In offenen Briefen, adressiert an jedes einzelne Mitglied des Bundestages,
an die 27 deutschen Bischöfe, sowie an den Nuntius in Berlin, Jean-Claude Périsset,
weist die "Regionalgruppe München der Giordano Bruno Stiftung" auf
die Unvereinbarkeit unseres demokratischen Staates mit den Grundsätzen des kleinsten
Staates der Welt, der Vatikanstadt, hin. Die Briefe appellieren insbesondere
an die über 600 Bundestagsabgeordneten nachzudenken und gegebenenfalls der Papst-Rede
fernzubleiben.
Die Rede des katholischen Papst Benedikt XVI. im Bundestag
am 22. September macht die mangelnde Trennung von Kirchen und Staat in Deutschland,
- die finanzielle wie auch ideologische Verstrickung -, offensichtlicher denn
je. Die landesweite Ablehnung des parlamentarischen Papst-Auftritts reißt nicht
ab. Proteste sind sowohl in der Bundeshauptstadt, in Erfurt und in Freiburg
geplant.
Sehr geehrter Herr/Frau
mit diesem Schreiben möchten wir unseren Protest
gegen das Rederecht von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag nachdrücklich
zum Ausdruck bringen.
Mit dieser Einladung, die nicht auf Wunsch des
hohen Hauses sondern auf Anfrage des Papstes erfolgte, hat das Parlament sich
und dem Deutschen Volk keinen guten Dienst erwiesen. Für Nichtkatholiken, mit
70% die große Mehrheit der Deutschen (40% sind nicht einmal Christen), ist das
Rederecht des Papstes überhaupt nicht zu begreifen.
Bei diesen Bürgern
wird der Bundestag durch den Papstbesuch an Ansehen verlieren. Es ist ja auch
aus den Reihen der Abgeordneten Protest gegen die Rede des Papstes im Deutschen
Bundestag laut geworden. Schließlich wird der Papst in der Öffentlichkeit ausschließlich
als Oberhaupt der katholischen Kirche wahrgenommen.
Als Staatsmann vertritt
der Papst den kleinsten Kleinstaat der Welt. Dazu ist dieser Staat nach Struktur
und Ideologie ein totalitärer Feudalstaat, eine Staats- und Gesellschaftsform,
mit der die Menschen in der ganzen Welt und besonders wir Deutschen schlimme
Erfahrungen gemacht haben und die wir mitsamt dem Personenkult endgültig überwunden
haben möchten ("Der Papst besitzt als Oberhaupt des Vatikanstaates die
Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt.", Artikel
1, Satz 1 des "Vatikanischen Grundgesetzes", 2000).
Das Kirchenvolk
hat demnach in dieser Kleriker-Kirche nichts zu sagen, aber auch die Mitwirkung
der leitenden Kleriker bei der Willensbildung ist minimal. Sicher ist der Papst
ein interessanter Redner, aber als Oberhaupt eines solchen Staates hat er unseren
mehrheitlich demokratischen Abgeordneten nicht zu sagen.
Auch die Ethik,
die der Papst und der Heilige Stuhl vertreten, entspricht nicht unserer Lebenswirklichkeit
und nicht den Grundsätzen unserer Verfassung, nämlich:
Keine wirkliche Gleichheit aller Menschen vor seinem kirchlichen Gesetz. Keine
rechtliche und soziale Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Diskriminierung von Geschiedenen, Wiederverheirateten und Homosexuellen.
Widernatürliche Vorstellungen von Sexualität im säkularen und klerikalen Leben.
Das päpstliche Kondomverbot zum Beispiel begünstigt die Verbreitung von schwersten
Krankheiten und Seuchen und hat der globalen Volksgesundheit schon jetzt massiv
geschadet.
Die Zölibatspflicht
widerspricht in ihrer Konsequenz unseren Guten Sitten.
Keine individuelle Selbstbestimmung.
Gehorsam statt Anstand und Gewissen: Ein Pfarrer, der die Mutter seines Kindes
heiratet, wird entlassen und verliert seine Lebensgrundlage, aber ein Pfarrer,
der Kinder missbraucht hat, wird beschützt und kann weiter Priester bleiben.
Eine
solche Moral ist schädlich für ein Volk. Und der Hauptvertreter dieser rnenschen-verachtenden
Moral darf im Bundestag sprechen?!
Grundrechte und Menschen rechte haben
beim Papst einen anderen Stellenwert als in unserer Werteordnung. Der Vatikan
ist den entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen (UNO- und Europäische Konvention)
bis heute nicht beigetreten.
Der Umgang mit den Missbrauchsfällen durch
die Kirche, das gezielte Verstecken der Täter und die Einschüchterung der Opfer
zeigen deutlich die Missachtung unseres Staates und unserer Gesetze. Dafür trägt
der Papst die Verantwortung.
Es ist ein schlimmer Affront für die Opfer
dieses verbrecherischen Handelns, aber auch für jeden rechtschaffenen Bürger,
wenn der Hauptverantwortliche für dieses kriminelle Verhalten der Kirche jetzt
irn Deutschen Bundestag reden darf.
Wie sollen wir das unseren Kindern
erklaren, wenn wir sie zu Anstand und Rechtstreue erziehen wollen? Was sollen
die vielen Bürger, die gerade wegen dieses Papstes und seiner erschreckenden
Moral aus der Kirche ausgetreten sind, von unseren Volksvertretern halten?
Übrigens,
die Menschen kehren scharenweise den Kirchen den Rücken und laut Innenminister
geht die Kriminalität zurück! Also auch ohne Religion und Papst funktionieren
Staat und Gesellschaft.
Sollten nicht sowieso die Mensche n rechte und
die Aufklärung im Mittelpunkt unserer pluralistischen Gesellschaft stehen und
nicht die Religionen?
Wir erwarten deshalb von unseren Abgeordneten,
soweit ihnen unsere Gesetze wichtig sind und sie eine humanistische Ethik vertreten,
dieser Sondersitzung als sichtbaren Protest fernzubleiben. Diese Sondersitzung
ist überflüssig; Ihre Anwesenheit gehört nicht zu Ihren Pflichten als Abgeordnete.
Wir
werden die Abwesenheit der Abgeordneten bei dieser Papstrede als Zeichen einer
rechtsstaatlichen, demokratischen Gesinnung ausdrücklich begrüßen. Diese Sondersitzung
werden wir genau beobachten, vor allem im Hinblick auf Zustimmung oder Protest
und auch im Internet darüber berichten.
Mit freundlichen Grüßen,
im Auftrag "Regionalgruppe München der Giordano
Bruno Stiftung",
Dr. Heinrich Klussmann