Eigentlich sollte dieses Thema hier abgehandelt werden, wenn das Material vollständig und übersichtlich erreichbar ist. Da allerdings der vollständige Bericht nicht (wie heute bei solchen Dingen üblich) übers Internet zugänglich ist, sondern erst im Herbst 2011 als Buch erscheinen soll, muss vorläufig doch auf das Material eingegangen werden, das zu diesem Thema bereits vor einigen Tagen an die Öffentlichkeit gelangte. Die Studie wird seit 1982 etwa alle zehn Jahre erstellt, die aktuelle startete im Jahre 2008. Sie gliedert sich in vier Themenschwerpunkte, Religion/Ethik, Politik, Arbeit, Beziehungen/Familie. Hinter der Studie steckt hauptsächlich die katholische Kirche, wenn man sich nach außen hin auch die Mühe macht, das Ganze als internationales Forschungsprojekt darzustellen. Vorsitzender ist Prof.Dr. Jaak Billiet von der Katholischen Universität Leuven. Österreich wird vom katholischen Theologen Zulehner vertreten.
Die Theologin und Religionssoziologin Regina Polak präsentierte am 4. November
2010 in Wien die "Europäische Wertestudie 2008-2010". In
die Medien gelangten dazu nur Angaben über die Religion, geradeso als gäbe es
ausschließlich religiöse Werte. Die Ergebnisse zeigten als besonders Erfeuliches, dass es immer weniger
junge Menschen gibt, die sich selber als religiös bezeichnen.
Die Befragung bezüglich "religiös" ist
allerdings (wie die Überprüfung des Fragebogenvordrucks zeigte) sehr undifferenziert gehalten:
man kann sich entscheiden für - religiös - nicht religiös - überzeugter Atheist.
Ein Religiöser braucht also kein "überzeugter Religiöser" zu sein,
es genügt offenbar völlig, wenn man irgendwie vermutet, es könnte an irgendwelchen
religiösen Vorstellungen irgendwas "dran" sein, bums, dann ist man
schon "religiös", auch wenn's einem eigentlich egal ist.
Besonders unter den jungen Menschen hat man trotzdem signifikante Rückgänge
in der Religiosität festgestellt. In der Schweiz bezeichnen sich (trotz der
äußerst billigen Voraussetzung für den Status "religiös") nur 39 %
der unter 30-Jährigen so, in Österreich sind das 45 %, in Ungarn 40 %, im alten
Bereich der BRD (also ohne DDR) 37 %, in Tschechien nur 23 % und auf dem Gebiet
der ehemaligen DDR nur 13 Prozent, das ist Europa-Rekord. Noch überdurchschnittlich
religiös sind die Leute in Polen (nona), in Rumänien und in Griechenland.
Für Atheisten, die keine Alltagsatheisten sein dürfen, denen Religion einfach
wurscht ist, sondern, die sich bewusst dazu bekennen müssen, erreicht die Studie
natürlich keine hohen Werte. Meist liegt der Wert unter zehn Prozent, Ausnahmen
bilden Frankreich (25 %), Tschechien und wiederum die ehemalige DDR. Die grundlegende
Frage, ob man sich in seinem Alltagsleben fallweise religiös verhielte oder
sich mit Religion gar nicht befasse, wurde nicht gestellt. Weil dort wäre ein
hoher Prozentsatz von praktischen Atheisten zu finden gewesen.
Aber immerhin wurde sogar vorsichtig zugegeben, dass "religiös"
nicht unbedingt "Gottesglauben" bedeutet (also auch irgendwelche esoterische
Spinnereien oder das berühmte undefinierbare "höhere Wesen" dazugehören),
auch dass selbst Mitglieder von Religionsgemeinschaften nicht an den dort verehrten
Gott glauben. Aber Erhebungszahlen dazu wurden nicht erwähnt. Die Kirchenmitglieder wurden
nach "Kulturchristen" (man
ist Christ, weil es so der Brauch ist), "religiös motivierten" und
"ethisch motivierten" unterschieden. Letztere hätten Bedeutung für
das "christliche Wertesystem".
Leider gelangte nichts darüber in die Medien, was die Erhebungen über die Teilnahme am von den Kirchen angebotenen religiösen Diensten betrifft, also über Kirchbesuch, Stellenwert religiösen Verhaltens im persönlichen Leben und auch nichts darüber, wie weit Menschen ihr Wertesystem an der Religion ausrichten.
Um dieses offenbar vorwiegend nach christkatholischen Intentionen ermittelte europäische Wertesystem genauer zu studieren, werden wir das Erscheinen des Buches in einem Jahr abwarten müssen. Trotz katholischer Vorhand bei der Erstellung der Studie: Religion ist im Abstieg.