Von Sepp Rothwangl,Obmann der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, Mitinitiator des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien.
Die unzähligen Fälle von Kinderschändung und deren absichtliche Verheimlichung
innerhalb der katholischen Kirche weltweit, die nun dem internationalem Strafgerichtshof
vorgelegt wurden, zeigen einen Circulus vitiosus auf, der endlich unterbrochen
werden muss, will unsere Gesellschaft nicht in die Spaltung einer zwar zunehmend
kleiner, dennoch aber reicher werdenden privilegierten Priesterkaste mit deren
Anhängern und einem immer größer werdenden Bevölkerungsteil in Verwahrlosung
geraten.
Die bisher ungestraft, unkontrolliert und weiterhin erfolgende
Kindermisshandlung, die von Klerikern gleichsam mit der Hand Jesu durchgeführt
wird, hat vielfältige Auswirkungen auf die Betroffenen und weiter auf die Gesellschaft.
Durch die Schwere der seelischen Auswirkung, die Schande, das Gefühl der Besudelung
und die Schuldgefühle, welche durch die Tabuisierung ausgelöst werden, dauert
es meist Jahrzehnte - wenn überhaupt - bis eine Bewusstwerdung erfolgt und eine
heilende Aufarbeitung angegangen wird. Schnelle Behandlung wie bei einem Unfall
oder einer Infektion und damit eine Ausschaltung der Ursache ist bei diesem
Formenkreis daher nicht möglich. Es ist wie bei einer Infektion mit enorm langer
Inkubationszeit, wo die Krankheit erst nach vielen Jahren ausbricht. Der Verursacher
der Ansteckung ist meist selbst schon tot oder kann nicht mehr ausgeforscht
werden, und da der Schaden so verzögert auftritt, wird oft auch der Zusammenhang
oft schwer erkannt.
Das Spektrum der Betroffenheit und ihre Auswirkung
ist zweifellos riesig, dennoch sei eine vage Einteilung in vier Gruppen versucht:
1.
Betroffene, die mit ihrem Schicksal allein irgendwie fertig werden, es verdrängen,
vielleicht unerklärlich durch Suizid sterben und als Dunkelziffer in die Statistik
eingehen.
2. Betroffene, die es durch rechtzeitige Therapie schaffen, ein
halbwegs gesundes Leben zu führen. Auch wenn sie es schaffen, sich seelisch
zu rehabilitieren, werden sie als Schmuddelkinder stigmatisiert und die Medien
und die Öffentlichkeit wollen die Berichte und Schilderungen eigentlich nicht
hören.
3. Betroffene, deren Leben nachhaltig zerstört wurde und welchen durch
die Grenzüberschreitung ihres Egos so großer Schaden entstand, dass sie selber
keine Grenzen mehr erkennen und den Boden unter den Füßen verlieren. Beziehungsunfähigkeit,
Kontrollverlust, Alkoholismus, Sucht, psychiatrische Erkrankungen und Suizid
stehen meist am Ende.
4. Betroffene, die das ihnen Angetane so weit verinnerlichen
und verarbeiten, dass sie es in ihr eigenes Verhalten integrieren und später
selbst zu Tätern werden. Ein nicht unbeträchtlicher Teil von kirchlichen Tätern
gab an, selbst als Kind von einem Priester in diese Form der Sexualität eingeführt
worden zu sein. Im geschützten Raum der Kirche leben diese Täter geradezu wie
die Maden im Speck und das Zölibat scheint diese Menschengruppe regelrecht für
die katholische Kirche auszusieben. Wie kann es sonst sein, dass eine Statistik
zeigt, die Prozentzahl an Pädophilen sei in der Kirche um das 17-fache höher
als im der Durchschnitt der Bevölkerung. Die finanzielle Macht der Kirche, mit
der sie ihr Ansehen ständig stützt und so Vertrauen gewinnt, bietet einstigen
Betroffenen, die sich danach zu Tätern wandeln, Attraktivität und Sicherheit.
