COVID-19: Wie geht es weiter?

Peter Ripota am 23.3.2020:

Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Indes, manchmal hilft ein Blick in die Vergangenheit.

Wie sind Politiker und Ärzte mit früheren Epidemien dieser Art umgegangen? Fangen wir an mit einer der übelsten modernen Seuchen der Neuzeit, der sogenannten Spanischen Grippe (1918-1920). Der Ursprung der Epidemie liegt wahrscheinlich im Mittleren Westen der USA, wo die Viren von Schweinen auf Menschen übersprangen. Zum ersten Mal tauchten die Krankheitssymptome in Haskell County (Kansas) auf. Der behandelnde Landarzt Loring Miner wandte sich an den "United States Public Health Service". Der reagierte so wie die USA bei der neuesten Epidemie: Er tat nichts.

Mit US-Truppentransportschiffen gelangte die Krankheit nach Frankreich und im Zuge des Ersten Weltkriegs in alle Länder der Welt. Begünstigt wurde die Ausbreitung der Seuche durch die engen Wohnverhältnisse der Soldaten, durch mangelnde Krankenhausausstattung mit Betten, Bettlaken, Desinfektionsmitteln, und vor allem durch mangelndes Pflegepersonal. Begünstigt wurde die Ausbreitung aber auch durch die Ignoranz der Behörden. Beispiel USA: Weder erhielten Militärärzte Unterstützung durch den "Surgeon General of the United States" (etwa: Gesundheitsminister) noch durch das Militär, das sich erfolgreich gegen jegliche Maßnahmen wehrte. Ähnlich Deutschland: Da waren Berichte über die Epidemie verboten, weil das die Moral der Soldaten schwächen könnte. Nur im neutralen Spanien wurde darüber berichtet, daher der Name.

Die USA reagierten damals auch in anderer Hinsicht so wie heute (und wie auch die Chinesen): Sie gaben den anderen die Schuld. Das Gerücht, dass die Deutschen die Krankheit in den USA verbreiteten (wie eigentlich?), wurde sogar von offizieller Seite unterstützt. Am 17. September verkündete der Leiter der US-amerikanischen "Health and Sanitation Section of the Emergency Fleet Corporation", Lt. Col. Philip Doane, offiziell, dass nach seiner Ansicht Deutsche die Krankheit verursacht hätten.

Als einzig wirksame Maßnahmen erwies sich damals die soziale Isolation, wie das Beispiel zweier amerikanischer Städte zeigt: Philadelphia hat erst gut zwei Wochen nach dem ersten Grippefall Schulen geschlossen und öffentliche Veranstaltungen abgesagt, Saint Louis dagegen schon nach zwei Tagen. Zum Höhepunkt der Epidemie war die Sterblichkeit in Philadelphia achtmal so hoch wie in Saint Louis. - Die Epidemie forderte schätzungsweise 25 bis 50 Millionen Tote.

Die Asiatische Grippe (1957-58) war nach der Spanischen Grippe die zweitschlimmste Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts; sie forderte 1 bis 2 Millionen Tote weltweit. Ihr Ursprung lag (vermutlich) in China. Das Virus erwies sich als eine Mischung zwischen menschlichen Grippe-Viren und denen der Geflügelpest. Sie ging mehr oder minder nahtlos über in die Hongkong-Grippe (1968-70) mit geschätzten 1 Million Toten. Der Erreger war vermutlich der gleiche wie bei der Asiatischen Grippe, weshalb manche Menschen auch Abwehrstoffe besaßen, was aber an der Letalität nicht viel änderte.

 Die SARS-Epidemie ("Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom") aus dem Jahr 2002-03 verlief erstaunlich milde. Übertragen wurde sie durch ein von Fledermäusen übergesprungenes Virus. Wildtierhändler in einer chinesischen Provinz hatten sich das Virus von Zibetkatzen (oder Schuppentieren) eingefangen. Diese Tiere fungierten aber nur als Zwischenwirt für den Erreger. Der Verzehr von Wildtieren ist seit Jahrtausenden eine Kulturtradition in Südchina und wird es wohl noch lange bleiben, auch wenn die Regierung jetzt dagegen vorgeht. Wodurch uns die Viren samt Pandemien auch erhalten bleiben. Vielleicht sollte man die Corona-Viren als "Weltkulturerbe" deklarieren, dann würden sie wenigstens ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden.

Die Schweinegrippe (2009) entstand, wie der Name sagt, durch Übersprung von auf Schweinen beheimateten Viren auf den Menschen. Ursprung war diesmal Mexiko, von wo aus die Krankheit in die USA eingeschleppt wurde. Ein Zaun hätte da auch nicht viel geholfen. Mit weniger als 20.000 Toten fungiert sie als Randnotiz unter den großen Seuchen. Zumindest ältere Menschen schienen eine gewisse Immunität entwickelt zu haben. Die Epidemie (mit einer 4-fach höheren Letalität als die gewöhnliche Grippe) raffte mehr junge Menschen hinweg. Wegen der kurzen Inkubationszeit (1–2 Tage) konnten Erkrankte schnell isoliert und behandelt werden. Zudem wurde bald ein Impfstoff entwickelt, aber nicht vollständig ausgetestet. Es gab zum Teil schreckliche Nebenwirkungen - möglicherweise ein Grund für die heute noch tätigen Impfgegner.

Die Massentierhaltung von Schweinen und Hühnern sowie die Nähe zu anderen Tieren, die für bestimmte Küchen wichtig sind, begünstigt Ausbreitung und Mutation von tödlichen Viren. Denn es gab noch andere Epidemien, teil lokal begrenzt, sodass wir sie nicht im Bewusstsein haben. Der Ausbruch von Wuhan, also von dem, worunter wir gerade leiden, ist der sechste einer Serie von Infektionskrankheiten, die von Fledermausviren verursacht wurden: erst Hendra (1994), dann Nipah (1998), Sars (2002), Mers (2012), Ebola (2014).

Und jetzt CoVid-19 (2019-20). Darüber erfahren Sie täglich aus allen möglichen Medien. Die Gefahr der Pandemie liegt in der langen Inkubationszeit (bis zu 10 Tage) und dem Verlauf: Manche erkranken überhaupt nicht, übertragen aber die Viren. Die einzige Methode zur Eindämmung liegt - siehe oben, Stichwort "spanische Grippe" - in der sozialen Distanz oder Isolierung. Was die meisten Länder auch eingesehen haben (wenngleich nicht alle Menschen), und wo China mit gutem Beispiel vorangegangen war. China meldet auch: Die Epidemie wäre erfolgreich eingeschränkt worden. Wenn's stimmt, besteht Hoffnung für die Welt.

Noch eine Bemerkung am Rande: Eine Studie der demografischen Forschungsgruppe "WorldPop" der britischen Universität Southampton kommt zu dem Schluss: Hätte China seine drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus drei Wochen früher und damit kurz nach ersten Warnungen von Medizinern begonnen, hätten 95 Prozent der Infektionen verhindert werden können. Wäre dies zwei Wochen früher passiert, wären noch 86 Prozent ausgeblieben, bei einer Woche früher immerhin noch 66 Prozent. Aber auch: Wären Chinas Maßnahmen erst eine Woche später erfolgt, hätte sich die Ausbreitung des Virus verdreifacht. Bei zwei Wochen wäre es eine Versiebenfachung und bei drei Wochen eine Verachtzehnfachung der Fälle gewesen. Fazit: Vor allem die frühzeitige Reduzierung von Kontakten und das schnelle Erkennen Infizierter waren sehr hilfreich, also das Testen auf das Coronavirus, woran es in vielen Ländern bis heute mangelt.