Dr. Christine Haiden, die Chefredakteurin der katholischen Zeitschrift "Welt der Frau" schreibt in den OÖNachrichten vom 8. April 2010:
"Das verstehe ich jetzt aber nicht", raunte ein junger Bursche während
der Osternachtsfeier in der Kirchenbank hinter mir. Ein gut 17-Jähriger mit
kecker Haardolle und Lederjacke hatte offensichtlich seiner Oma die Freude gemacht,
sie in den Gottesdienst zu begleiten.
Bis zu seinem laut vernehmbaren
Seufzer hatte er sich schon die lange Geschichte von der Erschaffung der Welt
in sieben Tagen angehört, dann die blutrünstige Erzählung vom Durchzug der Israeliten
durch das Rote Meer, und schließlich den Brief des Apostels Paulus an die Römer.
"Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind auf seinen Tod
getauft."
Da muss das Hirn schon einige Schleifen drehen, um folgen
zu können. Aber es geht noch weiter: "Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt,
damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven
der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde."
Lieber junger Mann hinter mir, ich verstehe das auch nur mit Mühe. Und ich bin
mir ziemlich sicher, den meisten anderen im Gottesdienst geht es ähnlich.
Die
Krise des Klerus der katholischen Kirche ist offensichtlich und lässt sich leicht
als Medienthema fassen. Dessen moralisches Versagen oder unbeirrbares Beharren
auf autoritären Strukturen gibt einen benennbaren Grund ab, der Organisation
den Rücken zu kehren.
Aber ist das die tiefere Ursache? Sind es nicht
vor allem die Worte des Glaubens, die fremd bleiben? Wer versteht noch die alten
Geschichten? Wem erschließt sich darin noch etwas, das er in seinem Leben brauchen
kann?
Das größte Problem des Christentums scheint seine Übersetzung in
die moderne Welt. Was in der Liturgie geredet wird, bleibt weitgehend unverstanden.
Ist das die Schuld der Christen oder die Verantwortung der Institution? Religion
braucht charismatische Personen. Wer sind heute die aufregenden Gottsucher,
die darum ringen, den Kern der Sache spürbar zu machen? Wer bringt die alten
Geschichten zum Schwingen?
Einige haben es versucht. So wollte der Tiefenpsychologe
und Priester Eugen Drewermann die Bibel zeitgemäß für die Seele öffnen. Rom
hat ihn dafür seiner Ämter enthoben. Den Befreiungstheologen erging es nicht
anders. Papst Johannes Paul II. hat sie als marxistische Adepten mundtot gemacht.
Seither ist Stillstand. Der Vatikan setzt auf ein dogmatisches Verständnis der
Bibel, das anordnet, was zu glauben ist. Doch das nährt die Seele nicht und
trifft nicht das Selbstverständnis moderner Menschen. Sie sind Sinnsucher. Sie
leben in einer Welt aufregender neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.
Sie wollen verstehen. Mit Kopf und Herz und in einer zeitgemäßen Sprache.
Es
gibt Stimmen, die neue Wege weisen. Der Benediktinerpater David Steindl-Rast
etwa hat sich mit dem Buddhismus beschäftigt. Er meint, der moderne Mensch brauche
den Glauben nicht mehr wie einen äußeren Panzer. Nein, wie ein Skelett, das
von innen trägt, müsse er werden. Von innen wächst nur, was man in sich aufgenommen
hat. Theologen sollten sich als geistliche Ernährungsberater verstehen - um
die überlieferte Seelennahrung verdaubar zu machen.
Frau Haiden wagt sich weit vor. Was sie da schreibt, ist eindeutig nicht
mehr katholisch. In der Sache hat sie natürlich völlig recht: der katholische
Glaube ist unglaubbar geworden. Die Menschen werden als Kleinkinder nicht
mehr katholisch-religiös indoktriniert und konditioniert. Ein reflexionsfähiger
Mensch glaubt diese alberne Geschichte von Paradies, Erbsünde, Erlösung durch
Kreuzestod, Auferstehung, Belohnung und Strafe im Jenseits einfach nimmer.
Und
dagegen kann sich die katholische Kirche langfristig gar nicht mehr wehren.
Ein Neuaufbau der innerfamiliären religiösen Strukturen ist unmöglich, wirklich
katholisch-religiöse Menschen sind heute eine kleine Minderheit. Die aus Tradition
und/oder Gewohnheit Mitglied Gebliebenen werden weniger, die Leute mit einer
selbst gebastelten eklektischen Religion mehr, ebenso die gänzlich Ungläubigen
und vor allem die, denen Religion schlichtweg egal ist. Dagegen wird auch ein
katholischer Buddhismus nichts mehr helfen.
Das von Frau Haiden gewünschte
von innen tragende religiöse Skelett, existiert bei vielen Menschen, es ist
die längst gebrauchte Möglichkeit, sich für etwaigen Bedarf, einen selbst erschaffenen
privaten Gott in der Hinterhand zu halten. Aber dafür braucht man keine organisierte
Kirche.
Gesellschaftlich fährt der Zug in diese Richtung, denn auch die selbst erschaffenen Privatgötter befreien von den religiösen Institutionen, deren Bemühen, Herrschaft über Menschen auszuüben, dadurch immer vergeblicher wird. Und das ist gut!