Was auf dieser Homepage ziemlich regelmäßig festgestellt wird, kann nun
auch in der Nr. 1/2013 der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" nachgelesen
werden. Je größer die Klassenunterschiede in den Gesellschaften sind, desto
höher ist die Bedeutung der Religion. Und umgekehrt: je mehr Bedeutung Gleichheit
in einer Gesellschaft hat, desto säkularer und religionsfreier ist sie.
Die
Religion als "Opium des Volkes" erfährt eben genau dann Nachfrage,
wenn die entsprechende Definition von Karl Marx zutrifft: "Das religiöse
Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation
gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur,
das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie
ist das Opium des Volkes."
Das Ausmaß des Leidens der bedrängten
Kreatur in einer herzlosen Welt, verbunden mit geistlosen Zuständen ist und
bleibt die wesentliche Voraussetzung für die Bedeutung von Religion.
"Je ungerechter
es in einer Gesellschaft zugeht und je weiter die Schere zwischen den Einkommen
geöffnet ist, desto höher ist der Stellenwert der Religion (..). Und: In Ländern
mit größeren Einkommensunterschieden sind sowohl ärmere als auch reichere Menschen
eher religiös als in Ländern mit geringeren Unterschieden -Reiche sogar überproportional
stark. In wirtschaftlich ausgeglichenen Ländern sind sie dagegen weniger religiös
als die Armen."
"Atheistischere Länder sind friedlicher. Das zeigte der britische Religionswissenschaftler
und Biologe Tom Rees mit einer Auswertung des Global Peace Index 2009. Dieser
bewertet den Friedensgrad anhand von 23 Kriterien -darunter Kriege, Bürgerkriege,
das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen und Waffenhandel, die Zahl der Morde
und der Gefängnisinsassen sowie der Grad der Demokratisierung. Wie friedlich
ein Land ist, korreliert positiv mit dem Prozentsatz der Atheisten und negativ
mit dem Prozentsatz derjenigen religiösen Menschen, die (..) mindestens einmal
im Monat einen Gottesdienst besuchen."
"Viele Studien haben auch einen engen Zusammenhang zwischen Ängstlichkeit
und Religiosität nachgewiesen. Einerseits sind religiöse Menschen ängstlicher,
andererseits kann Religion die Angst auch mindern. Dies ist eine weitere Erklärung,
warum in kritischen Situationen und instabilen Ländern mehr Menschen gläubig
sind."
"Wenn
es um das Ausmaß des Glaubens geht, ist das Einkommen des Einzelnen weniger
wichtig als die Qualität der Gesellschaft: In Ländern mit größeren Problemen
sind mehr Menschen religiös -unter den Armen genauso wie unter den Reichen.
In stark religiösen Ländern sind Nichtreligiöse im Schnitt unglücklicher als
Religiöse. In weniger religiösen Ländern haben sie hingegen weniger negative
Emotionen als ihre religiösen Mitbürger. Das Fazit (..) lautet:
In besser gestellten Gesellschaften leben mehr Nichtreligiöse, und sie fühlen
sich tendenziell gleich gut oder besser als Religiöse -in Ländern mit ungünstigeren
Lebensbedingungen dagegen haben Religionen mehr Anhänger, und religiöse Menschen
fühlen sich besser als nichtreligiöse."
"Höhere Steuern verringern in demokratischen Gesellschaften das Auseinanderklaffen
der Einkommensschere und die 'Ausbeutung' öffentlicher Mittel. In Ländern mit
mehr religiösen Menschen sind die Einkommensunterschiede in der Regel größer,
die Steuersätze niedriger und die staatlichen Sozialausgaben geringer. Aber
warum geben Länder mit einer religiöseren Bevölkerung weniger für die soziale
Wohlfahrt aus? Die Antwort klingt überraschend: Weil es eine Mehrheit der Gläubigen
so will. Denn nichtreligiöse Menschen befürworten staatliche Wohlfahrt meist
stärker als religiöse."
"Länder, in denen der Glaube eine relativ geringe Rolle spielt, schneiden
im Hinblick auf den Zustand ihrer Demokratie besser ab -Spitzenreiter sind
nordeuropäische Nationen."
