STANDARD vom 3. März 2010:
Es ist eine westliche Dauerforderung
an islamische Intellektuelle, die Muhammad Tahir ul-Qadri mit seiner Fatwa nun
übererfüllt: Auf den 600 Seiten seines Rechtsgutachtens räumt der pakistanische
Religionsgelehrte nicht nur mit dem extremistischen Märtyrer-Kitsch auf, er
sagt den potenziellen Terroristen auch deutlich, wo sie nach seiner Rechtsauffassung
landen: nämlich in der Hölle.
Zur Verbreitung dieser Nachricht steht dem
59-jährigen Mufti seine Organisation Minhaj ul-Quran zur Verfügung, der Weg
des Koran. Minhaj, in Lahore ansässig, hat Zweigstellen in 90 Ländern. Der Einfluss
der Organisation ist jedoch schwer zu quantifizieren. Qadri hat junge Muslime
in der Diaspora als Publikum erkannt, das spirituelle Leitung besonders nötig
hat. Minhaj soll laut Homepage "Frieden und Harmonie zwischen den Gemeinschaften"
fördern sowie die Wiederbelebung einer islamischen Spiritualität.
Diese ist
bei Qadri teilweise im Sufismus - der islamischen Mystik - angesiedelt, und
der verträgt sich nicht mit einem politisch radikalisierten Islam. Mit "modern"
im Gegensatz zu "konservativ" sollte man die Tendenz seines Islams
aber nicht verwechseln, was nicht heißt, dass er sich nicht in vielen Fragen
für Frauenrechte einsetzt. Aber Blasphemie etwa ist für ihn ein nicht zur Diskussion
stehendes Thema. Von den Mohammed-Karikaturen zeigte er sich zutiefst getroffen
und verlangte strengere Gesetze im Westen. Als Jurist gestaltete er das entsprechende
Gesetz in Pakistan mit - das der Denunziation von Nichtmuslimen Tür und Tor
geöffnet hat. Qadri hat kräftig an der Islamisierung der pakistanischen Justiz
mitgeholfen.
Der Vater dreier Töchter und zweier Söhne ist ein überaus fruchtbarer
Autor, sein Curriculum nennt an die tausend Schriften, von denen hunderte gedruckt
wurden. Als Sohn eines Gelehrten in Jhang geboren, genoss Qadri eine klassische
islamische Ausbildung, zum Teil auch in Saudi-Arabien. In Pakistan stieg er
bald zum einflussreichen Rechtsgelehrten auf, wobei er laut seiner Selbstdarstellung
auf viele ihm angebotene hohe Posten - unter anderem auf mehrere Ministerämter
- verzichtete.
Das bedeutet aber nicht, dass Qadri politikabstinent ist:
1989 gründete er seine eigene Partei, die Pakistan Awami Tehrim (Pakistan Volksbewegung),
eine kleine islamische Liste, die jedoch immer in der politischen Bedeutungslosigkeit
blieb und 2008 die Wahlen boykottierte. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, vom 3.3.2010)
Atheistischer Kommentar: Wenn ein islamischer Theologe also verkündet,
dass es kein Verdienst fürs Himmelreich sei, wenn man als Selbstmordattentäter
einen Haufen Leute umbringt, dann erregt dieser Theologe hierzulande positive
Aufregung. Dabei zeigt der Sachverhalt nur, dass der Islam eben ein paar Jahrhunderte
hinter unserer Zeit liegt.
Oder kann sich jemand vorstellen, dass ein katholischer
Theologe, der heute verlautbarte, es sei ungehörig, Kreuzzüge gegen Ungläubige
zu führen, und Zwangstaufen gegen fremde Völker wären sündhaft? So eine Einsicht
in die Vergangenheit hatte zwar auch die katholische Kirche niemals, aber aufgrund
der heutigen Verhältnisse muss sie sowas auch nimmer verkündigen, weil sie gar
keine Möglichkeit mehr dazu hat, ihre alten blutigen Wege fortzusetzen. Eine
diesbezügliche islamische Verkündigung ist heute noch zeitgemäß. Weil der Islam nicht in, sondern
aus der Zeit ist!