Heuer keine ÖVP-Dollfuß-Gedenkmesse

Michael Völker, im Standard vom 7.7.2010:
Gedenken an Dollfuß. Sich der Geschichte stellen - Die ÖVP hat ihr Verhältnis zu Dollfuß bis heute nicht aufgearbeitet
Gelegentlich bewegt sich doch etwas, und das kommt dann überraschend: Das Bundeskanzleramt hat am Dienstag die für 26. Juli geplante Gedenkmesse zum Todestag von Engelbert Dollfuß abgesagt. Das ist doch bemerkenswert. Die Dollfuß-Gedenkmesse findet alljährlich seit Kreiskys Zeiten statt, und jedes Jahr wieder gab es eine Diskussion darüber, ob es angebracht sei, des Klerikalfaschisten Dollfuß, der nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 diktatorisch per Notverordnung regierte, im Bundeskanzleramt zu gedenken.
Die ÖVP hatte stets argumentiert, dass der christlich-soziale Dollfuß ein Opfer der Nationalsozialisten war und immerhin für die Eigenständigkeit Österreichs eingetreten ist. Die SPÖ wiederum schien den Streit mit der ÖVP zu scheuen. Sollen sie halt des Schmalspurdiktators gedenken. Das ist - oder war - typisch für Österreich und seinen Umgang mit der Geschichte. Die ÖVP hat ihr Verhältnis zu Dollfuß bis heute nicht aufgearbeitet. Die SPÖ hatte zwar eine klare Meinung, ließ sie sich aber abkaufen, wenn es nur darum geht, den Koalitionsfrieden zu wahren.
Dieses Unverbindliche, dieses Wegschauen, das ist der unsympathische Zugang zur Aufarbeitung: Mir san mir, und wer das genau sein soll, das wollen wir gar nicht so recht wissen. Dass die Geschichtsverdrängung jetzt durchbrochen wird, wenn auch nur mit einer symbolischen Geste, ist ermutigend. Aus Geschichte kann man auch lernen.

Der Beseitiger der 1. Republik, der Klerikalfaschist und Arbeitermörder Engelbert Dollfuß, war mit Sicherheit der schrecklichste in Österreich an die Macht gelangte Politiker des 20. Jahrhunderts. Ein machtbesessener politischer Hohlkopf, der über Leichen ging, um die mittelalterliche Enzyklika Quadragesimo Anno von Papst Pius XI. Wirklichkeit werden zu lassen. Die katholische Kirche war von ihm begeistert. So wollte sie die Welt damals haben. Klerikalfaschistisch! Dollfuß hatte das "Glück" von den Nazis über den Haufen geschossen worden zu sein, dadurch konnten ihn seine Brüder im Geiste auch nach 1945 noch als "Märtyrer" verehren, der gestorben sei, um die Machtergreifung der Nazis in Österreich zu verhindern.

Dollfuß war kein Widerstandskämpfer. Er war der klerikalfaschistische Schmalspurkonkurrent der Nazifaschisten. Das ab 1933/34 zwangsweise gänzlich katholische Österreich bereitete den Boden vor: Das Elend der Zeit der klerikalen Herrschaft, das Diktat, sich bedingungslos der katholischen Kirche unterwerfen zu müssen, ließ für Millionen Österreicher Hitler als "Erlöser" erscheinen. Dollfuß war Hitlers Wegbereiter. Nicht mit Absicht, sondern aus politischer Dummheit und katholischem Fanatismus übelster Art. Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg haben Österreich in die braune Scheiße geritten! Sie haben die demokratische Erste Republik beseitigt, sie waren Staatsfeinde und Hochverräter, denen eine nachträgliche Würdigung in keinster Weise zusteht! Der katholischen Kirche als Anstifter und Nutznießer ist bis heute kein Ton der Reue oder auch nur der Einsicht ausgekommen. Der Vatikan setzte nach dem Ersten Weltkrieg auf den Faschismus. In Italien in engem Verhältnis, in Österreich, Spanien, Portugal, Kroatien usw. auf direkte Weise. Deutschland wurde zumindest als Kampftruppe gegen den atheistischen Kommunismus gewürdigt und nach 1945 war die katholische Kirche ein armes Opfer des Geschehens, von den eigenen politischen Verbrechen war bis heute keine Rede.

Jetzt hat Bundeskanzler Faymann dafür gesorgt, dass die zum Dollfuß-Todestag am 25. Juli traditionelle religiöse Verehrung des Diktators Dollfuß in der Parlamentskapelle unterbleibt. Was u.a. die Kritik des 2. Nationalratspräsidenten Neugebauer (ÖVP) hervorrief. Denn eine Gedenkmesse sei "ein Zeichen der Versöhnung". Der Versöhnung wessen mit wem? Der Versöhnung der Zweiten Republik mit dem Klerikalfaschismus?


dieses Bild des Diktators hängt immer noch im Parlamentsklub der ÖVP

Der Schluss der berüchtigten Trabrennplatzrede von Dollfuß im Oktober 1933: "Und so stehe ich vor Euch mit der Bitte: Bleibt Euch des Ernstes unserer Zeit bewusst, seid Euch dessen bewusst, dass wir die Aufgabe haben, die Fehler der letzten 150 Jahre unserer Geistesgeschichte gutzumachen und auf neuen Wegen unserer Heimat ein neues Haus zu bauen, und dass jeder einzelne die Pflicht hat, an diesem Neubau mitzuarbeiten. Wir alle gehen auch heute wieder mit dem Glauben von hier weg, einen höheren Auftrag zu erfüllen. Wie die Kreuzfahrer von dem gleichen Glauben durchdrungen waren, so wie hier vor Wien ein Marco d'Aviano gepredigt hat "Gott will es" — so sehen auch wir mit starkem Vertrauen in die Zukunft, in der Überzeugung: Gott will es!"

Aus der Würdigung des Vatikans für die Dollfuß-Diktatur: "Sie kann schon jetzt auf eine Reihe von segensreichen Taten hinweisen, die das wahre Wohl sichern und fördern. Weise Verordnungen zum Wohle der Jugend und des Unterrichts, die Wiederbelebung des religiösen Geistes in Schule und Erziehung, die Neuorganisation des Heeres in christlichem Geiste, das Konkordat mit dem Heiligen Stuhle, die Riesenarbeit für eine neue Verfassung zum Wohle des Volkes, mit einem Worte: die Wiederverchristlichung des gesamten öffentlichen Lebens und das friedliche Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche zum Wohle aller."

Wenn die katholische Kirche behauptet, es geschähe etwas zum Wohle der Menschen, dann war es immer so, dass etwas zum Wohle der katholischen Kirche geschehen ist. Das Prinzip der katholischen Vergangenheitsaufarbeitung besteht seit Jahrhunderten darin: nicht darüber reden und die Handlanger in Ehren halten.