Es gibt in der katholischen Kirche nicht nur Hirten und Schafe, sondern
auch Aufsässige. Diese sind vermutlich das Kurioseste in diesem Verband.
Sie glauben an diese merkwürdige religiöse Lehre, möchten sie aber gerne anders
gestalten und verwalten. In Österreich gibt's "Wir sind Kirche", die
hat sich Schönborn einstweilen eingekauft, sie durften an seiner Reueaktion
mitwirken.
Aber es existiert auch die österreichische "Pfarrerinitiative",
initiiert von einem alten schönbornschen Widerpart, nämlich Pfarrer Helmut Schüller,
den der Kardinal 1999 als Generalvikar wegen "tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten"
hinausgeschmissen hat, indem er ihm das Kündigungsschreiben vor die Tür legte.
Schüller war 1996 bis 2005 Leiter der Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für
Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche. In dieser Zeit formulierte er
Regeln für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche, die aber im Sinne
einer gesamtösterreichischen kirchlichen Vorgangsweise nicht umgesetzt wurden,
Schüller legte deshalb die Funktion zurück. Er ist Vorsitzender der
2006 als Vereins konstituierten Pfarrerinitiative, die am 2. Mai 2010
eine außerordentliche Generalversammlung abhielt und am 10. Mai mit einer
Reihe von Forderungen an die Öffentlichkeit
ging:
Papst
Benedikt XVI. soll angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe bezüglich
seiner "Vorgangsweise als Präfekt der Glaubenskongregation in Fällen sexueller
Ausbeutung", entweder eine unabhängige Instanz mit der Klärung der Vorwürfe
zu beauftragen oder sein Amt zur Verfügung zu stellen.
Die "bisher unterbliebene Klärung durch den Papst selbst" schade der
"Glaubwürdigkeit aller Bemühungen in der Kirche um einen entschiedenen
und transparenten Umgang mit den bisherigen Vorfällen". Leider habe erst
der Druck der Medien zu einer entschiedeneren Vorgangsweise durch die Kirchenleitung
geführt.
Eine umfassende
Aufarbeitung des Geschehenen könne nicht gelingen, "wenn die derzeitigen
Strukturen in der Kirche ausgeklammert werden". Es sei erwiesen, "dass
autoritäre Strukturen in der gesamten Gesellschaft ebenso wie in der Kirche
die sexuelle Ausbeutung und ein exzessives Ausleben von Macht an Unterlegenen,
Ausgelieferten und Unwissenden begünstigen und verdecken".
Der Umgang mit Missbrauchsfällen zeige "schwerwiegende Mängel der kirchlichen
Verantwortungsstrukturen" wie etwa die "unkontrollierte Alleinverantwortung
und Macht des Papstes", das "Fehlen einer in zeitgemäßen Rechtssystemen
selbstverständlichen Gewaltenteilung" oder der "Ausschluss des Kirchenvolkes
von Entscheidungen".
An die Bischöfe wird appelliert, sich für die Einberufung eines "Konzils
zu den großen Fragen des Zukunftsweges unserer Kirche" einzusetzen, an
die Gläubigen, nicht aus der Kirche auszutreten, sondern sich für eine zeitgemäße
Kirche zu engagieren.
So ein Appell einer "Pfarrerinitiative" trifft einerseits Strengkatholische, die mit christlicher Wut reagieren werden und andererseits
ein paar engagierte linke Katholiken, die aus Gründen, die ein Atheist rational
nicht nachvollziehen kann, sich keine vernünftigere Lebensideologie suchen,
sondern sich um Veränderungen bemühen, weil sie ein in zweitausend Jahren versteinertes
Gebilde für reformierbar halten und zudem vermuten, es gäbe für eine reformierte
katholische Kirche eine wahrnehmbare Nachfrage.
Die Zukunft der christlichen Kirchen
in den aufgeklärten Gebieten der Welt, ist ein sektenähnliches Dasein. Man kann
ruhig sagen, dass z.B. in Österreich achtzig bis neunzig Prozent der Mitglieder
der katholischen Kirche ein Alltagsleben führen, dass sich nicht vom Alltagsleben
von religiös Desinteressierten oder von deklarierten Ungläubigen unterscheidet.
Sie gehen nicht in die Kirche, sie beten nicht, sie kümmern sich nicht um
die seltsamen Weltsichten der leitenden Kirchenfunktionäre.
Eine Reform
in Richtung Liberalisierung und Demokratisierung bringt keine Vermehrung des
Religiösen. Die evangelischen Kirchen, die in den meisten Ländern all das haben,
was katholische Reformer haben möchten, verlieren
vergleichsweise noch mehr Mitglieder, weil man auch mit religiöser Beliebigkeit keinen
Stich macht. Evangelikale Kleingruppen erregen zwar des öfteren Aufsehen, sind
aber letztlich bedeutungslos.
Der große Fehler war es wohl, die "Gottesfurcht" aus
der Agitation zu nehmen. Vor fünfzig Jahren bedeute der "Abfall vom
Glauben" noch ewiges Höllenfeuer samt Heulen und Zähneknirschen. Das gibt's
nimmer und damit wurde religiöse Beliebigkeit erst recht zum Alltag. Religion
wurde privatisiert und individualisiert. Eine streng geregelte Institution kann
nur den kleinen Teil, der religiös konditionierten und deshalb psychisch entsprechend
beeinträchtigten Menschen halten. Für die breite Masse wird strukturierte
und organisierte Religion immer unwichtiger, egal ob es sich um Religion a
la Ratzinger oder a la Schüller handelt ...