Nachdem am Flughafen Kabul laut aktuellem Kenntnisstand bis zu 60 Menschen
getötet und 140 weitere verletzt wurden, hat sich US-Präsident Joe Biden am
Abend des 26.8.2021 auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus zur Lage in Afghanistan
geäußert. Unter den Toten befinden sich nach Pentagon-Angaben 13 US-Soldaten,
15 weitere wurden verletzt. Es handelt sich um den größten Verlust von US-Soldaten
durch eine einzelne Aktion seit Jahren.
Das letzte Mal, dass das Pentagon eine zweistellige Todeszahl in einem Monat
zu beklagen hatte, war im Juni 2014.
Auf seiner Pressekonferenz brBBC meldete zuletzt 60 Tote und 140 Verletzte.
Nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums befinden sich viele der
Verletzte noch in lebensbedrohlichem Zustand.
Zu dem Anschlag bekannte sich ein Ableger des "Islamischen Staats" (IS).
Biden brachte seine Trauer über den Verlust der US-Soldaten sowie der anderen
bei dem Anschlag getöteten Menschen zum Ausdruck. Die US-Soldaten bezeichnete
er dabei als "Helden". "Diese amerikanischen Militärangehörigen,
die ihr Leben gaben - es ist ein überstrapaziertes Wort, aber hier völlig
angemessen - sie waren Helden." Sie seien das "Rückrat Amerikas"
und "das Beste, was das Land zu bieten hat".
Gleichzeitig betonte er, dass die Evakuierungsoperation trotz der Terrorattacke
weitergehen werde: "Wir werden weitermachen mit den Evakuierungen."
In dem Zusammenhang sprach Biden von der größten Evakuierungsaktion in der
Menschheitsgeschichte.
An die IS-Terroristen gerichtet sagte der US-Präsident: Wir werden
nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen. Wir werden euch zur Strecke bringen
und dafür bezahlen lassen.
Die USA hätten Informationen dazu, wo sich die Drahtzieher der Anschläge aufhielten.
Die USA würden auch ohne große Militäreinsätze Möglichkeiten finden, diese
zur Rechenschaft zu ziehen. "Wo auch immer sie sind", betonte der
Präsident.
Amerika werde sich "nicht einschüchtern lassen", verkündete Biden
anschließend. Der US-Präsident betonte, dass die USA ihre Mission erfüllen
werden. Man werde weitermachen und alle finden, die Afghanistan verlassen wollen,
und sie zu evakuieren. "Wir werden sie finden, und wir werden sie da rausholen",
versprach der US-Präsident.
Was über die afghanische IS-Splittergruppe bekannt ist:
Rita Katz, Direktorin der sich mit Terrorgruppen beschäftigenden SITE Intelligence
Group, schrieb dazu in einem Tweet: "ISIS hat sich in einem 'Amaq-Bericht
(IS-Propagandaorgan) zu den heutigen Bombenanschlägen am Flughafen von Kabul
bekannt und erklärt, dass seine Kämpfer etwa 160 Menschen getötet und verwundet
haben. Dem Bericht über den Anschlag ist ein Bild des Selbstmordattentäters
beigefügt."In seiner Erklärung beschuldigt der IS die Taliban, "in
Partnerschaft" mit dem US-Militär zusammenzuarbeiten, um "Spione"
aus Afghanistan zu schützen und zu evakuieren.
Was ist über den afghanischen IS-Ableger unter dem Akronym ISIS-K bekannt?
Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich bei der Miliz "Islamischer Staat
Khorasan" (im Deutschen: Chorasan) um eine Gruppe, die sich dem Islamischen
Staat (IS, früher ISIS) angeschlossen hatte und hauptsächlich in der östlichen
Provinz Chorasan in Afghanistan aktiv ist. Als der IS im Jahr 2015 im Irak und
in Syrien rasch an Boden gewann, wurde den Kämpfern von ISIS-K eine zentrale
Rolle für die künftigen Eroberungen des Kalifats in Süd- und Zentralasien
vorgesehen.
Der erste Emir und Befehlshaber der Gruppe war ein pakistanischer Staatsbürger
namens Hafiz Saeed Khan. Das ehemalige Taliban-Mitglied und Guantánamo-Häftling
Abdul Rauf Aliza wurde zu Khans Stellvertreter ernannt.
Sowohl Aliza als auch Khan wurden 2015 bzw. 2016 bei US-Luftangriffen in Afghanistan
getötet. Der derzeitige Anführer von ISIS-K ist Schahab al-Muhadschir, der
Berichten zufolge ein Befehlshaber der mittleren Ebene des Haqqani-Netzwerks,
einer mit den Taliban verbündeten afghanischen Rebellengruppe, war.
Nach Angaben des in Washington ansässigen Center for Strategic and International Studies verübte ISIS-K in den Jahren 2017 und 2018 fast 100 Anschläge auf Zivilisten in Afghanistan und Pakistan. Rund 250 Kampfhandlungen mit den US-amerikanischen, afghanischen und pakistanischen Sicherheitskräften wurden gezählt.
UN-Bericht: ISIS-K hat auf den Rückzug der USA in Afghanistan gewartet
2020 bekannte sich ISIS-K zu einem Angriff auf das Gelände der Universität
Kabul und feuerte Raketen auf den Präsidentenpalast und den internationalen
Flughafen Hamid Karzai in der afghanischen Hauptstadt. Die Miliz wurde auch
beschuldigt, eine Entbindungsstation von Ärzte ohne Grenzen in Kabul angegriffen
zu haben. Im Januar erklärten afghanische Sicherheitsbeamte, sie hätten mehrere
ISIS-K-Mitglieder verhaftet, die ein Attentat auf Ross Wilson, einen hochrangigen
US-Diplomaten in Kabul, geplant hätten.
In einem im Juni veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen (UN) heißt
es, dass ISIS-K nach einigen territorialen Verlusten in den letzten Jahren über
eine Kerngruppe von etwa 1.500 bis 2.200 Kämpfern verfügt, die wiederum in
kleinere Zellen aufteilt wurde. Die Gruppe kommuniziert weiterhin mit dem Islamischen
Staat und hat "eine aktive Präsenz in den sozialen Medien mit Blick auf
die Zeit nach dem Rückzug der Vereinigten Staaten", so die der Bericht
der UNO.
Die Taliban, die den größten Teil Afghanistans überrannt und am 15.
August Kabul eingenommen haben, waren in der Vergangenheit mit ISIS-K in Konflikt
geraten. Medienberichten zufolge haben die Taliban kurz nach dem Fall der
afghanischen Hauptstadt Abu Omar Chorasani, den inhaftierten ehemaligen Chef
des Islamischen Staats in Südasien, hingerichtet.
Die westlichen Regierungen fürchten nun das Wiederaufleben von ISIS-K inmitten
des Chaos, das durch die Machtübernahme der Taliban entstanden ist, die gleichzeitig
mit dem überstürzten Abzug der US-Truppen erfolgte.
US-Präsident Joe Biden warnte am Dienstag, dass die mit dem Islamischen Staat
verbündete Gruppe "versucht, den Flughafen anzugreifen und sowohl amerikanische
und alliierte Streitkräfte als auch unschuldige Zivilisten anzugreifen".
Die gleiche Sorge äußerte der britische Verteidigungsminister James Heappey,
der am Donnerstag zu Evakuierenden von Reisen zum Flughafen abriet, da eine
"unmittelbare" Bedrohung durch ISIS-K bestehe.