Interview mit Cahit Kaya,
Gründer des Zentralrates der Ex-Muslime in Österreich

1. Was ist dein Background, wo kommst du her? (türkisch-kurdisch-alevitisch etc.)
Das ist sehr durchmischt. Von Aleviten bis streng religiösen und fast fanatisch praktizierenden Sunniten ist etwas vorhanden. Großteils aber liberal eingestellte Menschen. Die religiösen Sunniten versuchen Druck auszuüben um die anderen zu "islamisieren". Hier gab es immer schon Spannungen und großes Konfliktpotential. Wenn einst weltoffene Menschen plötzlich frömmeln, den Kindern Vorwürfe machen und sie verteufeln, so ist das sehr irritierend. Mina Ahadi meinte vor wenigen Tagen: "Vorne gehen sie in die Moschee hinein, hinten kommen sie als Fundamentalisten wieder heraus". Da ist was dran. Es gab immer schon starke Tendenzen innerhalb der Migrantencommunitys massiv zu re-islamisieren.

2. Wodurch wurdest du zu einem Ungläubigen und wodurch zu einem aktiven Ungläubigen?
Zahlreiche Vorfälle in welche ich direkt involviert war, gaben den Anlass. Bei mir war es eine "schleichende Ex-Muslimisierung". Man wird immer kritischer, entzieht sich den Versuchen streng gläubiger Gehirnwäsche an einem selbst zu betreiben. Darin sind sie gut und manche scheinen nur für diesen Zweck ausgebildet zu werden. Je tiefer man sich in den Koran, islamische Texte und Webseiten einliest, umso weiter entfernt man sich davon.
Dann kommt der Punkt, da hört man automatisch auf, passiv zu bleiben und wehrt sich gegen die ständigen Versuche, vereinnahmt zu werden. Die streng Gläubigen betreiben einen regelrechten Kult in Sachen Missionierung. Dies erzeugt einen psychischen Druck. Man wird penetrant belästigt und genötigt mitzumachen. Die andere Masche ist es, mit schön klingenden Versprechen zu ködern, oder den Frust vieler Migranten auszunutzen und mit anti-westlichen Ressentiments an neue Mitglieder zu kommen. Die sprachlich Geschickten werden selbst dazu animiert zu missionieren.
Viele fühlen sich dadurch bedroht, doch nur wenige trauen sich, dagegen vorzugehen, da dies einem Kampf gegen eine straff organisierte Gruppe von streng Religiösen auf den Plan rufen würde. Diese lassen keine Gelegenheit aus, die Kritiker verächtlich zu machen.
Diesen belästigten Menschen wollen wir eine Stimme geben und darauf vorbereiten sich in Zukunft selbst kritisch zu äußern. Noch haben sie Angst. Wenn nun ein strenggläubiger Muslim meint, die Europäer seien islamophob, und das meint er verächtlich, so ist ihm ganz genau bewusst, dass er selbst großen Druck auf die Muslime ausübt. Bis sich die Muslime eingeschüchtert zurückziehen, und die Missionare mit weniger Widerstand in ihrem Re-Islamisierungsfeldzug rechnen können. Niemand ist so islamophob wie der Muslim selbst. Denn er kennt die Methoden der Strenggläubigen.

3. Welche Rolle spielt die Religion bei den österr. Muslimen im Alltag? Wie hoch schätzt du z.B. den Anteil der regelmäßigen Moscheebesucher? Hast du eine Ahnung, wieviele in Österreich lebende Muslime nach Mekka pilgern?
Mir sind einige Fälle bekannt. Sie pilgern nach Mekka. Doch von der Mehrheit kann ich das nicht behaupten. Viele haben noch nie den Koran gelesen, geschweige denn ein "islamisches" Leben geführt. Die Erziehung führt dazu, sich als Muslim zu fühlen. Es ist diesen Menschen nicht bewusst, dass sie längst nicht mehr in dieses Schema passen. Ich kann hier nur von Vorarlberg reden. Die Moscheebesucher waren oft die selben. Man hatte das Gefühl, die Moschee ist Kaffeehaus, Treffpunkt und Ort politischer Agitation zugleich. Unter einem heiligen Ort stelle ich mir etwas anderes vor. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Religion in vielen Fällen als Vorwand von findigen Geschäftsleuten genutzt wird um Profite zu machen. Mehr Profit, statt Prophet.

