Die Gesellschaft für wissenschaftliche Aufklärung und Menschenrechte (GAM)
begrüßt das Urteil gegen die religiöse Unsitte der Beschneidung als Schritt
in die richtige Richtung
Erstmals hat jetzt das Landgericht Köln die
Beschneidung von Knaben aus religiösen Gründen, die einen massiven Eingriff
in die körperliche und psychische Unversehrtheit von unmündigen Kindern darstellt,
in einem Urteil in zweiter Instanz als Straftatbestand gewertet. Damit wird
die lang anhaltende skandalöse Akzeptanz von Grundrechtsverletzungen unter dem
Deckmantel der Religionsfreiheit in diesem einen konkreten Fall außer Kraft
gesetzt.
Der moderne säkular-demokratische Rechtsstaat basiert
auf der Überwindung des absoluten Deutungs- und Normierungsanspruchs religiöser
Vorgaben. Eines seiner Grundprinzipien lautet deshalb, dass die religiösen
Glaubenssysteme innerhalb der posttraditionalen ‚Moderne' nur in einer Form
akzeptiert werden können, in der die Grund- und Menschenrechte nicht verletzt
werden. Deshalb ist eine kritische Bewertung der rituellen und normativen Grundgehalte
der jeweiligen Religion unverzichtbar. Insofern die Ausübung ritueller und normativer
Religionsaspekte mit Grund- und Menschenrechten kollidieren bzw. diese verletzten,
muss das Recht auf positive Religionsfreiheit im Sinne einer konsequenten Prioritätssetzung
eingeschränkt werden, d. h. der Grundsatz gelten:‚Grund- und Menschenrechte
vor positiver Religionsfreiheit'.
Im konkret vorliegenden Fall hat
das Gericht dieses Grundprinzip dahingehend angewandt, dass es das Recht des
Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit
(Art. 2 GG) sowohl dem Recht auf Religionsausübung als auch dem elterlichen
Erziehungsrecht übergeordnet hat. Entgegen dem elterlichen Zwang, unmündige
Kinder in eine religiöse Glaubensgemeinschaft hineinzuziehen, sei, so das Gericht,
das Erziehungsrecht der Eltern "nicht unzumutbar beeinträchtigt",
wenn sie bis zur Volljährigkeit abwarten müssten, ob sich das Kind später für
eine Beschneidung als "sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam"
entscheide.
Nicht zuletzt schafft dieses Urteil auch Rechtssicherheit
für Ärzte, die nun wissen, dass sie sich strafbar machen, wenn sie dem Wunsch
religiös-traditionalistischer Eltern nach Beschneidung ihrer unmündigen Söhne
nachgeben.
Die jetzt eingenommenen Empörungsposen von reaktionär-traditionalistischen
Muslimen und Juden geben wiederum zu verstehen, dass diese in der säkular-demokratischen
Wirklichkeit nicht angekommen sind und offenkundig auch nicht ankommen wollen.
Die Mehrheitsgesellschaft sollte ihnen unmissverständlich klarmachen, dass das
Einfordern von Akzeptanz gegenüber irrational-grundrechtswidrigen Traditionen
und Bräuchen nicht geduldet wird, auch dann nicht, wenn es im Gewand des Religiösen
daherkommt.
Als "wichtige und längst fällige Weichenstellung" wertete die
"Initiative Religion ist Privatsache" das jüngste Urteil des Landesgerichts
Köln gegen die religiös motivierte Beschneidung von Minderjährigen. Vorstandsmitglied
Heinz Oberhummer in einer ersten Reaktion dazu: "Körperverletzung ist
Körperverletzung und Kinder können von dem Genuss der Grundrechte nicht ausgeschlossen
werden. Und schon gar nicht aus religiösen Gründen".
Unmittelbare
Auswirkungen für die Rechtslage in Österreich ortet Oberhummer jedoch nicht.
"Die österreichische Gesetzgebung hat bisher alles unternommen, um
die religiöse Bevormundung von Kindern zu fördern. In einem Land, das die religiöse
Erziehung von Kinder mit öffentlichen Mitteln finanziert, in dem zweieinhalb-jährige
Kinder gezwungen werden, unter dem Kreuz den öffentlichen Kindergarten zu besuchen
oder Schüler verpflichtet werden, einen oft religiös geprägten Ethikunterricht
zu besuchen, nur weil sie nicht zum Religionsunterricht gemeldet sind, wird
ein Beschneidungsverbot vermutlich noch länger auf sich warten lassen".
Pessimistisch sei Oberhummer jedoch nicht: "Mit diesem Urteil wurde
immerhin ein wichtiges Zeichen gesetzt, das langfristig ein Umdenken bewirken
wird. Und davon wird die Babytaufe auch nicht auszunehmen sein".