Der deutsche Bundespräsident Wulff hatte in seiner Begrüßungsrede am 22.
9. 2011 in Berlin Papst Ratzinger einige Punkte vorgegeben. Er sprach den katholischen
Umgang mit den Missbrauchsopfern oder mit den katholischen Geschiedenen an.
Ratzinger machte sich in seiner Antwort nicht die Mühe, dazu was zu sagen. Ebenso
in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag.
In
der TV-Berichterstattung konnte dazu die dürftige Bildung der TV-Journalisten
bewundert werden. Weil Ratzinger den Positivismus ansprach, wurde ihm sogleich
bescheinigt, er hätte eine philosophische Rede gehalten. Dabei hat er nichts
anderes getan als das, was er sonst immer macht: er attackierte den "Relativismus"
und forderte die Vorherrschaft seines katholischen Absolutismus ein. Das haben
die TV-Journalisten nicht verstanden, wahrscheinlich sind sie nur an politische,
aber nicht an katholische Worthülsen gewohnt.
Denn
Ratzinger sprach nicht vom Relativismus, aber von der Naturwissenschaft und
der katholischen Religion,
er sagte:
"Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional versteht,
so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos und
Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen.
Das Gleiche gilt aber auch für die Vernunft in einem positivistischen, weithin
als allein wissenschaftlich angesehenen Verständnis."
Aus Wikipedia
zum Positivismus: "Der Positivismus ist eine Richtung in der Philosophie,
die fordert, Erkenntnis auf die Interpretation 'positiver Befunde' zu beschränken.
Das Wort 'positiv' wird dabei nicht wertend, sondern wie in den Naturwissenschaften
gebraucht, in denen man von einem 'positiven Befund' spricht, wenn eine Untersuchung
unter vorab definierten Bedingungen einen erwarteten Nachweis erbrachte. (..)
Auguste Comtes (1798-1857) Versuch, den Positivismus zur wissenschaftlich fundierten
Weltkultur auszubauen, wurde eines der großen utopistischen Projekte des 19.
Jahrhunderts. Comte entwarf ein Geschichtsmodell, nach dem sich die von ihm
vertretene Philosophie mit historischer Notwendigkeit durchsetzen musste. Die
Menschheitsentwicklung durchschritt historisch notwendige Entwicklungsstadien
von den ersten religiösen Kulten über den Monotheismus zu einer von den Wissenschaften
bestimmten Kultur (Dreistadientheorie: theologische, metaphysische und positive
Epoche). Der Motor der historischen Entwicklung war nicht ein Klassenkonflikt,
der in eine Weltrevolution mündete und in der die Arbeiterklasse die Herrschaft
übernahm, sondern die schlichte Ausbreitung der zukünftigen Gesellschaft mit
dem wissenschaftlichen Fortschritt."
Sowas ist für die katholische
Kirche natürlich auch 150 Jahre später verwerflich, eine Weltsicht ohne
Transzendenz, also ohne Religion, kann nur was Unzureichendes sein. Davon
lebt ja jede Religion: von sich selbst zu behaupten, was Höheres zu sein als
die wirkliche Welt. Zwar war die wahrhaft katholische Welt eine Welt voll
Blut, Terror, Unterdrückung und Ausbeutung, die jedwede positive Veränderung
mit größtem Einsatz bekämpfte, aber nunmehr hat die katholische Kirche diesbezüglich
keine Machtmittel mehr. Darum muss man sich anpassen.
Ratzinger: Das Christentum hat "auf Natur und Vernunft
als die wahren Rechtsquellen verwiesen - auf den Zusammenklang von objektiver
und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der
schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt."
Das "Naturrecht"
definiert sich nach Wikipedia so: "Der Begriff Naturrecht (..) oder
überpositives Recht ist eine rechtsphilosophische Bezeichnung für das Recht,
das dem gesetzten (..) oder positiven Recht übergeordnet sein soll" und
beruft sich auf folgende Quellen: "Gott oder eine bestimmte Gottheit,
der die Rechtsprinzipien bei der Schöpfung geschaffen hat, der als göttliches
Gesetz gedeutete Logos, der die Welt ordnet und ihre Abläufe regelt, das in
das menschliche Individuum eingeschriebene und wirkende Naturgesetz (Fähigkeit
zur Selbsterkenntnis und Orientierung des Gewissens), bestimmte naturwissenschaftliche
Notwendigkeiten, die sich in der Natur zeigen, die Natur als solche, die Vernunft."
Woraus
wohl "naturrechtlich" geschlussfolgert werden soll: Natürliches
braucht Übernatürliches, es kann kein von Menschen vernünftig (z.B. auf
Basis des "kategorischen Imperativs" von Kant) geformtes Recht für
das menschliche Zusammenleben wirken, sondern göttliche Vorgaben müssten das
Recht bestimmen.
Ratzinger versteigt sich in der Folge sogar dazu, daraus auch die von
der katholischen Kirche bis zum Zusammenbruch des Klerikalfaschismus strikt
abgelehnten Menschenrechte auf sein katholisches Naturrecht zurückzuführen:
Zuerst verneint er einen säkularen Zusammenhang zwischen Recht und
Ethos: "Ein positivistischer Naturbegriff, der die Natur rein funktional
versteht, so wie die Naturwissenschaft sie erklärt, kann keine Brücke zu Ethos
und Recht herstellen, sondern wiederum nur funktionale Antworten hervorrufen.
Das Gleiche gilt aber auch für die Vernunft in einem positivistischen, weithin
als allein wissenschaftlich angesehenen Verständnis."
Im Weiteren
schlussfolgert er: "Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her
ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen
vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem
einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr
Handeln entwickelt worden. Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser
kulturelles Gedächtnis."
Richtig ist jedoch: Die Idee der Menschenrechte ist GEGEN
die christliche Religion entwickelt worden! In der klerikalfaschistischen
Zeit forderte man die Rückkehr in die Zeit bevor erstmals das Wort "Menschenrechte"
auftauchte! Der österreichische Klerikalfaschist Engelbert Dollfuß sagte
am Katholikentag 1933: "Bleibt Euch des Ernstes unserer Zeit bewusst,
seid Euch dessen bewusst, dass wir die Aufgabe haben, die Fehler der letzten
150 Jahre unserer Geistesgeschichte gutzumachen und auf neuen Wegen unserer
Heimat ein neues Haus zu bauen, und dass jeder einzelne die Pflicht hat, an
diesem Neubau mitzuarbeiten. Wir alle gehen auch heute wieder mit dem Glauben
von hier weg, einen höheren Auftrag zu erfüllen. Wie die Kreuzfahrer von dem
gleichen Glauben durchdrungen waren, so wie hier vor Wien ein Marco d'Aviano
gepredigt hat "Gott will es" - so sehen auch wir mit starkem Vertrauen
in die Zukunft, in der Überzeugung: Gott will es!"
Laut damaliger katholischer Lehre wollte der christkatholische Gott keine
Menschenrechte. Nach heutiger päpstlicher Lehre hat er sie erfunden! So ein
Ausmaß an Lüge und Heuchlerei ist unerträglich.
Aber Ratzinger
kommentierte seine Rede gegen Schluss im Hintergrund selbst äußerst zutreffend:
Achtet auf Ton im Hintergrund!