So lange pädophile Kleriker aus dieser vierten Gruppe geschützt und unkontrolliert
sind, werden sie ihre Neigung auch umsetzen und zu Pädokriminellen werden. Wie
die bisherige Praxis zeigt, regiert die Kirchenführung in allen Fällen, wo ihr
Dinge dieser Art zuerst bekannt wurden, mit Verheimlichung, Vertuschung, Verniedlichung
oder Verleugnung, um damit ihr Ansehen zu wahren. Die Täter wurden versetzt
und setzten an anderer Stelle ihre unheilvolle und erst zu spät erkannte Spur
seelischer Verwüstung fort. Wie sich klar zeigt, erzeugt jeder dieser Täter
zig, wenn nicht hunderte Betroffene, worunter leider vielleicht wieder Einige
sind, die die diesen Kreislauf weiter führen.
Die rückwärts gewandte,
kitschige, nostalgische, katholische Glaubenswelt gibt den klerikalen Kinderschändern
nicht nur Schutz, da diese Verbrechen verborgen werden, um durch Wahrung des
Ansehens die Gläubigen bei der Stange zu halten, sondern auch auch den Nährboden,
der diese Perversionen begünstigt. Für Männer, die trotz ihrer sexuellen Abneigung
zu Frauen gesellschaftliches Ansehen genießen wollen, wirkt das Zölibat wie
ein Sieb, mit dem aber auch Pädophile aussortiert werden. Kein Wunder daher,
dass der Prozentsatz von Homosexuellen im Klerus jenen im Bevölkerungsschnitt
um ein Vielfaches übersteigt. Wie klerikale Kinderschänder ihre sexuelle Neigung
mit der ihnen selbst vielleicht unbewussten religiösen Verflechtung umsetzen,
zeigt das freimütige Geständnis eines solchen Täters, der sich deshalb nur von
präpubertären Knaben angezogen fühlte, weil sie so gut riechen. Er fügte hinzu,
dass sie nach der Pubertät uninteressant werden, weil sie dann anfangen zu böckeln.
Die abgründige Gesinnung dieser Menschen kommt hier zu Tage, wo die Kleriker
sich als Hirten einer Herde aufspielen und in wörtlicher Wiederholung eines
idiotischen religiösen Rituals in sexueller Verzückung ihr Opferlamm schlachten.
Der Schaden, den Betroffene in den Gruppen 1 - 3 erleiden, trifft in erster
Linie sie selbst, allerdings auch die Gesellschaft durch Sozialkosten durch
Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Frühpensionierung usw. Diesen volkswirtschaftlichen
Schaden entschädigen allerdings nicht die Verursacher, sondern die ganze Gesellschaft.
Besonders dramatisch ist, wie es Betroffene schildern, dass aus ihrer Jugendgruppe
mehrere vom selbem Kleriker geschändet wurden, und sie dann feststellten, dass
90% aus ihrer Gruppe verwahrlosten, in Sucht Psychiatrie oder Suizid endeten.
Es
scheint paradox, aber die Betroffenen aus Gruppe 4, welche in diesem klerikalen
pädokriminellen System gefangen den Kreislauf als Täter weiterführen, und den
größten gesellschaftlichen Schaden anrichten, brachten der Kirche selbst bisher
keinen Schaden, sondern sogar Nutzen.
Erstens sind sie es, die als meist
besonders charismatisch wirkende Vorbilder einige Wenige durch ihre sexuelle
Handlungen verführen und anstiften selbst als Kleriker wieder in dieser Weise
aktiv zu werden ..., also der Kirche durch Personalrekrutierung neue Kleriker
zuführen.
Zweitens erzeugen sie, weil bisher völlig unentdeckt, eine Unzahl
von weiteren Betroffen, die als Sozialfälle dann auf der Straße landen und für
deren Betreuung die kirchliche Caritas dann Gelder von der Öffentlichkeit sammelt.