4. Wie lässt sich im Alltag muslimischer Glaube von unguten Traditionen unterscheiden, die üblicherweise als "typisch islamisch" gesehen werden, z.B. Unterordnung der Frauen, Zwangsehen, Familienehre etc.? Wie weit sind diese Dinge miteinander verschränkt oder voneinander abhängig?
Das ist schwer. Sie bezeichnen sich als Muslime. Sie nennen ihre Art zu leben ihre Kultur und ihre Tradition. Tradition wird in die Religion eingegliedert und Religion dogmatisiert Traditionen - Auch wenn diese in unserer heutigen Zeit, in unserer europäischen Gesellschaft sehr befremdlich wirken. Durch Einflüsterer in den Moscheevereinen und aus der Türkei (z.B. Erdogans Auftritt, als er meinte, Anpassung sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit) werden Migranten aus islamischen Ländern darin bestärkt, diese fraglichen Traditionen fortzuführen. Das Abschotten vor allem der weibliche Familienmitglieder von der Außenwelt führt zur heimlichen Etablierung einer Geschlechter-Apartheid. Das verheimlichen dieser Traditionen, oft auch ist es Schamgefühl darüber, drängt auch die Männer in die Parallelwelt. Die Probleme die wir heute sehen, dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Es ist sehr bedenklich, dass Anpassung in eine Wahlheimat als Verbrechen gesehen wird, das Schlagen und Zwangsverheiraten von Töchtern und Schwestern aber als Teil ihrer Kultur, die es zu bewahren, und vor dem "verdorbenen Westen" zu schützen gilt. In dieser Parallelwelt sind Migranten den Missionaren völlig ausgeliefert.

5. Hast du eine Ahnung mit welchem Erfolg zurzeit die heuer gestartete Muslime-Registrierung läuft? Rechtlich ist man ja hinkünftig in Österreich nur dann Muslim, wenn man sich eintragen lässt, nicht Eingetragene müssen den Konfessionslosen zugeordnet werden.
Diese Umfrage der IGGIÖ halte ich für reinste Augenauswischerei. Eine Zählung gibt es bereits. Man spricht derzeit von etwa 516.000 Muslimen in Österreich (Quelle ÖIF: Österreichischer Integrationsfond). Hier aber gibt es ein Problem. Wer sich als Muslim sieht, glaubt dies oft aus traditionalistischen Gründen. Doch per Eigendefinition ist ein Muslim, wer praktiziert.
Die Umfrage der IGGIÖ ist ähnlich problematisch. Aber eine gute Möglichkeit an Namen und Adressen von gläubigen Muslimen zu kommen, die zukünftig umworben werden könnten. Die oft kritisierte IGGIÖ kann nun eine Zahl aus dem Hut zaubern, die weit über den kolportierten 5.000 Mitgliedern (Anm.: die IGGIÖ soll zurzeit nur diese geringe Anzahl an direkten Vereinsmitgliedern haben) angesiedelt sein dürfte. Die Legitimation der IGGIÖ als öffentliche Körperschaft aller hier lebender Muslime beruht alleine auf das Islamgesetz von 1912. Im Alltag aber wird der Vertretungsanspruch von den hier lebenden Muslimen und Ex-Muslimen nicht angenommen. So kann es praktisch sein, mit dieser Zählung die registrierten Menschen als aktive Unterstützer auszugeben, um sich selbst zu legitimieren. Demokratisch ist das nicht. Genau genommen wäre das Betrug, wenn die IGGIÖ seinen Vertretungsanspruch mit dieser Zählung zu legitimieren versucht.

6. Macht der Zentralrat dazu jetzt Werbeaktionen, die Menschen mit Islamhintergrund vor der Registrierung bewahren sollen?
Wir werden mit den Medien Kontakt aufnehmen und unsere Bedenken über diese kommunizieren. Bleibt zu hoffen, dass die Migranten nicht auch medial in der Parallelwelt der türkischsprachigen Medien angekommen sind. Diese mehrheitlich türkischen Medien halten sich in diesen Angelegenheiten sehr zurück, fallen als Ansprechpartner also weg.