Korruptionsverdacht

Die Konzerne und die Finanzindustrie steuern die Welt, die Bürger geben bei den Wahlen ihre Stimmen ab, dann haben sie keine mehr, weil die Welt richtet sich nach den Börsenkursen. Da es aber immer noch Parlamente gibt, die alles absegnen, ist ein Blick ins System nicht uninteressant.

Wilfried Müller machte das auf wissenbloggt.de am 16.8.2015:

Extreme Nebenverdienste im Bundestag

profit-593753_640Die Seiten abgeordnetenwatch.de, LobbyControl und Transparency International passen auf unsere Abgeordneten auf. Nötig ist's, wie dieser Text zeigt, der einen gekürzten Artikel von abgeordnetenwatch vom 3.8. darstellt und vor allem das reiche Innenleben und die Bilder der abgeordnetenwatch-site weglässt. Das Thema wurde schon 2013 in dem wissenbloggt-Artikel Bundestagsabgeordnete als Aufstocker abgehandelt, und nun sieht man: es hat sich kaum was geändert. Für diejenigen, die sich engagieren möchten, geben wir die Links zu den diversen abgeordnetenwatch-Petitionen unten wieder (Bild: geralt, pixabay).

Abgeordnete kassieren bis zu 21,4 Mio. Euro nebenher – Millionenbeträge bleiben im Dunkeln

11,6 Millionen Euro haben die Bundestagsabgeordneten seit der Wahl mit Nebenjobs verdient, doch tatsächlich ist es noch sehr viel mehr: Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen lassen sich dank der intransparenten Veröffentlichungsregeln bis zu 10 Millionen Euro vor der Öffentlichkeit verbergen – in Wahrheit ist der Graubereich sogar noch weitaus größer. abgeordnetenwatch.de fordert Konsequenzen und hat eine Petition für volle Transparenz bei Nebeneinkünften gestartet.

Ein Beispiel: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke hat viele Nebenjobs, doch der einträglichste ist der als Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Jeden Monat, so geht es aus Henkes Angaben auf der Bundestagshomepage hervor, kassiert er als Ärztefunktionär 7.000 Euro – mindestens . Das Problem ist: Seine monatlichen Einkünfte könnten auch mehr als doppelt so hoch sein. Das genaue Salär bleibt der Öffentlichkeit jedoch verborgen.

Henke ist kein Einzelfall. Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen haben 156 der 631 Bundestagsabgeordneten Zusatzeinkünfte bei denen nicht klar ist, wie hoch diese sind. Sicher nachweisen lässt sich durch die Angaben der Volksvertreter auf der Parlamentswebsite, dass sie seit Beginn der Legislaturperiode Nebeneinkünfte in Höhe von 11,6 Mio. Euro kassiert haben. Dies ist allerdings nur die absolute Mindestsumme – tatsächlich können die Abgeordneten sogar bis zu 21,4 Mio. Euro eingestrichen haben.

Beschlossen haben dieses intransparente System: dessen Nutznießer

Der Grund für die riesige Grauzone von rund 10 Millionen Euro ist, dass Bundestagsabgeordnete nicht die tatsächliche Höhe eines Nebenverdienstes veröffentlichen sondern ihre Einkünfte jeweils einer von zehn Stufen zuordnen müssen (s. Grafik). So steht "Stufe 3", die der CDU-Politiker Rudolf Henke für seinen Funktionärsjob pro Monat angibt, beispielsweise für Einkünfte zwischen 7.000 und 15.000 Euro. Die Grenzen der Stufen von 1-10: 1.000, 3.500, 7.000, 15.000, 30.000, 50.000. 75.000, 100.000, 150.000 und über 250.000 Euro.

