"Pro perfidis Atheis"

Universitätsprofessor Gerhard Oberkofler schrieb den folgenden Text am 31.3.2019 anlässlich einer katholischen Attacke auf die atheistische Wissenschaftlerin Renée Schröder. Diese hatte zum Weltfrauentag am 8.3. in der "Tiroler Tageszeitung" einen Artikel mit dem Titel "Gott ist eine Erfindung der Männer" veröffentlicht, worauf der polnisch-österreichische katholische Theologe Józef Niewiadomski in derselben Zeitung am 13.3. eine christkatholische Zurechtweisung unter dem Titel "Gegen die Diffamierung der Religion und atheistische Scheuklappen" publizierte.  

Hier die Antwort von Prof. Oberkofler:

"Gerade die katholische Kirche ist zu einer Zielscheibe geworden, auf die man inzwischen mit den Waffen vom allerschlimmsten Kaliber feuern kann. Dass damit humanistische Grundsätze jeder aufgeklärten Kultur, die von der Achtung der Andersdenkenden, Andersgläubigen und Nichtgläubigen redet, mit Füßen getreten werden, sehen die militanten Atheisten nicht. Als Wissenschaftler und Theologe kann ich letztlich nur noch beten, dass auch die Atheisten lernen, rational und niveauvoll zu argumentieren". Dieser Text findet sich nicht als Folder im Vorraum einer katholischen Wallfahrtskirche, sondern seit einigen Tagen auf der Website der Universität Innsbruck (© Universität Innsbruck). Anstoß zu diesem Lamento war die öffentlich diskutierte Positionierung der international angesehenen Naturwissenschaftlerin Renée Schröder als Atheistin.

Was bedeutet es, wenn ein an einer österreichischen Universität lehrender katholischer Universitätsprofessor ein "Gebet" für eine atheistische Naturwissenschaftlerin wie Renée Schröder angemessen hält? Es ist das nicht nur eine Parallele zur Beschuldigung von Albert Einstein, er habe mit seinen nebulösen Ausführungen über Zeit und Raum die christliche Lebensgrundlage zerstören wollen. Insbesondere ältere Katholiken werden sich jener Einzelgebete erinnern, die an ihren Gott als Fürbitte für die perfiden Juden gerichtet sind ("Oremus et pro perfidis Judaeis"). Schrift- und Bibelexegeten haben sich nach dem Massenmord der deutschen Nazis an Juden intensiver mit den Definitionen "perfidi Judaei" und "judaica perfidia" befasst und sind zur Auffassung gelangt, dass diese Worte nicht so sehr die Bedeutung "treulos" als vielmehr "ungläubig" hätten. Das Gebet wurde auf Islamisten und "Heiden" erweitert. In der Gegenwart gelten für die offizielle römisch katholische Kirche Juden wie Islamisten nicht mehr als "Ungläubige", sondern werden von ihr als globale Kooperationspartner bei der Etablierung religiöser Illusionen im Dienste der imperialistischen Weltordnung eingebunden. Der offene Kreuzzug von repräsentativen Teilen des katholischen Lehrpersonals gilt heute dem Materialismus und jener aufklärerischen (Natur-)Wissenschaft, die mit Atheismus gleichgesetzt werden.

Der ungefragt getaufte Karl Marx hat sich selbst nicht als Atheisten bezeichnet, weil ihm der Atheismus eine Art von negativer Anerkennung Gottes war. Die Religion war ihm, das im Unterschied zu Renée Schröder, nicht ein erfolgreicher Priesterbetrug des Patriarchats, auch kein Opium für das Volk, sondern ein Opium des Volkes, von den Massen geschaffenes verkehrtes Weltbewusstsein, ein Seufzer der bedrängten Kreatur, ihr illusorisches Glück. Der ordentlich öffentliche Universitätsprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck Jozef Niewiadomski meint, Renée Schröder sei mit ihrem "militanten Atheismus" irgendwann "in die Schule marxistisch-leninistischer Aufklärung" geraten. Mit ihren naturwissenschaftlich untermauerten Urteilen über die Religion hätte im übrigen die Stalinistische Verfolgung der Religion angefangen! Um seinem Urteil den Charakter eines Dogmas zu geben, erinnert Niewiadomski an seinen Landsmann Johannes Paul II., der nicht nur einen Ernesto Cardenal öffentlich erniedrigt hat, weil dieser wegen seines Einsatzes für die Armen als Marxist gegolten hat. Cardenal ist von Papst Franziskus rehabilitiert worden.

In der auf den Vatikan einflussreichen Katholischen Kirche Deutschlands herrschte viele Jahrzehnte nach 1945 die Lehrmeinung, dass der "negative Atheist" überhaupt nichts von Gott wisse oder von ihm nur eine verzerrte Vorstellung habe. "Eine solche Geisteshaltung ist auf längere Zeit bei einem erwachsenen, geistig normalen Menschen nicht möglich, da die ganze Naturanlage auf Gott hin geordnet ist".  Der "positive Atheist" aber habe "seine tiefsten Anlagen verkümmern lassen und ist schwerlich von jeder Schuld freizusprechen". Jedenfalls die Wehrmacht Deutschlands war nicht "atheistisch", als sie in ihrem mörderischen Vernichtungskampf gegen die "gottlosen Bolschewiken" ihre Soldaten auf dem Koppelschloss die Inschrift "Gott mit uns" tragen hat lassen.

Ein Grundgebet der Katholiken "Das Vaterunser" beinhaltet die Zeile: "... erlöse uns von dem Bösen". Wie schaut die gewünschte Praxis dieser "Erlösung" bei solchen privilegierten Universitätsprofessoren der Theologie aus, die eine atheistische Naturwissenschaftlerin an den Pranger stellen und diffamieren, wenn sie diese schon nicht verbrennen lassen können? Dietrich Bonhoeffer hat 1944 geschrieben, dass seine Kirche unfähig gewesen sei, "Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein". Papst Franziskus ist jedenfalls bemüht, solche Gedanken einer "befreienden Theologie" in der katholischen Kirche in die Praxis überzuführen. Unüberwindbar scheinen dabei allerdings die von der korrumpierten Theologie gehaltenen Stellungen zu sein.

Anmerkung atheisten-info: Der Papst hat zwar hin und wieder als kapitalismuskritisch zu verstehende Sätze von sich gegeben, verändert hat er damit jedoch nichts: in den christlichen Parteien gilt grundtendenzlich immer noch Matthäus 25, 29: "Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat".