Ägypten: Weg frei für Islamismus?

Überraschend hat der islamistische Präsident von Ägypten Mohammed Mursi am 12.8.2012 die Macht des bisherig defakto regierenden Militärrates - zumindest formal und vorerst - aufgehoben. Verteidigungsminister Tantawi und Generalstabschef Sami Annan werden pensioniert, die vom Militärrat vor der Wahl Mursis zum Präsidenten festgelegten Verfassungszusätze aufgehoben. Anlass des Vorgehens gegen das Militär dürften die seit 8.8. ablaufenden Kämpfe auf der Halbinsel Sinai zwischen ägyptischem Militär und islamistischen Freischälern gewesen sein, die Islamisten hatten einen Grenzposten überfallen und sechzehn Grenzschützer getötet. Mit den Verfassungszusätzen hatte sich der Militärrat die Aufsicht über den Staatshaushalt und über die Erstellung einer neuen Verfassung zu sichern versucht.

Mit der Ausschaltung des säkular orientierten Militärs könnte sich Mursi speziell den Weg in Richtung einer kompromisslosen islamistischen Verfassung freizulegen trachten. Die Islamisten (Muslimbrüder und Salafisten) haben im Parlament eine abgesicherte Zweidrittelmehrheit und könnten über die Verfassung nun nach Belieben entscheiden.

In westlichen Staaten waren politische Kommentare zum Teil einfältig genug, nur von einem weiteren Schritt in Richtung Demokratie zu reden, statt der Gefahr eines ägyptischen Marsches in Richtung islamistische Republik ihr Augenmerk zuzuwenden. Dass in diesem Land eine weitere von der Scharia geformte Despotie entsteht, ist jedenfalls wahrscheinlicher geworden.

Bei den ägyptischen Präsidentenwahlen hatte nur rund die Hälfte der Wahlberechtigten teilgenommen, die säkularen Gruppierungen hatten keinen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt. Bei der ersten Wahlrunde war Muslimbruder Mursi mit 24.8 % Erster geworden, Amhed Shafiq, der letzter Premier Mubaraks, erreichte mit 23,7 % Platz 2 und der säkulare Kandidat Hamdeen Sabbahi wurde mit 15.5 % Dritter, insgesamt hatten die Säkularisten eine deutliche Mehrheit, da aber der ehemalige Mubarak-Mann Shafiq in die Stichwahl kam, konnte Mursi gewinnen und kann jetzt auf der großen islamistischen Mehrheit im Parlament aufbauen.

Der Parlamentswahltriumph der Islamisten im Jänner 2012 würde sich heute eher nicht mehr wiederholen lassen, die Islamisten hatten damals die beste Organisationsstruktur und versprachen das Blaue vom Himmel. Das Meiste davon konnte nicht verwirklicht werden, im Gegenteil, die Probleme haben sich vermehrt, die Bevölkerung ist frustriert. Bloß ein paar tausend Islamisten haben am 12.8. für Mursi demonstriert, für 24.8. ist aber eine große Protestdemo gegen ihn in Vorbereitung, da wird sich dann zeigen, wie die Lage sich im Allgemeinen darstellt.

Prophezeiungen sind trotzdem schwierig, ob aus dem ägyptischen Frühling der Weg in den islamistischen Winter jetzt rascher weitergeht oder doch nicht, kann man nicht wissen. In Richtung säkulare Demokratie geht der Weg jedoch sicher nicht.