Wer den Wind sät

Michael Lüders: Was westliche Politik im Orient anrichtet

Dazu über das Buch von Lüders:

Hier Auszüge aus dem Text der Sendung "Titel Thesen Temperamente":
Titel Thesen Temperamente trifft den Islamwissenschaftler und Nahost-Experten Michael Lüders in Berlin. Der fanatische Islam, der Terror, die brutale Gewalt des IS: Das ganze Desaster wäre nicht in der Welt ohne die fatalen Interventionen des Westens innerhalb der letzten 60 Jahre, sagt Lüders: "Wenn man sich die Verhältnisse in der Region, im Nahen und Mittleren Osten anschaut, Stichwort: Entstehung der Taliban, Stichwort: Entstehung des Islamischen Staates, von Al Quaida. Die Spuren führen immer in Richtung Washington, in Richtung amerikanischer Politik."
Für die Recherche zu seinem Buch ist Lüders zurückgegangen bis in die 50er Jahre. Im Iran ereignete sich der Sündenfall schlechthin, sagt er. Es war der Sturz des ersten demokratisch gewählten Regierung und ihres Premierministers Mossadegh. Der wollte die iranische Erdölindustrie verstaatlichen. 90 Prozent des in Europa gehandelten Öls stammten damals aus dem Iran. Großbritannien sah sein Monopol auf das iranische Öl bedroht. Zusammen mit den USA brachten sie Mossadegh durch einen präzise geplanten Putsch zu Fall. Dabei war Amerika Mossadeghs großes Vorbild.
"Er war ein Bewunderer gerade der amerikanischen Demokratie", so Lüders, "namentlich von Abraham Lincoln. Das alles nützte ihm aber nichts, denn es galt als unbotmäßig, dass ein Staatschef in einem Land der Dritten Welt sich anmaß, gegen westliche Wirtschaftsinteressen politisch vorzugehen."
60 Jahre später veröffentlicht die CIA Dokumente, die belegen, wie der Sturz Mossadeghs durch Großbritannien und die USA geplant wurde. Eine Erfolg versprechende Demokratie wurde zerschlagen und gegen die Diktatur des Schahs eingetauscht. 2009 räumte Präsident Obama in Kairo die Beteiligung am Putsch ein. Der gegenwärtige Präsident der USA sagt damals in seiner Rede in Kairo: "Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung."
"Ohne diesen Putsch gegen Mossadegh hätte es die Islamische Revolution im Iran 1979 nicht gegeben", sagt Michael Lüders, "und diese Revolution wiederum im Iran ist Auslöser vieler anderer Probleme, nicht zuletzt des Krieges des Iraks gegen den Iran, den Saddam Hussein entfesselt hat."
Die Geburtsstunde des fanatischen Islam: Mit der Iranischen Revolution kam Ayatollah Khomeini an die Macht. Sein Gegenspieler war der irakische Diktator Saddam Hussein. Hussein hätte den Krieg gegen Iran nach zwei Jahren verloren, schreibt Lüders, wäre er nicht noch sechs weitere Jahre massiv mit Geld und Waffen aus dem Westen unterstützt worden. Auch mit Giftgas, aus Deutschland: "Dieses Giftgas wurde eingesetzt im Kampf gegen iranischen Soldaten an der Front", so Lüders, "aber auch gegen die Kurden in Halabdscha 1988. Das alles war im Westen bekannt, wurde aber komplett ignoriert. Erst nachdem Saddam Hussein 1990 den Tabubruch begonnen hatte und die amerikanische Tankstelle Kuweit besetzte, hieß es auf einmal, Saddam Hussein sei ja wie ein zweiter Hitler."
Geschäftsinteressen, Geo- und Machtpolitik: Das sind defacto die Gründe für die Interventionen der USA im Nahen Osten, sagt Lüders. Amerikanische Politik folge immer den gleichen Grundmustern.

"Kein 11. September ohne Geld und Waffen für Bin Laden"
"Es hätte diesen 11. September 2001 wahrscheinlich nicht gegeben", so Lüders, "hätten die Amerikaner nicht Osama Bin Laden über Jahre hinweg finanziert und bewaffnet, als einen der führenden Kämpfer gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan."
2003 erfolgt der völkerrechtswidrige Einmarsch der USA in den Irak. Hussein wird gestürzt, doch für die politische Zukunft Iraks haben die USA offenbar keinen konkreten Plan, schreibt Lüders. Durch ihre Politik verschärfen sie die Konflikte zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen. Das Land versinkt im Chaos.
Der IS breitet sich aus und die USA versuchen ihn mit Hilfe von Saudi Arabien zu bekämpfen. Dabei unterscheidet sich der Wahhabismus, die saudische Staatsreligion, kaum von den Idealen des Islamischen Staates. Nachweislich zahlen saudische Stiftungen und Privatleute viel Geld an den IS.
Für viele Muslime im Nahen Osten ist die Doppelmoral des Westens nur schwer zu ertragen, sagt Lüders: "Diese Menschen hoffen, dass der Westen etwas für die Demokratie tun möge, das ist aber bislang nie geschehen. Gleichzeitig müssen sie sich arrangieren mit ihren furchbaren Diktatoren. Sie leben also, als intelligente Muslime, zwischen dem Hammer westlicher Heuchelei und dem Amboss unfähiger arabischer Regime, die nur daran interessiert sind, ihre Macht zu verteidigen."

Bericht: Christine Romann