"Ein Gelehrter, der nicht mehr schreiben und lesen kann? Was
dann?"
Hans Küng, Theologe und Kirchenkritiker
Liebe Freundinnen und Freunde,
diesen Jahresrückblick beginnen wir, wörtlich sowie symbolisch, am Ende und
zwar mit einem Zitat Hans Küngs. Es reicht eigentlich, über die vom Schweizer
Theologen abschließend gestellte zweisilbige Frage zu reflektieren. Dank einem
unheiligen Schulterschluss zwischen einer politisch interventionsfreudigen
Kirche und einer alt-neuen diskursscheuen Regierung, soll uns künftig jedoch
solch ein Denkprozess -geschweige denn die Entscheidungsfreiheit -verwehrt
werden. Mit dem schwammigen Killerargument "Menschenwürde" soll jegliche Form
der Sterbehilfe nun auch auf Verfassungsebene verboten
werden. Ganz nebenbei -doch darüber redet derzeit noch keiner -soll freilich
auch die Fristenlösung infrage gestellt werden: das wäre nur konsequent. Klingt
verschwörerisch? Vielleicht. In Spanien ist aber gerade das erst im Jahr 2010
erkämpfte Recht auf Schwangerschaftsunterbrechung dem "Würdeargument" zum Opfer
gefallen. Das neue Regierungsprogramm veranschaulicht recht eindrucksvoll, dass
auch hierzulande Kirchen-Lobbyismus ein politikbestimmender Faktor ist. Das
Thema Sterbehilfe wird daher im Jahr 2014 mit einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit hoch auf der politischen Tagesordnung stehen und wir werden
nach Kräften versuchen, das Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen.
Doch alles der Reihe nach.
Mit der Veröffentlichung eines prominent unterstützten Positionspapiers
zum Ethik- und Religionenunterricht im April dieses
Jahres, konnte die Initiative Religion ist Privatsache eine Gegenthese
zum Kirchen- und ÖVP-Modell etablieren und die Forderung "Ethik für ALLE!" medienwirksam
unterstützen. Die Gefahr der bundesweiten Einführung des verfassungsrechtlich
bedenklichen Entweder-oder-Modells ist zwar noch nicht gebannt, bestehende
Haarrisse im pro-religiösen Konstrukt "Ethik als Strafunterricht" konnten aber
erweitert und vertieft werden. Kein Grund zur Freude liefert jedoch die
Tatsache, dass das Thema Ethikunterricht im neuen Regierungsprogramm gänzlich
fehlt: der gesetzlich verankerte Auftrag der Schule, Werteerziehung zu
vermitteln, wird somit noch länger flächendeckend missachtet werden -zum
Leidwesen der Rechtsstaatlichkeit in Österreich. Es gab aber auch weitere
schulbezogene Themen, die uns heuer beschäftigten. Erneut flammte die
Kreuzdebatte auf, nachdem in einer Wiener Volksschule, einem
Elternprotest zufolge, Schulkreuze abgehängt
und anschließend (und ohne gesetzliche Deckung) wieder angebracht
wurden. In ihrem Kampf, einerseits für mehr Rechtsstaatlichkeit und
anderseits für weniger religiöse Bevormundung, erhalten die couragierten Eltern
seitens der Initiative Religion ist Privatsache juristische Unterstützung.
Ungeachtet des noch ungewissen Ausganges dieses Streites konnte aber bereits im
Vorfeld ein wichtiger Erfolg erzielt werden: im Rahmen der breit geführten Diskussion konnte
der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, dass Schulkreuze nicht konsensfähig
sind. Aber nicht nur Kreuze verkörpern die weitverbreitete religiöse
Bevormundung in öffentlichen Schulen. Im Rahmen der Informations- und
Diskussionsrunde "Gott in der Schule -was
tun?" konnten wir -rechtzeitig vor Schulbeginn -erstmals kritischen Eltern
die Möglichkeit geben, sich zu informieren und, was noch wichtiger ist, zu
erfahren, dass sie nicht alleine sind.
