Entarteter Kommerz

Publiziert am 10. November 2013 von Wilfried Müller auf wissenbloggt.

Damit der Tag nicht ohne einen Anflug von Humor und Sarkasmus vergeht, wird hier auf die Fehlfunktionen des Kommerz' abgehoben. Warum gibt es eigentlich kein Museum des Entarteten Kommerz'? Bei der "Entarteten Kunst" gab's ja auch eine Ausstellung unter dem Motto "Gequälte Leinwand/Seelische Verwesung/Krankhafte Phantasten/Geisteskranke Nichtskonner". (Bild: Kurt Scheele, der Mann, der das Gras wachsen hört)

Man musste allerdings nicht das Gras wachsen hören, um die Rückkehr zur Correctness mitzukriegen, und irgendwann wurden die inkriminierten Kunstwerke allgemein als geschmackvoll empfunden. Ist es beim Entarteten Kommerz nicht genauso?

Also denken wir uns eine Ausstellung unter dem Motto "Gequälte Steuerzahler/Finanzielle Beraubung/Krankhaftes Profitstreben/Geisteskranke Politiker", und das Ganze packen wir ins Museum für Entarteten Kommerz. Klarerweise drängeln sich da die Objekte, die zur Schau gestellt werden müssen.

das Wachstum um des Wachstums willen -das ist ein prachtvolles Objekt der entarteten Sorte. Ursprünglich wurde die Marktwirtschaft mal erfunden, um die Bedürfnisse von Konsumenten und Produzenten aufeinander abzustimmen, Letztlich sollte sie den Menschen dienen. Irgendwie ist das in Vergessenheit geraten. Jetzt dienen die Menschen der Wirtschaft, und weil die Wirtschaft Wachstum braucht, ist alles dem Wachstumsstreben untergeordnet. Wehe wenn nicht, dann gibts's Rezession und Arbeitslosigkeit, und die Löhne gehen runter. Wenn das Wachstum wiederkehrt, gehen die Löhne allerdings auch runter.
die Globalisierung macht's möglich. Da erarbeiten die Menschen eine wissenschaftliche Grundlage, auf der die tollste Technik entwickelt wird. Diese Technik wird vom entarteten Kommerz sogleich gegen die Menschen eingesetzt. Gemeinheiten werden möglich, die früher undenkbar waren, zum Beispiel, dass die Arbeitsplätze auf Wanderschaft um die ganze Welt gehen. Das Know-How steckt jetzt im Computer drin und kann weltweit gegen seine Entwickler eingesetzt werden. Die Arbeitsplätze landen bei armen Menschen, die sich keine Menschenrechte erkämpft haben, und die deshalb superbillig unter schlechtesten Bedingungen arbeiten müssen, was letztlich alle Arbeit superbillig macht.
die Steueroasen sorgen für eine andere Wanderschaft, dahin wandern nämlich die Gewinne. Statt dass sie vor Ort versteuert werden, arbeitet eine entartete Steuervermeidungsindustrie darauf hin, sie rund um die Welt zu verschieben. Die notleidenden Staatsfinanzen der Industrieländer künden vom Riesenerfolg der Steuerflucht, und das spült unendliche Geldmengen in die Taschen der Privilegierten.
die Zockerbuden, die früher mal Börsen hießen, sind der richtige Platz fürs Jonglieren mit diesen Geldern. Die entartete Zockerei gipfelt im Hochfrequenzhandel, wo Aktien millionenweise in Mikrosekunden herumjongliert werden -nein, das ist keine Entartung, das ist eine Pervertierung des Investitionsgedankens. Ein hervorstechendes Objekt unter Werken des entarteten Kommerz'.
die Roboter geben der Arbeitsbevölkerung dann den Rest. Indem die Menschen sie mit Hochdruck entwickeln, arbeiten sie darauf hin, sich selber überflüssig zu machen. Die Roboter und Automaten können bei jeder neuen Generation mehr, und zum Lernen brauchen sie nicht länger, als das Aufspielen der Software dauert. Sie arbeiten wohlgemerkt nicht für die Allgemeinheit, der sie damit das Leben verschönern könnten, sondern für die Besitzenden. Sie zahlen keinerlei Sozialabgaben und arbeiten deshalb gegen die Allgemeinheit, noch ein phantastisches Stück entarteter Kommerz.

Das sollte für das normale Fassungsvermögen genügen. Wer noch ein Schmankerl obendrein braucht, schaue sich eine unglaubliche technische Entwicklung an, die in den letzten Jahren um sich gegriffen hat. Das ist ein echtes Vorzeigeobjekt in der Linie des entarteten Kommerz', nur auf andere Weise.
Da werden also Schaltungen aufgrund der Quantenphysik entwickelt, mit deren Hilfe eine Menge Intelligenz in Siliziumstücke hineingejazzt werden kann. Raketen werden entwickelt, die Satelliten in den Raum schießen. Hochkomplexe Datenverarbeitungsnetze werden gestrickt, eine Unmenge Hi-Tec wird verbaut - und das Ergebnis ist ein Gerät, das sich in die Hand schmiegt und das man ans Ohr halten kann. Man kann auch reinsprechen, und das klingt dann so:
"Du, ich bin grad hier umme Ecke, aber hier rockt nix."
"Hier auch nix, was machma denn nu?"

Solcher Aufwand, um diesen Tratsch zu transportieren? Die besten Köpfe erfinden ein Instrumentarium, in dem die größten Plattheiten verbreitet werden? Wenn das nicht eine wunderbare Entartung ist? Aber wie gesagt, "Entartung" ist tabu. Deshalb ist der Entartete Kommerz zum Normalzustand geworden, und das Museum dafür können wir uns sparen. Vielleicht holen spätere Generationen das nach. Hoffen wir, dass sie nicht noch mehr Schaustücke vorzuzeigen kriegen.