Gottesvergiftung und Gottesentzug

Darüber schrieb am 26.11.2014 kathweb,
was sich ein bisschen gottlosen Kommentar verdient:

Kathweb: Statt "Gottesvergiftung" heute "Gottesentzug" in der Erziehung
Religionspädagoge Langenhorst betont gegenüber beiden "fatalen" Extremismen: Kinder brauchen Religion
War in der Erziehung früherer Generationen eine "Gottesvergiftung" das Problem, so hat heute eher ein "Gottesentzug" in der Pädagogik Platz gegriffen. Auf diese zunehmende Ausblendung von Religion in der pädagogischen Landschaft der Postmoderne hat der Augsburger Religionspädagoge Georg Langenhorst in der "Theologisch-praktischen Quartalschrift" (2014/4) hingewiesen. Das vom Psychoanalytiker Tilmann Moser in seinem berühmten Buch "Gottesvergiftung" von 1976 aufgezeigte Phänomen einer Instrumentalisierung von Religion im Dienst einer "schwarzen Pädagogik", bei der Kinder und Jugendliche "mit übermächtigen Gottesbildern und Moralvorstellungen" konfrontiert wurden, sei in heutigen Erziehungskontexten hingegen kaum mehr zu finden.
Atheistischer Anmerkung: Es hat was für sich, der heutigen Laisser-faire-Erziehung kritisch gegenüber zu stehen, weil diese voraussetzt, alle Kinder hätten in ihrem Verhalten entsprechende Einsichten. Da ich selber ein Schüler war, der sich eher nicht einordnen wollte und daher oft nur unter Druck und Zwang funktionierte, wäre ich heute als Schüler wohl einer derjenigen, für die das Lernniveau soweit abgesenkt werden müsste, dass es meinen Freiwilligkeitslevel nicht übersteigt, was heißt: ich würde viel weniger lernen als ich damals lernen musste. Aber mit dem alten Religionsunterricht hat das nichts zu tun: ich hab mich als Kind auch nicht vor dem donnernden katholischen Gott gefürchtet, weil ich diesen ganzen Religionsschmonzes nie geglaubt habe.

Kathweb:
Gegenüber beiden "fatalen" Extremismen betonte Langenhorst, "dass zumindest Kinder Religion brauchen, unabhängig davon, ob sie sich später als Erwachsene zu einer konkreten Konfession bekennen und eine bestimmte Religion praktizieren". Heranwachsende bräuchten Religion "gegenwartsbezogen" zum Aufbau von kindlich tragfähigen Weltbildern und Wertvorstellungen, aber auch "zukunftsorientiert" im Hinblick auf ihre Entwicklung zu eigenständigen, selbstverantworteten, gebildeten Persönlichkeiten.
Atheistischer Anmerkung: Mir war der Religionsunterricht, den ich von 1953 bis 1965 erleiden musste, weil damals im ländlich-dörflichen Bereich die katholische Religion noch Schicksal war, etwas zutiefst Dummes und Widerliches. Wie auf dieser Site ja schon mehrfach geschrieben: als uns in der 1. Klasse Volksschule in der 1. Religionsstunde die Religionstante ein großes rotes Herz ins Religionsheft zeichnen ließ, weil wir alle den Jesus so lieben würden, dachte ich mir verdutzt: das Weib spinnt. Und das denk ich mir dazu auch heute noch. Als tragfähiges Weltbild ist mir Religion wahrlich nie begegnet, sondern nur als alberner Unsinn.

