MÜNSTER. (hpd/exc) Der Religionssoziologe Detlef Pollack beschreibt die
Situation der katholischen Kirche nach dem Papstrücktritt als Probleme einer
Weltkirche, die durch gegenläufige Tendenzen in den sozialen Kontexten der verschiedenen
Kontinente gekennzeichnet sei. Dafür gäbe es keine einheitliche Strategie.
"Während
in Deutschland und vielen anderen westeuropäischen Ländern die Zahl der Kirchenmitglieder
und Gottesdienstteilnehmer zurückgeht, verzeichnen andere Regionen der Erde
Zuwächse", erläutert der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack vom Exzellenzcluster
"Religion und Politik" der Universität Münster. "Für den Nachfolger von Benedikt
XVI. kommt es darauf an, die verschiedenen sozialen Kontexte der katholischen
Kirche im Auge zu behalten." Eine Strategie, die alle Probleme löse, könne es
angesichts der beträchtlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen
nicht geben.
In den USA blieb die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche
in den vergangenen Jahrzehnten in etwa gleich, auch durch Zuwanderung aus den
katholischen Ländern Lateinamerikas. In anderen Regionen verzeichnet die Kirche
Zuwächse, etwa in Teilen Asiens und Afrikas. Dort ist allerdings der Anteil
der Katholiken insgesamt niedrig: In Afrika macht er etwas mehr als 15 Prozent
aus, in Asien erreicht er nicht einmal fünf Prozent. In traditionell katholischen
Regionen wie Lateinamerika liegt er hingegen bei weit über 50 Prozent. In Europa
beläuft er sich auf etwa 40 Prozent.
"In Westeuropa fallen vor allem in den einst hoch katholischen Ländern wie
Irland und Spanien Abbruchstendenzen auf", so der Forscher. Der traditionell
hohe Kirchenbesuch sei dort regelrecht eingebrochen. Als Grund nennt der Religionssoziologe
den gewachsenen Wohlstand, durch den säkulare Alternativen zu kirchlichen Angeboten
leichter verfügbar würden, etwa Medien-, Freizeit- und Unterhaltungsangebote.
Die
Kirche in Deutschland hatte in den vergangenen Jahren laut Prof. Pollack nur
einen "relativ moderaten Mitgliederrückgang" zu verzeichnen. Er sei weniger
durch hohe Austrittszahlen bedingt als durch eine niedrige Reproduktionsrate.
"Es sterben mehr katholische Kirchenmitglieder, als durch Taufe ersetzt werden
können." Die Austrittsrate hingegen sei selbst 2010, als die Missbrauchsfälle
aufgedeckt und breit diskutiert wurden, nur leicht nach oben gegangen. "Der
Anteil der Austritte an der Gesamtzahl der Kirchenmitglieder stieg damals von
etwa 0,5 Prozent in den Vorjahren auf 0,73 Prozent an. 2011 ging er wieder
auf etwa 0,5 Prozent zurück."
Damit kann die katholische Kirche nach
den Worten des Wissenschaftlers ihre Mitglieder in Deutschland deutlich besser
halten als die evangelische Kirche. Dort falle die Austrittsrate bis auf das
Jahr 2010 stets höher aus als in der katholischen Kirche. "Zugleich schafft
es die evangelische Kirche, mehr Menschen anzuziehen. In die katholische Kirche
treten nur wenige Menschen ein oder über." Gemessen am Vertrauen, das in repräsentativen
Umfragen bekundet werde, sei das Image der katholischen Kirche schlechter als
das der evangelischen.
Das Problem der katholischen Kirche in Deutschland
besteht dem Religionssoziologen zufolge weniger in sinkenden Mitgliederzahlen
als in einem dramatischen Einbruch der Beteiligung am kirchlichen Leben. "In
den 1950er Jahren nahm am Gottesdienst noch mehr als die Hälfte der Katholiken
regelmäßig teil, heute nur noch etwa ein Siebtel"
Der künftige Papst sollte die verschiedenen Weltregionen nach Einschätzung
von Prof. Pollack im Blick behalten und die regionalen Unterschiede kirchenpolitisch
berücksichtigen. "Papst Benedikt XVI. hat mit seinem Programm einer Entweltlichung
der Kirche, wie er es den deutschen Katholiken ans Herz gelegt hat, auf eine
Entflechtung von Kirche und politischen, rechtlichen und ökonomischen Strukturen
abgezielt. Zugleich war sein Pontifikat durch den Versuch gekennzeichnet, die
Einheit der Kirche, ihre innere institutionelle Verfasstheit und die geistliche
Konzentration zu stärken."
Diese Doppelstrategie sei offensichtlich für
eine Kirche in Deutschland entworfen worden, die er "wohl als materiell reich,
aber geistlich arm" wahrgenommen habe. "In anderen Weltgegenden steht die katholische
Kirche anders da. Für sie werden daher auch andere kirchenpolitische Programme
erforderlich sein."