Als politische Aktivistin und Bürgerrechtlerin u.a. im Zentralrat der
Ex-Muslime gibt Mina Ahadi der Religion Zunder. So ist es folgerichtig,
wenn sie den Zündstoff in der Religion ausmacht und dagegen angeht. Ihr
aktueller Artikel steht bei Tagesspiegel Causa unter dem Titel Gefährdet Religion den gesellschaftlichen Frieden? Religion war und ist ein Zündstoff (das Bild von Christoph, pixabay, zeigt sehr schön die damit einhergehende Vernebelung).
Laut Ahadi werden die Migranten, die zurzeit nach Deutschland kommen,
vor allem als Muslime betrachtet – und das ist fatal, sagt sie. Denn wo Religion zentrale Zutat von Identität ist, ist sie Ursache für Diskriminierung, Apartheid und Streit.
Ahadi wendet sich gegen die "mulitikulturelle Gesellschaft" und ihre
Ausformung zur "multireligiösen Gesellschaft". Schreckliche Dinge wie
Ehrenmorde und Zwangsehen werden damit verharmlost und als kulturell
und/oder religiös abgestempelt. Wenn Menschenrechtsverletzungen als
Kultur bezeichnet werden, so die Autorin, was wird dann im Namen einer
multireligiösen Gesellschaft erlaubt sein? So eine Gesellschaft würde
nicht zu mehr Frieden oder Toleranz in der Gesellschaft führen, sie wäre
ein gefährliches politisches Konstrukt.
Die deutsche und auch die europäischen Regierungen haben
Immigranten immer erstmal eine religiöse Identität gegeben, und ihnen
mit dieser Politik den Schutz und die Würde universeller Menschenrechte
entzogen. Deshalb fragt Ahadi, wer den größten Nutzen daraus zieht, wenn die Religion zur Hauptidentität der Flüchtlinge gemacht wird?
Es werde nicht darüber nachgedacht, wie viel Religion die Flüchtlinge
brauchen, und wie viel in einer modernen Gesellschaft wie Deutschland
akzeptabel ist. Deshalb sollten wir uns zur Aufgabe machen, Grundrechte
und Gleichberechtigung für alle zu verteidigen. Dazu könne es nur durch
eine ehrliche Debatte um Religion in der Gesellschaft kommen. "Religion
ist eine Privatsache, die Privatsache bleiben muss", so lautet Ahadis
Credo. Sie dürfe nicht wegen missverstandener Hilfsbereitschaft oder aus
politisch-strategischen Berechnungen heraus mehr und mehr ins
öffenliche Leben gebracht werden. Das gelte für die heimische Kirche wie
für den Islam und alle anderen Religionen.
Die vorherrschende Flüchtingspolitik wird als religiös orientiert
qualifiziert; als Gegengewicht dazu bauen wir momentan ein säkuläres
Netzwerk der Solidarität und Unterstützung auf (damit sind anscheinend
die Ex-Muslime und ihre humanistischen Helfer gemeint). Ziel ist es, den
neuen Bürgern die Integration in einem möglichst neutralem Milieu zu
ermöglichen und sich an die neue Gesellschaft zu gewöhnen.
Es gebe viele säkuläre und atheistische Flüchtlinge, die dabei eine
wichtige Rolle spielen könnten. Den Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte
ist es möglich, Schullaufbahn, Beruf, Hobby, Freundeskreis und
Ehepartner frei zu wählen. Das gleiche Recht sollten wir auch den
Neubürgern zugestehen. Aber die Einwanderer aus islamisch geprägten
Ländern werden pauschal der Gruppe der Muslime zugerechnet. Politik,
Wohlfahrtsverbände und Presse möchten ihnen offensichtlich das
Grundrecht der Religionsfreiheit nicht zumuten und sie Familialismus,
Virginität, arrangierter Ehe, Kopftuch und religiöser Kleidung am
Arbeitsplatz überantworten.
Das alles sind nach Ahadi Aspekte kulturell vormoderner Gesellschaften,
die gegen die universellen Menschenrechte verstoßen und kein
schützenswertes Kulturgut darstellen. Der Begriff multikulturell sei
nur dann akzeptabel, wenn dahinter die freie Entscheideung eines jeden
steht. Ohne dass den Betroffenen Nachteile daraus erwachsen können,
müssen sie selbst entscheiden dürfen, ob sie religiös oder religionsfrei
leben möchten, welche Bücher sie lesen oder nicht lesen, welche frei
zugänglichen Informationsquellen sie nutzen.
Solange das nicht der Fall sei, solange auch noch die Meinungs- und
Pressefreiheit als Indikator einer wirklich liberalen Gesellschaft auf
dem Altar des Multikulturalismus geopfert werden, empfindet Ahadi diesen Begriff als Übergriff und Erniedrigung. Wenn neuerdings noch multireligiös als Begriff für das verwendet werde, was angeblich in Deutschland los ist, dann sei das verheerend.
Denn was wird damit gesagt? Dass auch Deutsche religiöser geworden
wären? Und dass das das bestimmende Merkmal der Menschen sein sollte?
Das sei eine gefährliche Lüge, denn wenn man sich die Welt und ihre
Geschichte ansieht, dann sehe man die Religion damals wie heute oft als
Zündstoff.
Deshalb ruft Ahadi dazu auf, unsere Städte und Straßenzüge nicht in
Religionsareale aufzuspalten oder noch mehr religiöse Sonderrechte zu
etablieren. Stattdessen sollten wir uns auf die Prinzipien der
Renaissance, der Französischen Revolution und der allgemeinen
Menschenrechte besinnen. Das bedeutet, ein Gesetz für alle. Jeder
Mensch gilt unabhängig von der Herkunft oder Religion seiner Eltern als
Träger der unantastbaren Menschenwürde und aller Grundrechte.
Nur das kann nach Ahadi die Basis für ein harmonisches Zusammenleben
sein. Alle anderen Grundformen von Identität bleiben demnach Ursache für
Geschlechterdiskriminierung, Apartheid und Streit.
Weitere Links zum Thema:
Muslime in Deutschland pro-westlich eingestellt
Mina Ahadis Kritik an Emma-Aktion
Mina Ahadi: Islamkritik zwischen Aufklärung und Rassismus
Ungleichheit im Iran