Coronavirus offenbart Perversion der Finanzmärkte

Wilfried Müller am 12.3.2020

Inzwischen macht man sich Gedanken darüber, was die neue Pandemie für den Kapitalbereich bedeutet. Im Revier des Wachstumszwangs wird jeder Stillstand als Gefährdung gesehen. Die Wirtschaft könne sich Produktionsunterbrechungen zum Schutz der Menschen gar nicht leisten, heißt es z.B. beim Freitag.

Das Coronavirus bedeutet demnach nichts Gutes für die Spekulanten. Stagnation der Wirtschaft oder gar allgemeine Krankheitspausen nehmen die Börsen übel. Denn die Finanzmärkte sind laut Freitag eine Spekulation auf kommendes Wachstum und zugleich ein Anspruch eben darauf. So kommt es, dass die Welt schon von zehn Billionen vernichteten Euros durch die Coronavirus-Krise sprechen kann.

Nichts Gutes für die Spekulanten?

Da muss man differenzieren. Nicht alle Anleger sind bei den Verlusten dabei. Die Junge Welt sieht die Stunde der Spekulanten gekommen. Am Kapitalmarkt kann ja gegen Italien gewettet werden, und die Risikoprämien für italienische Staatsanleihen dürften steigen. Das birgt perverse Gewinnchancen - aber zunächst noch ein paar Takte zu den Risiken. Die italienischen Staatsschulden liegen vor allem bei französischen und deutschen Banken - und natürlich bei der EZB.

Wo nun die Investoren Kapital aus Italien abziehen, beraten EU-Kommission und EZB-Chefin über Kreditbedingungen. Die Welt spricht sogar davon, dass die Märkte neue Garantien wollen. Aber wie soll das gehen?

Katastrophenmodus

Die Geldpolitik der EZB läuft ja schon lange im Katastrophenmodus, obwohl die ganze Zeit keine Katastrophe war. Nun, wo sich eine Katastrophe abzeichnet, hat die EZB kaum noch Optionen zur Krisenabwehr. Die ganzen QE-Maßnahmen (Geldschwemme PSPP, TLTRO III und jetzt LTRO) haben die Kreditvergabe im Euro-Raum nicht wie gewünscht angekurbelt. Sie haben bloß Italien in die Überschuldung getrieben, den Sparern die Altersversorgung beschädigt und qua Immobilienpreisinflation die Mieten hochgetrieben. Obwohl Null- und Negativzins so viel Schaden angerichtet haben, rechnet der Markt anscheinend mit einer weiteren Zinssenkung auf -0,6%.

Nicht nur die Finanzen der Banca d'Italia sind ruinös, die EZB-Geldschwemme hat laut Welt auch viele Investoren in illiquide Anlageklassen gelockt. Nun fordern Ökonomen anscheinend das ein, was die Euro-Finanzpolitik am besten kann, nämlich faule Risiken aufkaufen. Was die Rettungsschirme EFSF und ESM bei den so gut wie geplatzten griechischen Staatsanleihen taten, soll die EZB nun für riskante Aktien und Unternehmensanleihen tun, und für die italienischen Staatsanleihen erst recht. Dazu müsste der Kapitalschlüssel außer Kraft gesetzt werden, der die Proportionalität der Aufkäufe zwischen den Euro-Ländern wahrt, m.a.W. die EZB würde völlig zum Instrument der italienischen Staatsfinanzierung.

Die Frage ist bloß, wie das jemals beendet werden soll, denn es würde die italienische Schuldenlast immer größer machen. Dabei ist die italienische Staatsschuld so groß, dass Italien sie bei regulärer Verzinsung jetzt schon nicht mehr bezahlen könnte. De facto ist Italien also pleite, ganz ohne Coronavirus.

Insofern lässt sich die EZB-Geldschwemme auch mit einem Virus vergleichen, der in der Eurozone um sich greift. Überspitzt könnte man sagen, dass viele Finanzmarktakteure die EZB nur noch als Müllhalde für ihre verfehlten Investitionen ansehen, als europaweite bad bank, abgesichert vom europäischen Steuerzahler. Diese Ansichten sind den Kommentaren des Welt-Artikels entnommen, und es scheinen zutreffende Ansichten zu sein.

Aus derselben Richtung wird auch für den US-Finanzmarkt Skepsis geäußert. Nachdem die Fed wieder neue Dollars in den Markt pumpt (1 Billion), wüsste man, wie groß die Verzweiflung dort sein muss, und wie dicht das System vor dem Kollaps steht. Doch das Schöne ist - so ein weiterer Kommentar -, Schuld werde am Ende ein kleiner Virus sein und nicht etwa die jahrzehntelangen Verfehlungen von Finanzwirtschaft und -politik, sowie die horrende Überschuldung der Staaten.

Die italienische Finanzpolitik hat ja schon Anläufe unternommen, die EZB-Kredite nicht mehr zu tilgen. Zinsen kosten sie eh nicht mehr, warum also nicht komplett gratis? Der Sündenbock Coronavirus dürfte ein neues Argument in die Debatte bringen, und wenn das durchgesetzt wird, ist die EZB tatsächlich eine bad bank.

Konsequenz

Die Systemprobleme der Wachstumswirtschaft sind sicher nicht auf die Schnelle zu lösen, bloß weil das System vom Virus angegriffen wird, und weil nun die Börsenkurse zusammenbrechen. Auch die Systemprobleme von EZB und Euro widerstehen der Lösung mit einer Zähigkeit, die andernorts löblich wäre. Aber jetzt sollte wenigstens ein Schritt unternommen werden, um etwas mehr Gerechtigkeit zu schaffen:

Verbot von Spekulation auf Kursverfall durch Coronavirus!

Keine Leerverkäufe, keine Puts, keine Wetten gegen Staaten oder Unternehmen! Am Bankencrash 2008 haben smarte Spekulanten klotzig verdient, weil sie rechtzeitig gegen die Banken wetteten. Solche Profite sind pervers. Sie sollten bei der Virus-Pandemie verboten bzw. rückabgewickelt werden, weil sie das Elend der einen in Profite der anderen ummünzen. In so einem Verbot würde sich zeigen, dass die Finanzpolitik aus 2008 was gelernt hat. Hat sie aber nicht, wetten?