Reformer richten Offenen Brief an den Papst

Am 12. 5. 2015 wurde bekannt, dass die österreichischen katholischen Reformgruppen Pfarrerinitiative und Wir sind Kirche zusammen mit einer Reihe von Gruppen in anderen Ländern einen "Offenen Brief" an Papst Franz gerichtet haben. Hier der Brief:

PAPST FRANZISKUS, SIE BRAUCHEN LEBENDIGE GEMEINDEN UND DIE GEMEINDEN BRAUCHEN SIE!

Papst Franziskus, Ihre Vision von Kirche bewegt uns: eine Kirche in der Spur und im Geist Jesu nahe bei den Menschen, ihnen in Respekt und Offenheit verbunden, auf Augenhöhe, als echte Weggefährtin - zugewandt gerade jenen, die am Rand stehen und besonderer Solidarität bedürfen. Statt Gräben zu vertiefen, führen Sie zusammen. Statt zu urteilen, suchen Sie zu verstehen. Statt Türen zu schließen, öffnen Sie Herzen. Hier wird die Urform von Kirche, wie Jesus sie uns vorgelebt hat, endlich wieder spürbar.
Unzählige Menschen überall auf der Welt jubeln Ihnen zu, denn sie teilen diese Vision - so sehr im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils. Mehr noch: Sie leben sie, so gut es geht. Ihre Heimat sind die Gemeinden vor Ort, an der Kirchenbasis. Hier, im Alltag der Menschen findet Kirche statt, wird sie lebendig oder auch nicht. Hier, und nur hier, erfährt Kirche tagtäglich ihren Daseinsgrund.
Papst Franziskus, Sie brauchen die Gemeinden, damit Ihre Vision von Kirche lebt. Ohne aktive Gemeinden fehlt Ihrer Vision das Fundament und die notwendige Kraft, Widerstände zu überwinden. Unsere Gemeinden sind die Zukunft der Kirche Jesu. Doch genau diese Gemeinden sind in ihrer Zukunft massiv bedroht.
Unsere Bischöfe begegnen dem Priestermangel überall auf der Welt immer öfter mit der Zusammenlegung aktiver und lebendiger Pfarrgemeinden zu anonymen und unüberschaubaren Großstrukturen. Fusionieren scheint das Rezept der Stunde. Doch in den neuen Pfarr-Großverbänden geht der persönliche Kontakt zu den Menschen verloren. Die Sakramente und der Priester entfernen sich immer weiter vom Alltag der KirchenbürgerInnen. Und wo die Quelle von Gemeinschaft, die Eucharistiefeier, immer seltener gefeiert wird, bleibt die communio bald auf der Strecke. Derweil sind Priester, statt mit Seelsorge, mit Koordination und Verwaltung beschäftigt, sollen überall sein und sind dabei selbst nirgends mehr zu Hause. In solchen Gemeinden weht nicht der lebendige Atem Jesu, sondern herrscht Verunsicherung und eine begründete Angst vor Heimatverlust. Hier ist die Kirche nicht mehr nah bei den Menschen, sondern entfernt sich wissentlich von ihrer Basis.
Wir, besorgte Priester und Diakone, Seelsorgerinnen und engagierte Kirchenbürgerinnen und Kirchenbürger in den Gemeinden dieser Welt, sind nicht länger bereit, diesen Weg mitzugehen. Gemeinsam suchen wir nach neuen Wegen für eine Zukunft unserer Kirche mit lebendigen Gemeinden; mit Gemeinden, die jeden einladen - ohne Ausnahme. Und solche Wege gibt es! Längst wird in vielen Gemeinden vorgelebt, wie es anders gehen kann.
Es sind Frauen und Männer, Ehepaare, Geschiedene und Wiederverheiratete, Homosexuelle und Heterosexuelle, Junge und Alte, die im Mittelpunkt Stehenden und die an den Rand Gedrängten - es sind engagierte Menschen, die dem Zusammenlegen ihrer Gemeinden zu immer größeren Einheiten Einhalt gebieten wollen. Sie helfen durch persönlichen Einsatz, kraft ihrer Tauf-Berufung, die Priester in ihren wachsenden Aufgaben zu entlasten, um den Dienst der Gemeinde an den Menschen lebendig zu erhalten. Dort, wo es keinen Priester vor Ort mehr gibt, entwickeln sie kreative Lösungen, um den Zusammenhalt und die alltägliche Leitung ihrer Gemeinde zu sichern. Dabei sind vielfach Strukturen und Modelle entstanden, die tragen und von denen wir für die Zukunft lernen können. Noch gibt es viel Bereitschaft an der Basis, für eine erneuerte Kirche im Geiste Jesu zu kämpfen.
Papst Franziskus, wir - Priester und Diakone, SeelsorgerInnen, Kirchenbürgerinnen und Kirchenbürger - brauchen Sie! Wir appellieren an Sie, den Weg freizumachen für neue Wege und Formen des Gemeindelebens und deren Leitung: Öffnen wir das priesterliche Leitungsamt für alle, die dazu begabt sind! Entwickeln wir neue Leitungsmodelle, die Menschen aus den Gemeinden entsprechend ihrer Charismen beteiligen! Etablieren wir eine neue Kultur der Mitverantwortung und Mitentscheidung in allen Strukturen unserer Kirche! Erinnern wir uns daran, wie Jesus Gemeinde verstanden und gelebt hat! Der Geist Gottes drängt uns. Packen wir es mutig miteinander an!
Papst Franziskus, Sie brauchen lebendige Gemeinden, um Ihre Vision von Kirche mit Leben zu füllen. Und die Gemeinden brauchen Sie. Wir - die Priester, Diakone, Seelsorgerinnen und Seelsorger und viele engagierte Kirchenbürgerinnen und Kirchenbürger in den Gemeinden weltweit - stehen bereit, unsere Erfahrungen und Ideen einzubringen und Sie und die Bischöfe bei der Verwirklichung Ihrer Vision an der Basis tatkräftig zu unterstützen.
Gezeichnet: Pfarrer-Initiative Österreich Pfr. Helmut Schüller, Sprecher - Wir sind Kirche Österreich Dr. Martha Heizer, Vorsitzende und weitere 22 Organisationen aus Australien, Deutschland, England, Indien, Irland, Italien, der Slowakei, der Schweiz und den USA.

