Lauter Heiden, kaum noch Christen

Die Pläne von Papst Franz, sich ein Bild vom Verhältnis der katholischen Kirchenmitglieder zur katholischen Kirchenlehre in Sachen Familie und Sexualität zu machen, haben bisher in einzelnen bekannt gewordenen Umfrageergebnissen gezeigt, dass die diesbezüglichen Kirchenlehren und die gelebte Praxis der Kirchenmitglieder miteinander nicht viel zu tun haben.

Auf der Site kath.net war 9.1.2014 ein Artikel eines strengkatholischen Funktionärs - Prof. Hubert Gindert vom Forum Deutscher Katholiken - zu finden, in welchem es u.a. heißt:
Nach den bisherigen Erfahrungen mit Dialogkonferenzen wird man schnell bei den bekannten Reizthemen (Zölibat, geschiedene Wiederverheiratete, Priestertum der Frau etc.) ankommen.
Dabei liegt die Zielvorgabe auf der Hand: Neuevangelisierung! Warum? Weil sich das Heidentum wie ein Buschfeuer ausbreitet.
Der junge Theologieprofessor Joseph Ratzinger hat in seinem Aufsatz "Eine 'Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen'" konstatiert: "Nach der Religionsstatistik ist das alte Europa noch immer ein fast vollständiger christlicher Erdteil. Aber es gibt wohl kaum einen zweiten Fall, in dem jedermann so genau wie hier weiß, dass die Statistik täuscht: Dieses, dem Namen nach christliche Europa ist seit rund 400 Jahren zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, und sie von innen her auszuhöhlen droht... Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, und gerade das ist das kennzeichnende sowohl der Kirche unserer Tage, wie auch des neuen Heidentums, dass es sich um ein Heidentum in der Kirche handelt und um eine Kirche, in deren Herzen das Heidentum lebt". Diese Feststellung stammt aus dem Jahr 1958!
Das Ergebnis der Umfrage zur Bischofssynode im Oktober 2014 unterstreicht, wie sich das Heidentum innerhalb der Kirche breit gemacht hat, z.B., wenn in den Kommentaren zum Fragebogen zu Ehe und Familie steht, dass sie "junge Paare geradezu als naiv ansehen, wenn sie nicht schon vor der Ehe zusammenlebten".

Prof. Gindert weiß, worum es in der katholischen Kirche zu gehen hat, nämlich darum, das Evangelium Christi zu verkünden und zu leben. Dazu brauche es Glaubenswissen, Glaubensgehorsam und klare Zielvorgaben, aber keineswegs Diözesansynoden, wo demokratisch über Glaubenssätze abgestimmt wird.

Damit hat er sicherlich recht und es wäre wahrhaft angebracht, wenn sich die katholische Kirche ernsthaft danach richtete und das verkündete, was im katholischen Katechismus steht. Und Ratzinger hatte natürlich auch 1958 völlig recht: das Christentum war seit Reformation und Aufklärung oft nur noch aufgezwungene Staffage. Die Mehrheit der Menschen ließ das Christentum über sich ergehen.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass in meiner Kinderzeit unweit von uns eine ältere Frau wohnte, die voll in ihrem christkatholischen Glauben aufging, nur für Christus und sein Botschaft lebte, jeden Tag zur Messe ging und den Menschen in ihrer Umgebung die frohe Botschaft verkündete. Unterbrochen wurde dieses hingebungsvolle wahrhaft christkatholische Leben allerdings des öfteren durch Einweisungen ins "Narrenhaus" - wie damals psychiatrische Anstalten im alltäglichen Wortgebrauch noch genannt wurden. Ihre religiösen Verkündigungen unterblieben dann für einige Wochen, manchmal auch Monate, geheilt konnte die arme Frau nicht werden. Aber sie wird bestimmt in der Überzeugung gestorben sein, nun sogleich beim HErrn Jesus im Paradies zu sein.

Die anderen Menschen in meiner damaligen Umgebung waren praktisch fast alle katholisch, ein paar waren ausnahmsweise evangelisch, in meiner Schulzeit von 1953 bis 1965 bin ich einem einzigen konfessionslosen Mitschüler begegnet, der Artikel 14 über die Religionsfreiheit im Staatsgrundgesetz von 1867 hatte im ländlich-dörflich-kleinstädtischen Bereich noch keine praktischen Auswirkungen, da regierten noch Gegenreformation und durchaus wahrnehmbar der Klerikalfaschismus.

Für die Masse der Bevölkerung galt es, sich nach den Gepflogenheiten in der Gemeinschaft zu richten, je kleiner und je ländlicher ein Ort war, umso höher war die Frequenz des Sonntagsmessebesuchs, aber einen Glauben so wie er im Büchl steht, hatten die Menschen trotzdem nicht. Sie liebten sozusagen die katholische Version vom Kim Il Sung, weil die Liebe zum Kim Il Sung Vorschrift war. Ratzinger hatte völlig recht, damals saßen überwiegend Heiden in der Kirche.

Das hat sich seither entscheidend gebessert. Die Heiden sitzen nimmer in der Kirche, sind aber überwiegend noch Kirchenmitglieder. Aber auch das wird von Tag zu Tag besser.

Und kein katholischer Professor kann dagegen was tun.
Denn für eine "Neuevangelisierung" der europäischen Heiden, bräuchte man auch Heiden, die sich evangelisieren lassen. Und die gibt's nicht. Denn das Problem ist nicht das fehlende Glaubenswissen, sondern der Glaubensinhalt: die frohen Botschaften des Herrn Jesus sind nicht nur längst obsolet geworden, vor allem fehlen heute einerseits die staatlichen und gesellschaftlichen Zwangsmittel und andererseits die Nachfrage nach dem christlichen Opium: das "Opium des Volkes" wurde durch den Sozialstaat weitgehend entbehrlich gemacht und wenn es doch gebraucht wird, gibt es so viele andere religiös-esoterische Opiate, dass kaum noch wer seine psychische Erlösung unbedingt im Christentum suchen muss. Ratzingers "Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen" ist im ständigen Wegschrumpfen. Und es gibt für die Christenkirchen dagegen kein Mittel mehr. Ist doch schön!