Auswirkungen auf Nord Stream 2 hätten. Österreich stand diesen neuen Richtlinien stets kritisch gegenüber und konnte den Beschluss während seines Ratsvorsitzes 2018 verhindern. Polen kritisierte diese Entscheidung scharf und warf Österreich Eigeninteressen aufgrund der Beteiligung der OMV vor. Österreich ließ sich dadurch nicht beeindrucken und forderte Polen auf, die vom Ratsvorsitz "vorgeschlagene Diskussionsstruktur zu respektieren".

Persönliche Beziehungen

Bereits zwischen Bruno Kreisky und Nikita Chruschtschow soll es ein pragmatisches und nahezu freundschaftliches Verhältnis gegeben haben. So beschwerte sich der Oberste Sowjet einst beim österreichischen Kanzler, dass er "der Verteidiger des Westens" sei. Kreisky erwiderte, er "verteidige die Neutralität. Ich balanciere." Und er berichtete: "Die westlichen Länder beschweren sich, dass wir der Sowjetunion in zu hohem Maße zugeneigt sind". Allseits bekannt ist auch, dass Wladimir Putin große Sympathie für Österreich hegt.

Neben zahlreichen offiziellen Besuchen hat Putin auch auf der Hochzeit der österreichischen Außenministerin getanzt und während der Olympischen Spiele in Sotschi besuchte er das Österreicher-Haus. Neben seinen langjährigen österreichischen Freunden Michael Seper und Karl Schranz pflegt der russische Präsident auch enge Beziehungen zur österreichischen Russlandbeauftragten Margot Klestil. Die ehemalige Botschafterin in Moskau hatte Putin in ihrer Rolle als Österreichs "First Lady" kennengelernt, als zweite Frau von Bundespräsident Thomas Klestil. Als "Zeichen einer lebendigen Freundschaft" beschenkte Putin das Ehepaar 2004 mit zwei Labradorwelpen, Olga und Orchi, Nachkommen der Hündin Konny. Als Thomas Klestil wenig später starb, erwies ihm Putin in Wien die letzte Ehre.

Gegenseitiges Vertrauen

Auch die österreichische Wirtschaft ist eng mit Russland verbunden. So sind über 700 österreichische Firmen in Russland aktiv. Im Vorjahr wurden knapp 7 Milliarden Euro in Russland investiert. Firmen wie Strabag oder die Raiffeisenbank sind schon so etwas wie Hausmarken in Russland. Mit Siegfried Wolf als Aufsichtsratsvorsitzender von Sberbank Europe und Russian Machines sowie Wolfgang Schüssel als Aufsichtsrat des größten russischen Mobilfunkanbieters MTS sowie Lukoil sind Toppositionen der russischen Industrie mit Österreichern besetzt.

Auch die europäischen Niederlassungen von Sberbank und Lukoil sitzen in Wien, was von großem beiderseitigem Vertrauen zeugt. Österreich setzt sich im Gegenzug stets für den Dialog mit Russland ein und versucht auch andere EU-Ländern davon zu überzeugen. Nach dem Tod der Skripals war Österreich einer der wenigen EU-Staaten, der keine russischen Diplomaten auswies. "Gegenüber Österreich gibt es jetzt nicht das Gefühl von Tauwetter", scherzte unlängst Dmitri Ljubinski, Russlands Botschafter in Wien, "weil es in unserem Verhältnis nie starken Frost gab. Die Beziehungen zur EU sind kompliziert. Wien aber bemüht sich um eine konstruktive Politik."

Es bleibt zu hoffen, dass die Beziehungen zwischen Österreich und Russland weiterhin so gut bleiben und andere EU-Staaten dem Beispiel folgen. Denn ohne Russland kann es niemals Frieden in Europa geben.