Ein herrlicher Kreislauf von Arbeitsbeschaffung für kirchliche Sozialeinrichtungen
mit von der Kirche selbst erzeugten Klienten, für deren Betreuung die Kirche
um Mittel bittet, um damit z. B. die Caritas zu finanzieren. Dass dieses Geschäftsmodell
aber auch global mit Anzettelung von Kriegen funktioniert und dann die kirchliche
Flüchtlingsbetreuung in Gang setzt, wird durch die Lektüre von K.H. Deschner
offensichtlich.
Es ist ein wohl bekanntes, trauriges Faktum ist, dass
manche tief gläubige Betroffene so sehr in Abhängigkeit von ihren geistigen
und sexuellen Verführern geraten, dass sie diesen auch dann noch verteidigen,
wenn seine Verbrechen öffentlich werden, wie sich z.B. auch im Fall Groer zeigte.
Ein Abhängigkeitsverhältnis, das man mit Prostitution vergleichen kann, wo die
Zurichtung so weit gehen kann, dass ein Zuhälter von seiner Hure bis auf das
Äußerste verteidigt wird.
Wenn unsere Gesellschaft nicht erkennt, wohin
diese Reise geht und den Privilegien der Kirchen nicht Einhalt gebietet, so
geht es in einen kulturellen und gesellschaftlichen Abgrund, denn ein verdorbenes
unrealistisches Weltbild kann auf Dauer durch Wahrung des Ansehens nicht den
Anforderungen der Zukunft gerecht werden. Fortwährende Leugnung von Wahrheit
führt zu Realitätsverlust. So wird kein Überleben im Konkurrenzkampf und kein
erfolgreicher Umgang mit Unbill der Natur und beschränkten Ressourcen ermöglicht.
Massiver Kirchenaustritt allein scheint die herrschende Politikerkaste, eng
mit der Kirche verbunden, nicht zum Umdenken zu bewegen. Sie werden es büßen,wenn
sie die ihnen gegebene politische Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder
so wahrnehmen, wie Reinhard Mey im Lied "Sei Wachsam" singt: "Der
Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: 'Halt du sie dumm! Ich halt sie
arm!'"
Wenn die Steuerzahler hier weiter zuschauen, schaufeln sie
mit den Zuwendungen ihres Staates an die Kirchen sich ihr eigenes und das Grab
ihrer dann verwahrlosten Kinder. Es mag zwar immer wieder Pädokriminelle geben,
aber der Staat darf doch nicht eine Organisation fördern, der diesen Verbrechen
Vorschub leistet und die Verbrecher einer Bestrafung und Behandlung entzieht.
Beenden wir es, an eine Kirche mit einer absurden Religion zu glauben, und
wenden wir uns der Realität im Hier und Jetzt zu, um die Zukunft zu erleben.
Die wortwörtliche Erfüllung zweitausendjähriger sehnsüchtiger Phantasien von
Predigern eines unterdrückten Hirtenvolkes bringt uns heute nicht mehr weiter.
Wer dem frommen Satz der Kirchen "Wer glaubt, ist gut" gehorsam folgt,
ist gutgläubig, kritiklos und dumm.
Deshalb fort mit den Privilegien
der ewig Gestrigen, die vorgeben im Besitz der Vergangenheit zu sein und die
Geschichte und die Zeitrechnung der Vergangenheit doch nur zu ihrem Nutzen ähnlich
verfälschten, wie sie die Verbrechen der heutigen Kinderschänder in ihren Reihen
vertuschen. Nehmen wir im Hier und Jetzt die Zukunft in die Hand.
Nachbemerkung: das Volksbegehren wurde leider zu einem Flop. Die Strategie der Organisatoren, alle Zahlungen an Kirchen - also auch einschließlich der Zahlungen der Krankenkassen an kirchliche Krankenhäuser etc. - als Privilegien zu rechnen, gab den Kirchen billig die Möglichkeit, die staatlichen Privilegien im Sozialwesen unterzubringen und weitere Debatten über die echten Privilegien zu vermeiden, siehe dazu den Beitrag "Antikirchenprivilegienvolksbegehren gescheitert".