Der folgende Text stammt von der Site des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Diese Entscheidung stammt aus dem Jahre 2007.
Die im muslimischen Lebens- und Kulturkreis übliche Beschneidung von Jungen
stellt ohne wirksame Einwilligung in die Vornahme des ärztlichen Eingriffs eine
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und rechtswidrige Körperverletzung
dar, die ein Schmerzensgeld rechtfertigen kann. Dies hat der 4. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main jetzt (d.i. der 21. August 2007) in einem
Prozesskostenhilfeverfahren entschieden.
Der Antragsteller begehrte Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er
seinen Vater wegen seiner im 12. Lebensjahr veranlassten Beschneidung auf Zahlung
eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 Euro in Anspruch nehmen will.
Die Eltern des Antragstellers sind geschieden. Der Antragsteller wohnt bei
seiner Mutter, die auch das alleinige Sorgerecht für ihn hat. Zum fraglichen
Zeitpunkt verbrachte er jedoch die Ferien bei seinem Vater, einem streng gläubigen
Moslem. Auf dessen Veranlassung hin wurde der Junge von einem Arzt beschnitten.
Die Mutter, die nicht Muslima ist, hatte die Beschneidung stets abgelehnt.
Der Prozesskostenhilfeantrag hatte in 2. Instanz Erfolg, weil dem Antragsteller
ein Entschädigungsanspruch wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts
und rechtswidriger Körperverletzung zustehen könne. Sein Vater habe den nicht
einsichts- und nicht einwilligungsfähigen Jungen bewogen, sich der Beschneidung
zu unterziehen, ohne Inhaber des elterlichen Sorgerechts zu sein und damit rechtswidrig
in dessen Selbstbestimmungsrecht eingegriffen. Dabei lässt der Senat ausdrücklich
offen, ob generell und bis zu welchem Alter die Einwilligung zu einer Beschneidung
durch muslimische Eltern als vom Erziehungs- und Sorgerecht umfasst angesehen
werden könnte. Die Beschneidung könne, auch wenn sie keine gesundheitlichen
Nachteile mit sich bringe, im Einzelfall für das kulturell-religiöse und körperliche
Selbstverständnis des Betroffenen von Bedeutung sein. Die Entscheidung hierüber
falle deshalb in den Kernbereich des Rechts einer Person, über sich und ihr
Leben zu bestimmen. Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes setze nicht voraus,
dass der Antragsteller tatsächlich körperliche oder seelische Nachteile erlitten
habe oder erleiden werde. Angesichts der Schwere der Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechtes rechtfertige allein schon die Genugtuungsfunktion eine
Geldentschädigung. In welcher Höhe ein Schmerzensgeld letztlich gerechtfertigt
sei, hänge davon ab, ob und inwieweit der Antragsteller langfristig körperliche
oder seelische Nachteile erleide oder, wie er behauptet, wegen seiner Andersartigkeit
von gleichaltrigen verspottet werde. Diese Umstände bedürfen nach Auffassung
des Senats noch der Darlegung im Einzelnen. Zu berücksichtigen sei dabei auch,
dass die Beschneidung im Allgemeinen für die Sexualität des Mannes keine Bedeutung
habe und der Antragsteller noch darlegen müsse, worin gerade für ihn in der
Beschneidung ein Leiden liege. Über die endgültige Höhe des Schmerzensgeldes
ist daher nunmehr im Klageverfahren zu befinden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 21. August 2007 - Az:
4 W 12/07
2007 rief dieses Urteil keinerlei öffentliches Aufsehen hervor, vermutlich weil der Kläger von einem nicht als erziehungsberechtigt eingetragenen Vater zur Beschneidung gezwungen wurde. Aktuell wäre jetzt eine ähnliche Klage eines erwachsenen Beschnittenen, der seinen Vorhautverlust seinen regulären Erziehungsberechtigten "verdankt", interessant.