Das größte öffentliche "Coming Out" in der r.k. Kirche

Aus https://hpd.de/ vom 31.1.2022

Screenshot von der ARD-Doku

Zur besten Sendezeit strahlte die ARD am vergangenen Montagabend einen Dokumentarfilm aus, dessen Inhalt vermutlich bleibende Eindrücke bei allen Zuschauern hinterlassen wird. Das Thema drehte sich um nicht heterosexuelle Menschen, deren Lebens- und Arbeitsumfeld mit der katholischen Kirche eng verwoben ist. In der Dokumentation kommen 125 Menschen diverser sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen des Verheimlichens und des Kämpfens um Anerkennung.

Die Skandale rund um die katholische Kirche lassen nicht nach. Das jüngste Gutachten, welches belegt, dass der ehemalige Papst Ratzinger von den massenhaften Missbräuchen Geistlicher an Kindern gewusst haben muss, lassen die Institution erneut im Schlaglicht der Öffentlichkeit negativ dastehen. Doch auch abseits solcher drastischen Fälle gibt es unzählige weitere Baustellen, welche unter aufklärerischen Gesichtspunkten dringender Handlung bedürfen.

Einer solchen Baustelle hat sich die ARD am Montagabend nun zur besten Sendezeit gewidmet. 125 Menschen, die sich als nicht heterosexuell verstehen, oder deren geschlechtliche Identität für sie nicht mit dem Geschlecht ihrer Geburt übereinstimmt, erzählten in sehr persönlichen Interviews von ihrer Leidensgeschichte im Zusammenhang mit der katholischen Kirche. Die Dokumentation ist ein Querschnitt ihrer Erfahrungen, die sie im Kampf um die persönliche Anerkennung geführt haben oder noch führen. Denn für die Menschen, die sich in dem Dokumentarfilm "Wie Gott uns schuf" zu Wort melden, steht vieles auf dem Spiel. Nicht nur kann ihnen eine Ächtung im sozialen Umfeld drohen, es ist bei vielen von ihnen auch möglich, dass ihnen ihr Arbeitgeber kündigen wird, nachdem sie ihre Geschichten in die breite Öffentlichkeit getragen haben. Nicht-heterosexuelle Beziehungsmodelle auszuleben und gewechselte Geschlechtsidentitäten sind besonders in der katholischen Kirche noch immer nicht anerkannt und können legal aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts eine Kündigung nach sich ziehen.

So erging es etwa einer Dekanatsreferentin, welche sich in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft befindet. Nach einem Gespräch mit dem Paderborner Bischof, dem ihre Schwangerschaft auffiel, die mit Hilfe einer Samenspende zustande gekommen war, erhielt sie eine Kündigung, in der es hieß, dass sich die Referentin einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß geleistet haben soll. Auch ein Transmann, welcher den Lehrerberuf anstrebt und katholische Religionslehre unterrichten möchte, erzählt von seinen Schwierigkeiten, weil er nur als Frau unterrichten dürfe, da man das Geschlecht bei der Kirche nicht ummelden kann. Trotz des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes müssen Arbeitnehmer im Dienst der katholischen Kirche im Arbeitsvertrag unterschreiben, dass sie "die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre" einhalten werden. Möglich ist dies deshalb, weil es im deutschen Kirchenrecht festgelegt ist, dass die großen Religionsgemeinschaften ihre inneren Angelegenheiten selbst ordnen und verwalten dürfen. Kündigungen durch etwaiges illoyales Verhalten ist daher leider rechtens. Sogar um ihre Pension sorgte sich eine der Interviewten, da diese auch von den Kirchen ausgezahlt wird. Treffend stellt die Dokumentation jedoch die Frage, ob nicht etwa das Kirchenrecht in Konflikt mit den allgemeinen Menschenrechten zu stehen scheint. Die ungerechten Privilegien, die den Kirchen im kirchlichen Arbeitsrecht zugutekommen, werden jedenfalls treffend analysiert.

Viele weitere Protagonisten erzählen daher davon, wie sie sich Lügen-Konstrukte zur eigenen beruflichen Absicherung aufgebaut haben oder ihre Partner kaum öffentlich bei sich haben. Eine der Betroffene bringt das Leben queerer Menschen in der katholischen Kirche passend auf den Punkt mit dem Motto: "Don't ask. Don't tell".

Doch es gibt auch ein paar positive Erfahrungen, von denen Homosexuelle Menschen erzählen können, nachdem sie sich öffentlich geoutet haben. So wurde ein Essener Museumspädagoge im Dom nach seinem Outing zu seiner Überraschung nicht gefeuert, stattdessen hatte er ein empathisches Gespräch mit seinem Vorgesetzten und das Bistum veröffentlichte seine Geschichte sogar in den Medien. Dort bekam er zwar auch viel positiven Zuspruch, jedoch gab es auch einen nicht unerheblichen Teil an Kommentaren, die einen offen schwulen Mann nicht im Dienst der Kirche sehen wollten. Auch einen Pfarrer rührte die Reaktion seiner Gemeinde sehr, die ihn nach einer Messe, in der er seine Homosexualität thematisierte, offen in den Arm nahm. Trotz dieser auch guten Erfahrungen im direkten menschlichen Umgang bleibt die Kirche in Rom bisher unnachgiebig mit den Stimmen, die eine Anpassung des kirchlichen Arbeitsrechts und die Akzeptanz queerer Menschen fordern.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser war der einzige deutsche Bischof, der sich bereiterklärte, in der Dokumentation öffentlich Position zu beziehen. Er stellt sich auf die Seite der Ausgegrenzten und argumentiert dafür, dass einige Regelungen im Arbeitsrecht tatsächlich neu ausgehandelt werden sollten. Sogar zu einer Entschuldigung gegenüber homosexuellen Menschen ließ sich der Bischof hinreißen. Ob seine Kollegen ebenfalls dieser Ansicht sind und dadurch eine rechtliche Änderung zustande kommen könnte ist fraglich, da Dieser der einzige Bischof war, der überhaupt einem Interview zugestimmt hatte.

Die Dokumentation zeigt ganz klar die immer größer werdende Diskrepanz zwischen zum Teil deutlich aufgeschlosseneren und aufgeklärteren Gläubigen und einer verkrusteten Struktur religiösen Dogmas. Immer mehr Betroffene zeigen öffentlich Gesicht und machen es der Kirche immer schwerer, weiterhin Ignoranz walten zu lassen. Doch die Konservativen im Vatikan sind bestens vernetzt und halten dem Einzug der Moderne noch immer eisern stand. Die Dokumentation wird jedoch durch ihre empathische und authentische Herangehensweise ein weiterer Stachel sein, der den alten verkrusteten Strukturen in der katholischen Kirche weiter zusetzen könnte und definitiv auch für nicht Gläubige einen Einblick wert.

Wer mehr zu den einzelnen Schicksalen der queeren Katholiken erfahren möchte, kann dies hier tun.