Mit ungewöhnlich scharfen Worten und einer Aufforderung an Gesundheitsminister
Stöger bzw. die Wiener Landesregierung, ihre Rolle als zuständige Aufsichtsorgane
für die betroffenen Ärztekammern ernst zu nehmen, reagierten "Initiative
Religion ist Privatsache" und "Gesellschaft für kritisches Denken"
mit einer gemeinsamen Stellungnahme auf das von der Ärztekammer adoptierte Theologen-Gutachten
zur Einfuhr von Leitlinien, die der Methodik der evidenzbasierten Medizin (EbM)
folgen.
Univ.-Prof.
Dr. Heinz Oberhummer, Vorstand der "Initiative Religion ist Privatsache"
und langjähriger Gegner der staatlich unterstützen Einmischung von Religionsgemeinschaften
in öffentliche Belange, hat weder für die Position der Wiener bzw. Österreichischen
Ärztekammer noch für deren Vorgehensweise Verständnis: "Dass Theologen
Kraft Gesetz in verschiedenen Ethikkommissionen ständig mitmischen dürfen, ist
schlimm genug. Dass die Ärztekammer aber ein Theologen-Gutachten einsetzt, um
gegen Qualitätssicherung und Kostenreduktion im Gesundheitswesen zu kämpfen,
stellt ein gefährliches Novum dar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ärztinnen
und Ärzte, die gesetzlich gezwungen werden, sich von den Ärztekammern vertreten
zu lassen und allesamt über eine akademisch-naturwissenschaftliche Ausbildung
verfügen, ausgerechnet in einem katholisch-theologisches Gutachten ihr eigenes
Sprachrohr finden". Inhaltlich kann Oberhummer weder dem Gutachten noch
der Opposition der Ärztekammer gegen EbM etwas abgewinnen. "Evidenzbasierte
Medizin wird weltweit zunehmend zum Standard. Auch in Österreich gewinnt sie
an Akzeptanz - vom Ministerium begonnen über die Sozialversicherungsträger bis
hin zu den Patientenanwälten und Fachvereinigungen wie ÖGARI. Die Ärztekammer
brilliert hingegen mit unsachlichen Gegenargumenten", so Oberhummer.
Auch
Univ.-Prof. DDr. Ulrich Berger, Vorstand der "Gesellschaft für kritisches
Denken", zeigt sich verwundert über die Vorgehensweise der Ärztekammer:
"Über Problemfelder der EbM kann jederzeit eine sachliche Diskussion
geführt werden. Es handelt sich hier jedoch nicht um Glaubensfragen, sondern
um Themenbereiche, die mit Theologie nichts zu tun haben". Besonders
kritisch betrachtet Berger die offensichtlich enge Kooperation zwischen der
Ärztekammer und der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien.
"Theologen sind keine Wissenschaftler - Konkordat hin oder her - und
als solche keineswegs qualifiziert, über medizinische Leitlinien zu urteilen"
hält Berger fest und warnte vor einer "Verunsachlichung" des Diskurses.
Um diesen Punkt zu veranschaulichen stellt er eine ironische Frage in den Raum:
"Warum sollen alleinig katholische Theologen über medizinische Leitlinien
urteilen? Diverse Spezialisten anderer Glaubensgemeinschaften hätten sicher
auch interessante Meinungen dazu. Homöopathen, Astrologen und Hellseher womöglich
auch!".
Das Schreiben an
BM Stöger und die Wiener Landesregierung enthält auch eine sehr detaillierte
kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Theologen-Gutachtens.