Humanisten fordern Erziehungspluralismus

PRESSEMITTEILUNG der Humanistische Alternative Bodensee - Säkular-humanistischer Zusammenschluss

HABO fordert Landesregierung zu
Pluralismus in der frühkindlichen Erziehung auf:


Mehr humanistisches Denken an Kindertagesstätten und im Vorschulalter

Die Landesregierung in Baden-Württemberg war mit der Zusage angetreten, im Bildungswesen eine Vielfalt an weltanschaulichen Überzeugungen zuzulassen. Die Einführung eines Anspruchs auf Ethik-Unterricht ab der 1. Klasse hat sie wegen finanzieller Fragen auf unbestimmte Zeit verschoben -und an die frühkindliche Betreuung hat sie gar nicht erst gedacht. Entsprechend fordert die "Humanistische Alternative Bodensee" (HABO), Kindern bereits in den ersten Lebensjahren einen Pluralismus an Perspektiven anzubieten. Sowohl in Kindertagesstätten, als auch im Vorschulalter bleibt die Erziehung bis heute im Wesentlichen auf die einseitige Blickweise der Landesverfassung gerichtet, die die Bildung "in Ehrfurcht vor Gott" als wesentliches Ziel formuliert. Zu ihren Anliegen für die HABO durch ihren Sprecher, Dennis Riehle, wie folgt aus:

"Gerade der Glaube entwickelt sich in den ersten Jahren der Kindheit und wird durch die Erziehung bis zur Pubertät zementiert. Vorgelebte Überzeugungen und Traditionen werden dann von den hilflosen Kleinsten übernommen, weil ihnen gar keine andere Chance bleibt, als sich an dem zu orientieren, was im Elternhaus, im sozialen Umfeld, in der Kindertagesstätte oder in der Schule vorgelebt wird. Kaum etwas färbt -wissenschaftlich nachgewiesen -in den ersten Jahren des Lebens so ab, wie die wesentlichen Werte, Weltbilder und Denkweisen, die für die Kinder wichtig sind, um sich die Realität erklären zu können. Untersuchungen und Studien zeigen in dramatischer Weise: Wer in einer geschlossenen, von der Außenwelt abgeschnittenen Umgebung aufwächst, in der Eltern oder Erzieher mit einer weltfremden Glaubensvernarrtheit das Zepter in der Hand haben, erfährt nicht nur einen Kulturschock, wenn er in die freie Welt entlassen wird. Auch Unselbstständigkeit, fehlendes Selbstbewusstsein und maßgebliche soziale Kompetenzen bleiben zurückgebildet -gleichsam wie Toleranz, Offenheit und Weitblick.

Und dabei geht es nicht einmal nur um den Gottesglauben, sondern viel eher auch um die Grundlagen im zwischenmenschlichen Miteinander. Gerade biblische und sonstige Botschaften von Schriften, die Kindern vor allem in christlichen und anderen religiös fundamentalen Kreisen einsuggeriert werden, hinterlassen Spuren: Da ist es später einmal für Jugendliche selbstverständlich, sich nach dem Grundsatz ‚Auge um Auge‘ zu richten oder bestimmte Lebensweisen abzulehnen, weil sie als sündhaft verdammt werden. Gerade, als kürzlich mehrere Dutzend Kinder aus einer christlichen Sekte befreit wurden, die von Geburt an nie an die Öffentlichkeit oder in staatliche Schulen und Kindergärten kamen, wurden die Schäden, die mit solch einer "Pädagogik" angerichtet werden, deutlich: Die heute schon teils 15-Jährigen waren davon überzeugt, dass die Erde 3000 Jahre alt ist und ließen sich auch nicht vom Gegenteil umstimmen. Sie sind derart paralysiert, dass es wohl kaum mehr möglich sein wird, sie von Tatsachen zu überzeugen.

Wer Kindern die Freiheit zur Entdeckung, zum uneingeschränkten und unabhängigen Wissenserwerb und die Selbstständigkeit, aus eigenem Interesse heraus Erfahrungen zu sammeln, nimmt, der verhindert, dass sie sich ihr individuelles Bild aller Dinge machen. Eigentlich ist das ein Eingriff in das grundgesetzlich garantierte Persönlichkeitsrecht -und daher ist es vollkommen richtig, dass junge Menschen viel mehr Wahlfreiheit und Angebot brauchen, um bereits in früher Kindheit den Facettenreichtum von Perspektiven für sich abwägen zu können. Ich finde es eine Zumutung, dass Eltern bis zum 18. Lebensjahr entscheiden dürfen, wo und unter welchem Einfluss ihre Kinder zu lernen und die Welt zu erleben haben.

Und natürlich ergibt sich daraus auch: Wer es nicht anders kennt, als sich im Zweifel auf einen Glauben zu verlassen, der kann in größter Not plötzlich in große Hilflosigkeit geraten. Marx sagte nicht umsonst, Religion sei ‚Opium des Volkes‘. Religion beruhigt und blendet -das kann gerade dann eine (wenn auch trügerische) Entlastung sein, wenn man zeitweise nicht die Kraft hat, auf das Irdische zu hoffen und zu vertrauen. Letztlich hat aber jeder, der sich allein auf das nicht Fassbare verlässt, wohl kaum auf Fels gebaut, wie es die Kirche denjenigen verheißt, die ihren Gottesglauben besonders intensiv praktizieren. Viel eher erleben wir religiöse Überzeugung wie Treibsand: Anfangs scheint man noch fest zu stehen, ehe man langsam aber sicher einsinkt und verloren geht.

Glaube ist ein trügerischer Halt -und daher ist es unverantwortlich, wenn man Kinder in der Überzeugung aufwachsen lässt, sie könnten sich in der Krise auf ihn verlassen. Denn dann stehen sie eines Tages wirklich vor der Herausforderung, kein anderes Handwerkszeug mitbekommen zu haben, um sich den tatsächlichen Hürden zu stellen. Dann sind sie allein gelassen, wenn der liebe Gott das Gebet und die Bitten plötzlich nicht mehr erhört und man verzagt vor dem Ruin seines Glaubens und meist auch in einer tiefen Sinn- und existenziellen Ausnahmesituation steckt. Glaube ist ein wahrlich guter Strohhalm; bei zu viel Halt bricht er ab -oder geht unter. Wer das Fahrradfahren nie ohne Stützräder probieren wird, der fährt mit ihnen auch mit 70 noch herum. Kinder müssen mutig sein dürfen, ihre eigenen Wege zu gehen. Und dafür braucht es an jeder pädagogischen Einrichtung einen humanistischen, einen freidenkerisch-säkularen Anteil an Erziehungs- und Lerninhalten. Dafür setzen wir uns gegenüber der baden-württembergischen Landesregierung ein."

Dennis Riehle, Sprecher - www.humanisten-bodensee.de