Und Religion war und ist deshalb ein Herrschaftsmittel: "Religion lässt
das Interesse an materiellem Wohlbefinden sinken und verspricht Belohnung im
Jenseits. Dadurch bleiben die Privilegien der Reichen bestehen, genau wie die
Bedingungen sozialer Ungleichheit."
Der neue Papst Franz kommt aus Südamerika, wo die Religion genau aus den
hier angeführten Gründen weitaus mehr Bedeutung hat als in Europa. Die soziologischen
Hintergründe für diesen Sachverhalt sprechen somit ganz klar gegen die gesellschaftliche
Bedeutung von Religion und für säkulare Gemeinschaften. Die Religionen müssten
daher darauf setzen, dass der zurzeit herrschende Neoliberalismus weiterhin
die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Masse der Menschen verschlechtert.
Der Papst machte des öfteren Äußerungen zugunsten der Armen. Womit er dabei
aber kaum
das Herangehen der Befreiungstheologen meinte, nämlich die Verhältnisse zu ändern,
sondern sozusagen ein Mehr an Almosen forderte. Klostersuppensozialismus bringt
den Menschen kaum was, hält aber die Klassenverhältnisse stabil: wenn die Klassenunterschiede
groß sind, dann ist auch die Religion groß, weil der bedrängten Kreatur in einer
herzlosen Welt die Religion als - vielleicht einzige -Hoffnung bleibt.
Für
eine bessere, eine gerechtere Welt zu sein, gegen die ständig steigende Ausbeutung,
gegen Banken und Konzerne und raffgierige Manager aufzutreten, verbessert auch
die geistigen gesellschaftlichen Verhältnisse, weil das "Opium des Volkes"
weniger Suchtgefahr verbreitet, wenn die Verhältnisse besser werden. Seit
dem Konkurs des Realsozialismus und dem daraus folgenden politischen Niederbruch
der Sozialdemokratie und der Spezifizierung der heutigen Linken auf eine
Art Almosensozialismus für Randgruppen sind allerdings die Verhältnisse so,
dass "Reformen" grundsätzlich nur noch Verschlechterungen für den
Großteil der Bevölkerung bedeuten und speziell die Christenparteien ihre menschenfeindlichen
Ideen wieder wie ehedem umsetzen können. In den aufgeklärten europäischen Staaten
wird es trotzdem nicht möglich sein, die alten Voraussetzungen für Religiosität
der breiten Masse der Bevölkerung wieder zu steigern.
Denn das "Kommunistische
Manifest" schloss mit dem Satz "Die Proletarier dieser Welt haben
nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier
aller Länder, vereinigt euch!" In den letzten 150 Jahren haben durch
die Arbeiterbewegung die arbeitenden Menschen zwar ihre Ketten nicht verloren,
aber in wahrnehmbarem Ausmaß eine neue Welt mit besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen gewonnen. Und
diese gewonnene Welt noch mehr zu verlieren, dagegen werden sich die Menschen zur
Wehr setzen, der Neoliberalismus kann nicht endlos so weiter machen wie
bisher, es kommt nicht die Situation, dass die Menschen in ihrer Bedrängung
wieder religiös werden, sondern dass die Laternen zu wenig sein werden, um die für
die Bedrängung und Ausbeutung Verantwortlichen daran aufzuhängen.
Ca
Ira! Das geht ran!
Das war historisch schon mal.
In der französischen Revolution ging es um die Aristokraten. Für diese gibt
es im Neoliberalismus die passenden Äqivalente für den schon langsam anschwellenden
Volkszorn. Wenn allerdings die politische Linke weiterhin nur Trostplaster verteilt
für die Löcher, die der Neoliberalismus in die Menschenköpfe schlägt, dann
kann der Volkszorn auch von der falschen Seite kommen. Das hatten wir auch
schon einmal. Die Linke wird daher wieder sozialistische Politik machen
müssen und keine almosensoziale, mit Karl Marx für die arbeitenden Menschen
und eine gerechte Gesellschaft!