Sarrazins Buch schlägt hohe Wellen

Merkwürdigerweise wurde bisher Thilo Sarrazin von den Taliban noch nicht bedroht. Vielleicht ist man dort der Meinung, die Muslime in Deutschland wären eh lauter Weicheier, für deren Ehre sich ein explodierter Sprengstoffgürtel nicht lohne. Außerdem wird Sarrazin für sein Buch "Deutschland schafft sich ab" ohnehin äußerst heftig von den weltoffenen und diskussionsfreudigen liberalen und linken Kreisen kritisiert. Zum Beispiel im Spiegel, wo in einem krausen Artikel eine ganze Arbeitsgruppe von Journalisten zuerst einmal ermittelte, dass viele Dinge, die Sarrazin aufzeigte, mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Aber dann einschränkte, z.B. so: "es gibt eine weit verbreitete Stimmung, dass es große Probleme mit den Migranten gibt, obwohl Mesut Özil einer der deutschen Stars bei der WM war und Sibel Kekilli nun eine deutsche Kommissrain im 'Tatort' spielt". Man stelle sich vor, da gibt es türkische Ghettoviertel, wo die nachwachsenden türkischen Muslimen-Generationen überwiegend ungebildet und arbeitslos sind, aber manche türkische Zuwanderer können fußballspielen, treten im TV auf oder haben studiert und darüber berichtet dieser Sarrazin rein gar nix!

Der Journalist Henryk M. Broder schreibt in derselben Spiegel-Nummer in der Abteilung "Debatte" u.a.: "dass Sarrazin dennoch solche Aggressionen mobilisiert, liegt nicht daran, dass er möglicherweise in einigen Punkten irrt, sondern daran, dass er vermutlich in den meisten recht hat." Besser kann man das Buch eigentlich nicht zusammenfassen.

Broder setzt noch eins drauf: "Wenn Aussehen und Krankheiten vererbt werden, was niemand bezweifelt, dann muss auch die Frage erlaubt sein, warum Juden - von Ausnahmen abgesehen - schlechte Sportler und gute Schachspieler sind; warum die meisten Blues-Musiker schwarz sind und warum Kenianer so oft Marathonrennen gewinnen; warum Asiaten an amerikanischen Universitäten überproportional vertreten sind. Niemand hat etwas dagegen, positiv diskriminiert zu werden. Es schmeichelt den Deutschen immer noch, als das "Volk der Dichter und Denker" bezeichnet zu werden, obwohl jede Pisa-Studie das Gegenteil belegt. Unstrittig ist auch, dass die Italiener eine andere Arbeitsmoral als die Schweden haben, die Polen eine andere Sexualmoral als die Dänen. "Diskriminieren" heißt ursprünglich auch "unterscheiden". Und nur wenn die Feststellung von Unterschieden zu sozialen Sanktionen wie Ausgrenzung führt, wird es hässlich und gefährlich. Alles Übrige gehört in die Abteilung Diversität. Deswegen essen wir heute halal, morgen koscher und übermorgen eine Haxe, hören morgens Klavierkonzerte und abends Krawallmusik, bewundern die Spanier für ihr Temperament, die Engländer für ihre Gelassenheit und machen Witze über den Geiz der Schotten. Es sind Klischees, aber sie haben ihren Charme und erleichtern uns die Orientierung.
Das Problem mit Sarrazin ist, dass er, im Vertrauen auf Zahlen und Statistiken, sich um eine Aussage drückt, die wie ein unsichtbarer roter Faden sein Buch durchzieht: Der Islam ist ein autoritäres, archaisches System, das sich der Mittel der Moderne bedient, ohne deren Geist zu übernehmen. Er ist mit demokratischen Werten und Strukturen nicht kompatibel: Gewaltenteilung, Trennung von Staat und Kirche, Selbstbestimmung des Individuums, Glaubens- und Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und freie Partnerwahl. Viele Muslime haben den Sprung in die Moderne geschafft, einige mit dem Leben dafür bezahlt, der Islam als Ganzes hat es nicht.

Dennoch hat Sarrazin mit seinen "kruden Thesen" offenbar einen Nerv getroffen. Was trifft, trifft auch zu, hat Karl Kraus mal gesagt. Und nebenbei hat Sarrazin auch ein urdeutsches Gen reanimiert: die Wehleidigkeit als Weltanschauung."

Aber Broder ist ja ein Zionist. Der stimmt aus ideologischen Gründen mit Sarrazin überein. Dabei haben Leute vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Sarrazin einen "Hassprediger" genannt und ihm geraten, zur NPD zu wechseln. Also gibt's zu Sarrazin sehr verschiedene Meinungen. Der SPD bläst übrigens inzwischen aus ihrer Wählerklientel der kalte Wind ins Gesicht, weil dort ist man näher an den von Sarrazin aufgezeigten Problemen dran als die Politiker, welche die Entstehung dieser Probleme Jahrzehnte ignoriert haben. Darum bewährt sich hier anscheinend zur Verteidigung dieses offensichtlichen schweren politischen Versagens auch die Methode aus dem Altertum: Straft den Überbringer der schlechten Botschaft.

Zu einer vernünftigen Meinungsbildung über Sarrazins Thesen ist es unvermeidbar, sein Buch zu lesen. Sekundärberichte sind fast immer tendenziös, daher ist es völlig sinnlos, ohne Kenntnis des Originals darüber debattieren zu wollen. Am 8.9. war das Buch übrigens in Linz nur mit Mühe aufzutreiben, die aktuelle vierte Auflage (die 1. Auflage erschien am 30.8.2010) ist schon weg, aber die nächste kommt bestimmt.