Denn wenn man davon ausgeht, dass die Zunahme der FPÖ-Wähler
hauptursächlich auf die politische Agitation der FPÖ zurückzuführen ist
und nicht darauf, dass sich zunehmend mehr Wähler von ihren bisherigen
Wahlparteien vernachlässigt sehen, das Gefühl haben, dass ihre
Interessen, Ansichten, Wünsche, Ängste, Befürchtungen politisch kaum
noch wahrgenommen oder als unangebracht abgelehnt werden, dann sind die
anderen Parteien letztlich hilflos gegenüber den Abwanderungsströmen
aus
ihren Parteien. Die FPÖ braucht dann die Stimmen nur noch einzusammeln.
Anzunehmen, politische Entscheidungen wären rational und
wohlüberlegt, sittlich und moralisch allseitig aus- und abgewogen, ist
eine Narretei. Menschen richten sich nach ihren Hoffnungen und
Befürchtungen, nach ihrem Streben und nach ihren Ängsten und nicht nach
Plakataufschriften oder (un)moralischen Zurufen.
Der
seinerzeit recht bekannte Liedermacher Dieter Süverkrüp hat sich in den
frühen 1970er-Jahren über die damalige Agitation von Linksradikalen lustig
gemacht, in seinem Song "Die Kunst, Andersmeinende für den Sozialismus
zu gewinnen" heißt es über Agitation für einen Hüttenarbeiter,
Gebot eins:
"Ignorieren, was der Mann denkt, weil es ist sowieso falsch, hier
setzen wir an mit Aufklärungsarbeit, damit er erfährt, was wirklich los
ist, wie kann er das erfahren? Wir sagen es ihm einfach einmal".
Hier das Original:
Vielfach ist man immer noch auf diesem Level. Man versucht überhaupt
nicht, dorthin zu gelangen, wo sich die Leute befinden, sondern sagt
ihnen, wo sie zu sein hätten und wenn sie das nicht begreifen, dann sind
sie eben verdammte Trotteln, mit denen man sowieso nicht reden kann!
Es ist zwar durchaus nachvollziehbar, dass sich z.B. ein gut situierter, gesellschaftlich wohlpositionierter
Grüner Gedanken darüber macht, wie er sein Selbstbewusstsein und sein
moralisch-sittliches Wohlbefinden noch steigern kann, indem er noch
edler, noch hilfsbereiter und noch besser wird als es in der These von
Goethe, "edel sei der Mensch, hilfreich und gut" vorgesehen ist. Er
übersieht dabei aber, dass die meisten seiner Mitmenschen nicht in
seiner schönen Position sind, sondern ihren Alltag als Opfer des
neoliberalen Ausbeutungssystems verbringen und ihnen daher das Bedürfnis
fehlt, edel,
hilfreich und gut sein zu wollen, weil sie in
ihrem Alltag erleben, dass zu ihnen überhaupt niemand mehr edel,
hilfreich und gut ist.
Die Methode des Umgangs mit der FPÖ und ihrer Proteststimmenrolle müsste
es daher sein, die möglichen FPÖ-Wähler ernstzunehmen, sich um ihre
Anliegen, Probleme
und Ängste zu kümmern, statt sie vielleicht noch
niederzumachen, indem man etwa FPÖler als "Rattenfänger" benennt
und etwaige FPÖ-Wähler damit zu Ratten macht.
Zurzeit ist die Lage so, dass sich die FPÖ nur noch selber schaden
kann. Aber nützen tun ihr die anderen Parteien, indem sie das wirkliche
Sein eines großen Teiles der Bevölkerung gar nicht mehr wahrnehmen
und die objektiven und subjektiven Problemlagen entweder überhaupt ignorieren
oder sie wegzureden versuchen. Die FPÖ braucht selber gar nimmer viel Wahlreklame
zu machen, sie steht ja auf dem Stimmzettel und das genügt für zunehmend
mehr Leute, die in ihrem Sein mit Umständen kämpfen, die außerhalb
des Wahrnehmungsbereiches der Nichtprotestparteien liegen.
Aktuelle
Nationalratswahlumfrage vom 21.8.2015:
FPÖ 29 %, SPÖ 24 %, ÖVP
23 %, Grüne 13 %, Neos 8 %.
Das wären auf Mandate hochgerechnet:
FPÖ 55 (2013: 40), SPÖ 45 (52), ÖVP 44 (47), Grüne
24 (24), Neos 15 (9), Stronach 0 (11)
Am
22.8. veröffentlichte Umfrage zur heurigen Landtagswahl in OÖ:
ÖVP 38 %, FPÖ 26 %, SPÖ 20 %, Grüne
10 %, Neos 4%
Auf Mandate hochgerechnet: ÖVP 22 (2009: 28), FPÖ
15 (9), SPÖ 11 (14), Grüne 6 (5), Neos 2 (n.k.).
Man sieht
an diesen Zahlen: bloß über die FPÖ und ihre Wähler
zu schimpfen, hilft nichts, sondern schadet offensichtlich sogar. Wie man sich
allerdings wirklich mit den wichtigen Problembereichen, die ständig die
Proteststimmen vermehren, mit entsprechenden Erfolgsaussichten befassen sollte
oder könnte, darüber wird gar nicht nachgedacht. Weil die Meinungen,
die zu Proteststimmen für die FPÖ führen, sind ja - wie Süverkrüp
schon gesungen hat - sowieso falsch. Die Straße für den weiteren
Aufstieg der FPÖ wird also auch weiterhin gut gepflastert werden.
Wer 2018 keinen Bundeskanzler Strache haben will, wird zu anderen politischen
Strategien und Taktiken greifen müssen.
Darum nochmals die Parole
dazu: Den Leuten in ihrem Dasein, in ihrer Welt begegnen und ihnen nicht bloß
sagen, wo sie gefälligst sein sollten. Weil Letzteres ist nicht nur wirkungslos,
sondern schadet, weil dies von den Betroffenen als herabsetzend empfunden wird
und ihre Haltung nicht verändert, sondern bekräftigt!