Beschlossen wurde dieses intransparente System u.a. von der Union, deren Abgeordnete in der Liste mit den höchsten Nebeneinkünften nun ganz oben stehen. Sieben von ihnen strichen ver­gangenes Jahr mit ihrem Zweitjob sogar mehr ein als die Bundeskanzlerin, die 2014 auf Bezüge in Höhe von 222.081 Euro kam:
Hans Michelbach (CSU): Als Mitglied der Geschäftsführung der KIZ – MIBEG Group Unternehmensgruppe kassiert er nach eigenen Angaben einen jährlichen Gewinn der "Stufe 10", also "mindestens 250.000 Euro". Alles was Michelbach oberhalb dieses Grenzwertes erhält, bleibt der Öffentlichkeit verborgen – selbst wenn es mehrere Millionen Euro wären. Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: Mindestens 500.000 Euro.
Stephan Harbarth (CDU): Als Vorstandsmitglied der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz erhielt er in den Vorjahren jeweils über 250.000 Euro (Stufe 10). In diesem Jahr hat Harbarth mit seinem Vorstandsjob schon zwischen 100.000 und 150.000 Euro verdient. Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: Mindestens 650.000 Euro.
Dagmar Wöhrl (CSU): Allein für die Aufsichtsratsposten bei drei Unternehmen der Nürnberger Versicherungsgruppe erhielt sie vergangenes Jahr mindestens 165.500 Euro, hinzu kamen Einkünfte als Verwaltungsrätin der Sarasin-Privatbank (mind. 75.000 Euro) und als Geschäftsführerin einer Parkverwaltungs- und Werbegesellschaft (mind. 12.000 Euro). Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: 432.000 Euro.
die Landwirte Philipp Graf von und zu Lerchenfeld (CSU, Einkünfte 2014: mind. 783.000 Euro / Gesamteinkünfte in dieser Legislaturperiode: mind. 1.148.000 Euro), Albert Stegemann (CDU, Einkünfte 2014: mind. 301.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 878.500 Euro), Johannes Röring (CDU, Einkünfte 2014: mind. 575.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 862.000 Euro) und Hans-Georg von der Marwitz (CDU, Einkünfte 2014: mind. 433.000 Euro / Gesamteinkünfte: mind. 587.500 Euro), die zumindest auf dem Papier als Topverdiener dastehen. Allerdings handelt es sich bei den Beträgen um keine Gewinne, sondern um Bruttozuflüsse, von denen Freiberufler wie die Landwirte u.U. Mitarbeitergehälter oder Maschinen bezahlen müssen.

Liste der fleißigsten Nebeneinkunft-Kassierer laut abgeordnetenwatch:


Laut neuer abgeordnetenwatch-Veröffentlichung vom 12.8. sind die Zahlen schon überholt: Die Nummer 11, Heinz Riesenhuber, kassierte nicht 222.000 Euro, sondern 575.000, siehe Neue Nebeneinkünfte gemeldet: Abgeordneter kassierte von Konzern über eine halbe Million Euro

Steinbrück kassiert von allen SPD-Abgeordneten am meisten

Die höchsten Nebeneinkünfte in den Reihen der SPD erhielt der frühere Finanzminister Peer Steinbrück, der u.a. von einer Unternehmensberatung bis zu 50.000 Euro kassierte. Steinbrück, der mit Mindesteinkünften von 189.000 Euro auf Platz 12 des Gesamtrankings steht, gehört seit Jahren zu den Spitzenverdienern im Deutschen Bundestag. Seine exzessive Tätigkeit als Honorarredner, die abgeordnetenwatch.de 2010 enthüllt hatte, war drei Jahre später Anlass für die von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Reform der Veröffentlichungspflichten. Diese war zwar transparenter als das bis dahin geltende System, aber meilenweit entfernt von einer vollständigen Offenlegung der Nebeneinkünfte auf Euro und Cent, wie es SPD, Grüne und Linkspartei damals vergeblich forderten.

Die jetzigen Veröffentlichungsregeln haben derart große Schlupflöcher, dass der Graubereich an unbekannten Nebeneinkünften in Wahrheit noch sehr viel größer ist als die von abgeordnetenwatch.de errechneten rund 10 Millionen Euro. Denn bestimmte Einkünfte müssen die Parlamentarier überhaupt nicht melden. Vollkommen im Dunkeln bleiben zum Beispiel alle Nebenverdienste eines Abgeordneten, die unterhalb von 1.000 Euro monatlich bzw. unterhalb von 10.000 Euro jährlich liegen. Rechtsanwälte brauchen ihre Honorare unter bestimmten Umständen gar nicht angeben, auch Gewinne aus der Unternehmensbeteiligung eines Abgeordneten tauchen nirgends auf.

Soweit Auszüge aus dem wissenbloggt-Artikel, es geht dort noch weiter mit Informationen über eine Petition "Verschleierung von Nebeneinkünften stoppen!" Sitebesucher aus der BRD können sich über den Link entsprechend informieren. In Österreich erinnern wir uns an den Abgeordneten Strasser, der seinerzeit dummerweise recherchierenden Journalisten gegen reichliche Bezahlung seine Lobbyistenhilfe anbot. Dass er erwischt wurde und für etliche Wochen ins Cafe Gitter wanderte (jetzt ist er mit Fußfessel schon wieder bei einer "Beratungsfirma" tätig), war ein Sonderausnahmefall, im Cafe Gitter wären sicherlich diesbezüglich noch genug Zimmer frei.

Man sieht es ja in Sachen TTIP: Ohne Korruption kann der Abschluss dieses Abkommens, das sich ausschließlich an Konzern- und Bankeninteressen orientiert, gar nicht in Angriff genommen worden sein. Lobbyismus müsste in die Strafgesetzbücher einziehen, wer versucht, Abgeordneten die Interessen irgendwelcher Konzerne und Finanzhäuser darzulegen und einzureden, der sollte gleich ins Cafe Gitter vorauseilen dürfen. Dann gäbe es vielleicht wieder etwas mehr Volks- und etwas weniger Finanzvertreter in den Parlamenten...