Im Jahr 2013 konnte die Initiative Religion ist Privatsache gleich
zwei Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) einbringen,
die, falls erfolgreich, weitreichende Auswirkungen haben könnten. Dies trifft
insbesondere zu auf einen Individualantrag
gegen die Nichtabsetzbarkeit des von ihm geleisteten Mitgliedsbeitrages an die
Initiative. In Österreich ist nämlich ausschließlich der Kirchenbeitrag
steuerlich als Sonderausgabe abzugsfähig. Die zweite Beschwerde
betrifft ein Thema, dass uns bereits 2012 beschäftigt hat: die
ORF-Karfreitagsschweigeminute. Hier ist der VfGH gefordert zu entscheiden, ob
der ORF als Stiftung öffentlichen Rechts befugt ist, in Eigenregie und im
eigenen Namen fromme Religionsbekundungen abzugeben.
Nachdem im Februar eine "Missbrauchsenquete" der
"Klasnic-Kommission" -in der Tat ein kirchlicher PR-Event -in
letzter Minute vom Parlament verbannt werden konnte, sah
sich die sog. "Unabhängige Opferschutzanwaltschaft" mit der Klage eines Wiener
Anwalts konfrontiert. Die behaupteten und offensichtlichen Verletzungen gegen
das Unlauteren-Wettbewerb-Gesetz wollten jedoch weder das Handelsgericht noch
das OLG-Wien als Berufungsinstanz anerkennen. Anlässlich seines von der
Initiative unterstützten Ganges zum Obersten Gerichtshof (OGH) veranstalteten
wir eine Pressekonferenz,
in deren Rahmen abermals die Forderung nach einer staatlichen und unabhängigen
Missbrauchs-Untersuchungskommission laut geworden ist. Dieser Forderung
schlossen sich sowohl Grünen- als auch NEOS-Vertreter an.
Wie im Jahr zuvor konnte die Initiative auch im Jahr 2013 zahlreiche weitere
Themen medienwirksam der Öffentlichkeit zur Diskussion
stellen. Unser Appell an den damaligen Außenminister Michael
Spindelegger, sich für die Freilassung des in Saudi-Arabien wegen Blasphemie
inhaftierten Raif Badawi
stark zu machen, fruchtete vorerst nicht; viel zu sehr scheint das offizielle
Österreich damit beschäftigt zu sein, über ihre Beteiligung am
"König-Abdullah-Zentrum" Diktatoren-PR zu betreiben. Mit Interesse verfolgten
die Medien eine Strafanzeige der Initiative in Zusammenhang mit der vom BMI
herausgegebenen "Orthodoxen
Kirchenzeitung", samt zahlreichen Bildinseraten des damaligen
Staatssekretärs Sebastian Kurz, der zusätzlich wegen kirchlicher
Einmischung in den Wahlkampf seitens der Initiative gerügt wurde.
Abschließend dürfen wir uns bei allen, die, in welcher Form auch immer,
unsere Tätigkeit unterstützt haben, herzlich bedanken.
Frohe Feiertage und ein erfolgreiches neues Jahr wünschen
Heinz Oberhummer
- Michael Franz - Eytan Reif
PS: Rechtsanwaltsleistungen und Gerichtsverfahren, Presseaussendungen und
-konferenzen, Veranstaltungen und selbst unsere Webpräsenz: alles hat seinen
Preis. Anders als die Kirchen und Religionsgesellschaften Österreichs erhält
jedoch die "Initiative Religion ist Privatsache" von der öffentlichen Hand
KEINEN CENT. Unsere parteipolitische Unabhängigkeit, die nach wie vor außer
Diskussion steht, lässt weitere Finanzierungsmöglichkeiten ausscheiden. Die
Aktivität der Initiative Religion ist Privatsache ist gerade daher auch
von deiner Spende
abhängig!