Die 40 Tage des Musa Dagh

Franz Werfel - Die vierzig Tage des Musa Dagh - FISCHER Taschenbuch-Verlag, 20. Auflage, 992 Seiten, Euro 15,40

Nach dreiundzwanzigjährigem Aufenthalt in Paris kehrt der Armenier Gabriel Bagradian, der als Kunsthistoriker und Archäologe wissenschaftlichen Ruf genießt, in seine Heimat nach Yoghonoluk zurück. Der Tod des Bruders, der die Geschäfte des reichen, von Awetis Bagradian gegründeten Handelshauses führte, und der Ausbruch des ersten Weltkrieges haben Gabriel mit seiner Familie auf abenteuerliche Weise in die abgelegene Welt der großväterlichen Villa am Fuße des Musa Dagh verschlagen. Seine Ankunft fällt in eine Zeit bedrohlicher Ereignisse: Chauvinismus und Völkerhass hetzen nicht nur die Völker Europas aufeinander, sondern bereiten auch dem armenischen Volk ein furchtbares Schicksal. Dieser nationalen Minderheit gibt die jungtürkische Militärclique die Schuld für den Zerfall des türkischen Reiches und begründet damit den 1915 beginnenden Vernichtungsfeldzug gegen die armenische Bevölkerung. Bagradian entwirft einen kühnen Plan, um die Menschen der umliegenden Gemeinden vor der Deportation zu bewahren. Fünftausend ziehen auf den Musa Dagh und schlagen dort ihr Lager auf, das sie gegen alle türkischen Angriffe behaupten. Bagradian, der als Offizier in der türkischen Armee gedient hat, ist ihr militärischer Führer, dem Ter Haigasun zur Seite steht. Die Autorität dieses einflussreichen Priesters und ein gewählter Führerrat sichern die innere Ordnung des Gemeindewesens, das Nahrungsmangel, Krankheit und die Ungewissheit über das, was ihm bevorsteht, stillschweigend erträgt, bis es schließlich den Türken infolge der Unachtsamkeit der armenischen Wächter gelingt, deren Viehherden, einzige Nahrungsquelle der auf dem Musa Dagh Eingeschlossenen, fortzutreiben.

Auch das Schicksal der Familie Bagradian scheint besiegelt: Juliette, Bagradians Frau, eine gebürtige Französin, kann sich nicht in das Leben auf dem Musa Dagh finden und entfremdet sich ihrem Mann und ihrem Sohn immer mehr. Sie ergibt sich schließlich Gonzague, einem zugereisten Fremden, der aus Liebe zu ihr mit auf den Musa Dagh gezogen ist. Ein gefährliches Fieber, das unter den Belagerten ausbricht, befällt Juliette und bringt sie dem Tode nahe; Gabriel hingegen fühlt sich immer stärker zu der jungen Armenierin Iskuhi hingezogen. Bagradians Sohn Stephan, der mit Haik, einem Altersgenossen, im tollkühnen Handstreich zwei türkische Geschütze erobert hat, wird auf einer zweiten eigenmächtigen Erkundung von den Türken gefangengenommen und getötet. Hunger, Not und die Furcht vor dem zu erwartenden Sturmangriff der Türken führen zu Unruhen und Verrat, zum Brand der notdürftig errichteten Hütten. Der Feuerschein wird von einem in der Nähe operierenden französisch-englischen Geschwader gesichtet. Für die viereinhalbtausend halbverhungerten Armenier, die 40 Tage lang den Türken standhielten, bedeutet das die Rettung, um die sich (in einer persönlichen  Unterredung  mit dem  türkischen  Kriegsminister  Enver Pascha) der deutsche Pastor Johannes Lepsius und außerdem der angesehene Türke Agha Rifaat Bereket vergeblich bemüht haben. Während die Überlebenden eingeschifft werden, löst sich Gabriel Bagradian unbemerkt von den Seinen und steigt den Musa Dagh hinan, wissend, dass sich sein Leben hier erfüllt. Auf dem Grab seines Sohnes sinkt er, von einer Türkenkugel getroffen, nieder.

Werfel konzipierte diesen Roman im März 1929 während eines Aufenthaltes in Damaskus angesichts "verstümmelter und verhungerter Flüchtlingskinder, die in einer Teppichfabrik arbeiteten". Die Niederschrift des Buches erfolgte in der Zeit vom Juli 1932 bis März 1933. Dieses kämpferisch-humanistische Werk, in dem Rassenwahn und Völkermord kompromisslos verurteilt werden, wirkte bei seinem Erscheinen als aktuelle Absage an die erklärten Ziele und die praktizierten Methoden nazistischer Ausrottungspolitik. Der dreiteilig angelegte Roman stützt sich weitgehend - freilich dichterisch abgewandelt - auf historische Berichte (u. a. des deutschen Pastors Lepsius und des aus Yoghonoluk gebürtigen Pastors Dikran Andreassian, der am Kampf am Musa Dagh teilgenommen hat und Vorbild der Romangestalt Tomasian wurde); das Gespräch zwischen Lepsius und Enver Pascha ist authentisch. Das Romangeschehen wird jedoch von Werfel entsprechend seiner Verwurzelung im christlichen und jüdischen Denken religiös gedeutet (jedes der drei Bücher trägt ein Motto aus der biblischen "Apokalypse").