Kathweb:
Wer "religiös unmusikalisch" bleibe, könne moralisch gut, sinnvoll und glücklich leben, meinte Langenhorst; "aber welch bereichernde menschliche Dimension fehlt dabei", wenn jemand ohne Musik oder eben ohne Religion lebe. "Auch wenn der Vergleich von Musik und Religion seine Grenzen hat" - beides stelle eine Grunddimension des Menschseins dar. In beidem gehe es "um Wahrnehmung, Empfindung, Ausdruck und Gestaltung von Wirklichkeit in all ihren Facetten, ja mehr noch: um das Erahnen von Möglichkeiten, die unsere Erfahrungswelt übersteigen und so Raum geben für Sehnsucht, Hoffnung und Trost". Die religiöse Dimension von Situationen und Erfahrungen auszuklammern, die uns "unbedingt angehen", hieße "den Menschen verkümmern lassen", zitierte der Theologe Aussagen, die die deutsche katholische Kirche bei der "Würzburger Synode" bereits in den 1970er Jahren formulierte.
Atheistischer Anmerkung: ich bin auch unmusikalisch und singe lieber nicht, weil ich die Noten nicht so sicher treffe. Aber ich habe trotzdem meine Musik, die ich liebe, nämlich den klassischen Rock'n'roll, also die Musik ab Bill Haley and his Comets. Ohne Musik zu leben, hab ich nie probiert. Ohne Religion moralisch gut, sinnvoll und glücklich zu leben, ist jedoch wahrlich keine Kunst, sondern eben eine sinnvolle Angelegenheit. Ein Erahnen von Möglichkeiten ist mir dabei noch nie abgegangen, mir irgendwelchen transzendenten Quargel einzubilden, um "Raum für Sehnsucht, Hoffnung und Trost" zu haben, dazu müsste ich wohl als Kind in den Jahren des kindlichen Urvertrauens entsprechend abgerichtet worden sein. Da dies nicht der Fall war und ich die christkatholische Religion gut kenne, klammere ich die religiöse Dimension von Situationen und Erfahrungen nicht aus, sondern diese Dimension ist mir einfach zu albern, um damit was anderes zu tun als mich darüber zu ärgern. Und ärgern tu ich mich heute noch darüber, weil ich vor mehr als 50 Jahren zwölf Jahre lang katholisch lügen und heucheln musste.

Kathweb:
Schulung des "Möglichkeitssinnes"
Bei seiner Empfehlung, wie der zunehmenden religiösen Sprachlosigkeit gegenzusteuern wäre, nimmt Langenhorst Bezug auf eine österreichische Quelle: In der Erziehung solle ein besonderer Akzent auf die Schulung des "Möglichkeitssinnes" gelegt werden, den Robert Musil in seinem Großwerk "Der Mann ohne Eigenschaften" ansprach. Neben dem "Wirklichkeitssinn", also dem Gespür für Tatsachen und Empirie, benötigt der Mensch laut dem österreichischen Romancier die zentrale Fähigkeit, "alles, was ebenso gut sein könnte" wie das Bestehende, "zu denken, und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist".
Atheistischer Anmerkung: Die religiöse Sprachlosigkeit kommt daher, weil in den Familien kaum noch wer die Kinder mit diesem religiösen Schmarrn indoktriniert und ihnen dadurch bleibende psychische Schäden zufügt. Alles, was ebenso gut sein könnte wie das Bestehende, zu denken, ist sicherlich was Sinnvolles: aber mit Religion hat das nichts zu tun: weil Religion ist ein menschliches Hirngespinst, mit dem die menschlichen Schwächen ausgeglichen werden sollen, was man selber nicht bewältigt, das alles kann Gott. Und ein Gott, der alles kann, hat mit dem Bestehenden sicherlich nichts zu tun: Gott kann nicht "ebenso gut sein" wie das Bestehende!

Kathweb: Langenhorst konkretisierte, was glauben lernen im Sinne der Schulung des Möglichkeitssinns heißen könnte: z.B. über Erzählungen, Naturbegegnungen oder Vorlesen Fantasie und Vorstellungsvermögen entfalten oder die Kompetenzen des Ausdrucks und der kreativen Gestaltung zu fördern. Nur über die Schulung des Möglichkeitssinns in religiösem Sinn kann es nach den Worten des Religionspädagogen auch gelingen, "dass Kinder die Welt als Gottes Schöpfung wahrnehmen, dass sie sich selbst als angenommene Gotteskinder empfinden können".
Atheistischer Anmerkung: Als Kind hab ich mit Begeisterung Karl May gelesen, das waren sozusagen Geschichten im Möglichkeitssinn. Da May ein eifriger christlicher Prediger war, hab ich diesen Bereich, der mit meinem Möglichkeitssinn nicht kompatibel war, immer übersprungen. So lange Kara ben Nemsi oder Old Shatterhand seine Feinde beschlichen oder überwältigt hat, hab ich mit May mitgemöglicht. Wenn dann wieder das Christentum verkündet wurde, hab ich das Predigtende gesucht und dort weitergelesen. Denn dank der familiären Erziehung hab ich nie die Welt als Gottes Schöpfung wahrnehmen müssen, ich hab in der Realität leben dürfen - sieht man von den zwei Stunden Religionsunterricht jede Woche ab. Dort lebte ich unter Denk- und Sprechverbot in einer Narrenwelt. Einen Gottesentzug musste ich nie machen, weil ich war schon als Kleinkind gegen die Gottesvergiftung geimpft worden. Amen.