Religiöse Kinderkörperverletzungspflicht?

Gibt es ein aus religiösen Gründen verfassungsmäßig garantiertes Menschenrecht auf Körperverletzung an Unmündigen?

Hier einige Stellungnahmen zum Kölner Urteil, dass die Beschneidung von Kindern Körperverletzung sei (siehe Info Nr. 941). Interessanterweise traut sich niemand von den Beschneidungsfans die Genitalverstümmelungen von Mädchen als religiöses Grundrecht zu verteidigen, obwohl es ja in den Gegenden, wo es das immer noch gibt, ebenfalls religiös begründet wird. Die Frage, warum im Islam und im Judentum männlichen Kleinkindern mit religiösen Begründungen die Vorhaut entfernt werden muss und warum man damit nicht warten kann, bis diese Kinder zu jungen Männern herangewachsen sind und selber darüber entscheiden können, wird nicht debattiert.

Zuerst Jan Orth vom Kölner Landgericht: "Die Kammer hat das Erziehungsrecht der Eltern und die Religionsfreiheit der Eltern abgewogen gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes und ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Eltern in ihren Rechten nicht beeinträchtigt werden, wenn sie abwarten müssen, ob sich das Kind später selbst zu dieser Beschneidung entscheidet" (Anm.: das Urteil ist übrigens rechtskräftig, weil der beschneidende Arzt wegen "Verbotsirrtums" freigesprochen wurde und rechtlich somit nur über den Sachverhalt "Beschneidung aus religiösen Gründen" entschieden wurde, dagegen kann niemand berufen, da niemand deswegen verurteilt wurde).

Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland, Ali Kizilkaya: "Das Urteil nimmt keinerlei Rücksicht auf die seit Jahrtausenden weltweit durchgeführte religiöse Praxis der Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen. Handlungen, die wesentlicher Bestandteil von Islam und Judentum sind und als abrahamitische Tradition seit Jahrtausenden durchgeführt werden, werden damit in Deutschland kriminalisiert."

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland sieht das Urteil als "eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht. Die Religionsfreiheit ist ein sehr hohes Gut in unserer Verfassung und darf nicht Spielball einer eindimensionalen Rechtsprechung sein, die obendrein diesem Thema gegenüber bestehende Vorurteile und Klischees noch weiter verfestigt."

Die Deutsche Bischofskonferenz nennt das Urteil "äußerst befremdlich" und bezeichnete das Verbot als "schwerwiegenden Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern". Denn es sei nicht erwiesen, dass die Beschneidung dem Wohl des Kindes schade. "Es ist auch nicht einsichtig, weshalb die Beschneidung dem Interesse des Kindes zuwiderlaufen soll, später selbst über seine Religionszugehörigkeit zu entscheiden".

Der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke meinte hingegen, Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungsrecht seien unzureichend gegen das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit abgewogen worden. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur, um in Deutschland Rechtssicherheit zu schaffen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zu BILD: "Das Kölner Urteil hat international Irritationen ausgelöst. Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt sind."

Der türkische EU-Minister Egemen Bagis: Die Beschneidung als Körperverletzung zu werten, sei eine Dummheit. Die Beschneidung als "heilige Angelegenheit" sei keine Sache der Gerichte. Das Thema müsse aus Sicht der Religions- und Gewissensfreiheit betrachtet werden.

Zentralrat der Juden - Presseerklärung vom 26.06.2012: Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht im Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet hat, einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann: "Diese Rechtssprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt. Die Beschneidung von neugeborenen Jungen ist fester Bestandteil der jüdischen Religion und wird seit Jahrtausenden weltweit praktiziert. In jedem Land der Welt wird dieses religiöse Recht respektiert."

Zum Abschluss eine Botschaft von der Site "Jews Against Cirumcision" (Juden gegen Beschneidung): Wir sind eine Gruppe gebildeter und aufgeklärter Juden, die erkannt haben, dass die barbarische, primitive, qualvolle und verstümmelnde Praxis der Beschneidung keinen Platz im modernen Judentum hat.

Wozu man noch nachbemerken muss: die "Zeugen Jehovas" haben der Narretei dogmatisiert, man dürfe keine Bluttransfusionen erhalten, weil es in der Apostelgeschichte 15,19-20 heiße "Darum meine ich, dass man denen von den Heiden, die sich zu Gott bekehren, nicht Unruhe mache, sondern ihnen vorschreibe, dass sie sich enthalten sollen von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut". Den Zeugen Jehovas wird deshalb von ihren Predigern eingetrichtert, sich auch des Blutes von Transfusionen enthalten zu müssen. Das wäre ebenfalls ein Thema für ein Gerichtsurteil: wer seinen Kindern im Notfall die Bluttransfusion zu verweigern trachtet, gehört vor Gericht gestellt, weil er schwere Schädigungen oder den Tod des Kindes billigend in Kauf nimmt. Ebenfalls angeklagt gehörten Ärzte, die solchen lebensgefährlichen Wünschen nachkommen.

Und als abschließende Bemerkung: Es sollte die Aufnahme von Babys mittels Taufe in christliche Kirchen ebenfalls rechtlich nicht akzeptiert werden. Einklagbare Kirchenbeitragsvorschreibungen sollte es nur gegen Personen geben, die freiwillig als Volljährige eine entsprechende Einverständniserklärung unterschrieben haben. Schließlich können Säuglinge ja auch nicht dem ÖAMTC, der SPÖ oder dem Freidenkerbund kraft elterlicher Anmeldung beitreten.