Putins Staatskirche wird in Österreich weiter privilegiert

Niko Alm Newsletter Nr. 65 vom 8.4.2022 - Der russisch-orthodoxen Kirche muss der Status als gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft aberkannt werden.

Dass organisierte Religion in erster Linie ein Herrschaftsinstrument ist, dürfte sich herumgesprochen haben. Eine ideologische Monokultur ist eben politisch wesentlich einfacher zu bewirtschaften als die polyideologischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts mit ihrer bereichernden Pluralität und ihrem identitären Anspruchsdenken.
Die homogenisierende Kraft der verweltlichten Religion wurde geschichtlich immer wieder neu entdeckt. Der Bogen kann von den römischen Kaisern Theodosius und Konstantin im vierten Jahrhundert bis in die Gegenwart zu Wladimir Putin oder Narendra Modri gespannt und in die Vergangenheit und Zukunft überspannt werden.
Im 20. Jahrhundert hatten die politischen Führer mit totalitärer Schlagseite das Wesen der Religion soweit durchschaut, dass sie gemäß dem ersten Gebot (Ex 20,3) handelnd gleich gar keine Götter neben sich (oder der Partei) duldeten und das dritte Gebot sehr wörtlich nahmen: Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation (Ex 20,5).
Stalin, Hitler, Mao oder Kim Il-Sung handhabten das de facto so; und sie erzeugten ihre eigenen Politreligionen und Mythologien.

Es wäre vollkommen absurd, Nationalsozialismus, Bolschewismus, Stalinismus, Maoismus oder die nordkoreanische Chuch’e-Ideologie als Folge oder im Geiste der Aufklärung zu sehen, nur weil sie Religion aus der politischen Herrschaft verdrängt haben. Wesentliche Merkmale wie die Freiheit individueller Selbstbestimmung, grundlegende Bürger- und Menschenrechte stehen totalitären Vorstellungen diametral entgegen. John Gray sieht eher die Parallelität der Ideologien: »Der Nationalsozialismus war eine politische Religion, die sich zum einen auf pseudowissenschaftliche Theorien stützte, zum andern aber auch aus Mythen speiste.« (aus "Ohne Bekenntnis")
In meinem Buch widme ich nicht nur diesen Politreligionen ein Kapitel, sondern auch dem Wiedererstarken der Religion in Osteuropa, vor allem aber in Russland. Im Überwinterungsmodus wurde die staatlich verordnete Gottlosigkeit ein Dreivierteljahrhundert lang von der subkutanen Religiosität ausgesessen, um bei Wladimir Putin wieder politische Bühnen nützen zu können.


Erlöserkirche in Moskau - davor Niko Alm mit seinem Nudelsieb, das er damals auch auf seinem Führerscheinbild auf hatte, siehe info0538.html -
Gott straft nicht direkt, aber er bedient sich eines willigen Staates zur gewaltsamen Durchsetzung von Gottesfürchtigkeit. Selbst in Russland kam es nach der Beseitigung des kommunistischen Regimes zu einer neuen Umklammerung zwischen Republik und Religion. Ein Naheverhältnis, das von Präsident Wladimir Putin bei sich oft bietenden Gelegenheiten abgefeiert wird und auf Gegenseitigkeit beruht.
Die russisch-orthodoxe Kirche unter dem ehemaligen KGB-Mitarbeiter und Putin-Vasall Kyrill I. hat sich als willfährige Erfüllungsgehilfin eines autokratischen Regimes neu etabliert, das neben vielen anderen Ungerechtigkeiten auch nicht scheut, junge Frauen, die keine Verbrechen begangen und nicht viel mehr als ein bisschen Radau in der Erlöserkirche verursacht haben, jahrelang wegzusperren. (Wenn in Wien wie vor kurzem der Stephansdom die Nachtruhe stört, wird nicht einmal ein Bußgeld für die Ruhestörung verhängt.)
Für die Gewogenheit der russisch-orthodoxen Kirche bedankte sich Putin in aller Weltöffentlichkeit mit einem Schauprozess an den Mitgliedern des Kollektivs Pussy Riot. Nach ihrem Punkgebet in der Erlöserkirche, das mit milder Lärmbelästigung und einer Handvoll Kraftausdrücke als friedliche Form des Protests gelten darf, wurden Nadja Tolokonnikowa und Mascha Aljochina 2012 nach monatelanger U-Haft und einem öffentlichen Prozess für zwei Jahre in russischen Gefängnissen weggesperrt.

Niko Alm mit Pussy Riot, 2015

Die russisch-orthodoxe Kirche ist in Österreich seit 2013 eine gesetzlich anerkannte Kirche und verfügt damit über (fast) die gleichen Sonderrechte, Zuwendungen und Steuererleichterungen wie all die anderen 15 Religionsgemeinschaften mit dem gleichen Status. Selbstverständlich wäre es in einer Republik, die es mit der Neutralität gegenüber Kultur, Weltanschauung, Ideologie und Religion erst meint, nur angemessen, auf diese Privilegierungen vollständig zu verzichten. Für alle.

Im Angesicht des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt und dessen wortgewaltiger Unterstützung durch die russisch-orthodoxe Kirche, wäre ein Mindestmaß an Konsequenz aber gegenüber zumindest dieser Spielart der Christlichkeit angebracht, indem sie von allen Privilegien befreit wird.