Neiddebatte aufgewärmt

Publiziert am 12. Mai 2014 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt

800px-Limburg_-_7_Laster_NeidAktueller Anhaltspunkt sind Zahlen aus London und woanders, die am 10.5. in der Süddeutschen Zeitung zu lesen waren. In der Wochenendbeilage gab es einen entlarvenden Artikel von Alexander Hagelüken, Die Hausbesetzer â€" Eine neue Klasse der Superreichen ist gerade dabei, unsere schönsten Städte zu übernehmen. Für Immobilien werden irrwitzige Preise bezahlt (nicht online, Bild: Laster Neid, Santiago2000, Wikimedia Commons).

Ergänzt wird das durch Ungewöhnliches Städte-Ranking London hat die meisten Milliardäre (SZ 11.5.): In den Nobelstadtteilen Mayfair, Knightsbridge und Belgravia kostet ein  Reihenhaus oder ein Apartment 10 Mio. Pfund = 12 Mio. Euro. Ergänzend der SZ-Artikel Superreiche in London â€" Ein Privatjet der Gemütlichkeit (7.3.13): Wer durch die Wohnviertel im Westen der Stadt schlendert, kann den obszönen Reichtum gar nicht übersehen. Eine Kopfzählung bringt die Zahl der Milliardäre nach Städten geordnet in diese Reihenfolge:
London 72 (von 104 in ganz GB)
Moskau 48
New York 43

Die 104 britischen Krösusse haben ein Gesamtvermögen von 368 Mrd. Euro, das ist mehr als vor der Krise 2008, während das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen seitdem erheblich runtergegangen ist. Das passt vollkommen zu der Statistik, nach der 60% der Wertschöpfung nicht bei den Schöpfern landet, sondern bei Investoren & Managern, und zwar global.

Die Zahlen werden vom Jahresgutachten des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bestätigt (der Link ist wackelig, deshalb hier ein paar Eckdaten): Sozialversicherungspflichtige in Vollzeitbeschäftigung
1993 25,5 Mio.  (77%)
2001 23,7 Mio.  (71%)
2003 22,7 Mio.
2005 21,8 Mio.
2012 21,8 Mio. bei viel mehr Erwerbstätigen (69%)

In Deutschland liegen laut Paritätischem Gesamtverband die durchschnittlichen Vermögen niedriger als in den anderen großen EU-Staaten, und auch der Median ist niedriger, d.h. die Ungleichverteilung ist größer: Die obersten 10% haben ein Durchschnittsvermögen von 1,15 Mio. Euro, die unteren 20% im Schnitt 4.600 Euro Schulden. Das Durchschnittsvermögen insgesamt ist 83.000 Euro pro Erwachsener bei einem Median von 17.000 Euro â€" eine enorme Schieflage, die aus der zunehmenden Armut breiter Bevölkerungsschichten kommt: "Ganz offenbar ist eine große, wachsende Zahl von Menschen von der Wohlstandsentwicklung abgekoppelt."

Die Armut trifft Erwerbslose (60%), Alleinerziehende (41%!), Rentner (14%), auch Abhängig Beschäftigte und Selbständige. ZEIT ONLINE war das einen Artikel wert, Paritätischer Wohlfahrtsverband â€" Immer weniger Menschen profitieren vom Wohlstand (24.4.): Der Paritätische Wohlfahrtsverband beklagt die wachsende soziale Spaltung in Deutschland. Der Regierung wirft der Verband Tatenlosigkeit und Ignoranz vor (Allerdings mit Gegenzahlen von der wirtschaftsfreundlichen OSZE, die auch das TTIP positiv sieht).

Mit dieser Einstimmung auf die Neiddebatte kann nun das eigentlich Neue drankommen, das in dem SZ-Hausbesetzer-Artikel beschrieben steht. Die Hausbesetzer sind die Superreichen, die sich in den Nobelvierteln breitmachen, mit unangenehmen Folgen. Hagelüken zur extremen und dauerhaften Ungleichheit der Vermögen: "Und wer jetzt ins Grübeln gerät, dem liefert der Wohnungswahn eine schrille Illustration dazu, was im globalen Kapitalismus schiefläuft."

Die kostbaren Immoblien sind nämlich vielfach nur "Geisterhäuser". Sie sind der zweite, dritte, zehnte Wohnsitz der Superreichen und stehen demenstsprechend oft leer. Der SZ-Artikel: "Wir bauen hier Banksafes in den Himmel, wo die Käufer ihre Wertgegenstände hineinlegen und dann mal bei Gelegenheit vorbeischauen können." Das hat zwei üble Wirkungen:
Es treibt die Immobilienpreise hoch, so dass sogar andere Wohlhabende aus den Vierteln hinausgetrieben werden, ganz zu schweigen von den Normalverdienern, die da komplett weichen müssen.
Es beschädigt die Urbanität der Städte, denn unbelebte Gebäude zerstören den Grund, warum die Menschen ein Viertel aufsuchen, das Soziale, das Gemeinschaftserlebnis.

Die teuren Viertel sind kein Ort für die Stadtbewohner mehr, sondern eine Enklave für die oberen 0,01%, vermutlich auch mit immer abschreckenderen Sicherheitsmaßnahmen, die das gemeine Volk draußenhalten. So werden die Städte der Allgemeinheit enteignet und entfremdet. Das ist kein Statement des Neids, sondern des Zorns, zumal es sich vielfach um unverdienten Reichtum handelt. Schmarotzer sind aber allerorten unbeliebt.

Wissenbloggt-Links dazu:
Strafe für ungezogene Banker
Innovative Reichtumspflege
Der Traum von der Wiedererlangung der verborgenen Reichtümer
Keine Chancengleichheit, kein Wohlstand für alle
Deregulierter Kapitalismus siegt
Neuer Wallraff bei den Wall-Street-Raffern