Was fällt an diesem Brief auf?

Er befasst sich in keiner Weise mit den in diesen Zeiten diskutierten Reformen, also etwa der Abschaffung des Zölibats oder der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion usw. Er wendet sich nur gegen katholische Strukturbereinigungen. Wenn also beispielsweise in Wien die Pfarren reduziert werden sollen, weil sonntags im Schnitt pro Pfarre nur noch gut hundert Leute die Sonntagsmesse besuchen, zudem noch weit überwiegend Pensionisten. In Relation zum Mitgliederbestand kann dort von aktiven und lebendigen Pfarren nirgends mehr real die Rede sein. Den christlichen Kirchen in Europa bleibt allein schon aus Kostengründen nichts anders übrig als eine Schrumpfung der Strukturen, weil die Zahl der praktizierenden, also der wirklich Gläubigen noch schneller schrumpft als die Zahl der Priester.

Es überrascht doch einigermaßen, dass diese Reformgruppen nicht auf ihrer bisherigen Schiene bleiben, eine Angleichung der Kirche an die heutige Realität zu verlangen, sondern sich mit religiösen Träumereien befassen, also der Gottesillusion noch eine Illusion über Scharen von jesusnahen Gläubigen anfügen. Viele der regelmäßigen Messbesucher gehen aus Tradition und Gewohnheit sonntags in die Kirche und nicht weil sie tatsächlich so an und mit der Kirchenbasis leben, wie Jesus mit seinen Jüngern gelebt haben soll. Kein "Geist Gottes" drängt die Menschen.

Darum ist der obige "Offene Brief" auch für unsereinen leider nur von geringem Unterhaltungswert, eine zu einer Autowerkstatt umgebaute Ex-Kirche hat für ihre Betreiber und Besucher bestimmt einen höheren Nutzen als eine bestehende Kirche, die bloß alten Bräuchen und Illusionen dient...