SPÖ Wien-Alsergrund fordert Trennung von Staat und Religion

Das Verhältnis von Religion und Staat gilt als heißes Eisen innerhalb der SPÖ. Damit befassen sich allenfalls Jugendorganisationen wie die Sozialistische Jugend (SJ) und der Verband Sozialistischer StudentInnen Österreichs (VSStÖ). Dass Bezirksorganisationen das Thema zur Debatte stellen und die Delegierten sogar mehrheitlich eine saubere Trennung von Staat und Religion fordern, ist eine seltene Angelegenheit.

28:23 Stimmen endete die Abstimmung über den Antrag "Für eine Trennung von Staat und Kirche" am 8.3.2010 bei der Bezirkskonferenz der SPÖ Wien-Alsergrund. Die freudige Überraschung bei den Delegierten der Sektion Acht, die die Resolution eingebracht hatte, war groß.

Im wesentlichen basiert der Antrag auf dem Verfassungsentwurf der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei, Anm.) aus dem Jahr 1920. Er sieht vor, dass Religion Privatsache wird. Religionsgesellschaften sollen den gleichen Status erhalten wie private Vereine. Hinzugefügt wurde eine Passage, dass der Religionsunterricht abgeschafft werden soll. Die Resolution wurde im Vorfeld vom Freidenkerbund unterstützt, der bei der Formulierung half.

Mit dem Beschluss der Bezirkskonferenz ist die Resolution an den nächsten Landesparteitag der SPÖ Wien weitergeleitet worden. Dort muss über sie diskutiert werden - entweder auf der Antragsprüfungskommission oder im Plenum. Die Kommission ist laut Statut jedenfalls berichtspflichtig. Im Vorjahr hatten VSStÖ und SJ ähnliche Anträge am Landesparteitag eingebracht.

Hier der Text des Antrages: Antrag 5: Resolution -Trennung von Staat und Kirche - Antragsteller: Christoph Baumgarten (Anm.: Baumgarten ist Funktionär des Österr. Freidenkerbundes)
Die Trennung von Staat und Kirche ist in Österreich nur unzureichend vollzogen. Menschenrechte von AtheistInnen werden täglich verletzt. Politische Bewegungen versuchen, AtheistInnen bzw. Angehörige von Nicht-Mehrheitsreligionen mundtot zu machen und ihre Möglichkeiten der öffentlichen Kommunikation einzuschränken. Beispiel ist die politische Debatte um Kruzifixe in Schulklassen. Auch die Kreuze in Verhandlungssälen von Strafgerichten sind ein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates.
Darüber hinaus genießen Religionsgemeinschaften umfangreiche finanzielle und rechtliche Privilegien, wie sie keiner anderen Art der Gesinnungsgemeinschaft zustehen. Die Kosten werden auch von den mehr als 1,5 Millionen konfessionsfreien ÖsterreicherInnen mitgetragen, wie dieser exemplarische Überblick über die jährlichen Leistungen aus dem Bundesbudget zeigt:
> Kosten durch den konfessionellen Religionsunterricht: ca. 600 Mio. Euro
> Ersatz der Personalkosten für konfessionelle Schulen: 500 Mio. Euro
> Ausfälle durch steuerliche Befreiungsbestimmungen für Religionsgemeinschaften: ca. 300 Mio. Euro
> Die Erhaltung von theologischen Fakultäten: 53 Mio. Euro
> Zuschüsse aus dem Bundes-Budget durch den Vermögensvertrag mit dem Vatikan: 40 Mio. Euro
> Direkte Zuschüsse an die evangelische und die altkatholische Kirche sowie die israelitische Kultusgemeinschaft: 4 Mio. Euro
> Lt Rundfunkgesetz ist die "Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen" im Programm zu berücksichtigen. Müssten die Religionsgemeinschaften den Werbetarif für die zahlreichen religiösen Sendungen begleichen, brächte das dem öffentlich rechtlichen Rundfunk Mehreinnahmen von 80 Mio. Euro.
Summe: 1,23 Milliarden Euro

Dazu kommen Leistungen von Landesregierungen, Gemeinden und anderen öffentlichen Körperschaften an Religionsgemeinschaften.
Dazu kommen Bestimmungen, die es Religionsgemeinschaften ermöglichen, VertreterInnen in den ORF-Publikumsrat zu entsenden und ihnen weitreichende Rechte bei Gesetzesbegutachtungen einräumen, auch in Materien, wo nicht direkt religiöse Belange berührt werden. Auch das Recht der 15 gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften, konfessionellen Religionsunterricht auf staatliche Kosten aber ohne staatliches Mitspracherecht abzuhalten, ist international eher ein Kuriosum und wirft schwere Bedenken in Bezug auf die Menschenrechte auf.

Die Sozialdemokratie hat schon 1920 einen Verfassungsentwurf zur Trennung von Kirche und Staat vorgelegt, der heute so aktuell ist wie damals:
Artikel 1 (1) Staat und Kirchen werden getrennt.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Bundesgebietes unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der gesetzlichen Schranken. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates.
(4) Die Rechtsfähigkeiten der Religionsgesellschaften richten sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über die Rechtsfähigkeit der Vereine.
Artikel 2 Der Religionsunterricht wird abgeschafft.
Artikel 3 (1) Das Anbringen von religiösen Symbolen in oder an Gebäuden des Bundes, der Länder oder Gemeinden ist untersagt.
(2) Niemand darf zur Leistung religiöser Eide gezwungen werden.

Wir fordern die sinngemäße Umsetzung dieses Entwurfs sowie die Aufhebung bzw. Beendigung aller internationalen und nationalen Verträge, die eine Sonderbehandlung von Religionsgemeinschaften zum Inhalt haben, insbesondere des Konkordats.

Dieser Antrag soll an den Landesparteitag und den Bundesparteitag weitergeleitet werden.