Appeasement-Politik gegenüber Erdoğan

Uli Gellermann am 23.5.2016 auf www.rationalgalerie.de

Merkel zum Kotau nach Ankara

Da flog sie hin die Kanzler-Darstellerin: Nach Ankara. Gerade erst hatte sich das türkische Parlament - unter dem Druck von Feme, Gefängnis und auch eigener Dummheit - selbst kastriert und die Immunität von Abgeordneten aufgehoben. Doch Angela Merkel belohnt diesen weiteren Schritt in die Erdoğan-Diktatur mit einem Kotau vor Ankara. Die Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten, die den Weg zur Liquidierung der türkischen Verfassung ebnen soll, hat eine grausige Ähnlichkeit mit dem am 23. März 1933 von den Nazis dem Reichstag abgepressten "Ermächtigungsgesetz", das die Weimarer Verfassung beerdigte. Und die Reise der Merkel in die Türkei in dieser Situation, ist durchaus vergleichbar mit der Münchener Appeasement-Konferenz von 1938, mit der die Westmächte dem "Führer" freie Hand gegen die Tschechoslowakei gaben. Der britische Premierminister Neville Chamberlain sagte damals nach seiner Rückkehr: "Nun gehen Sie nach Hause und schlafen Sie ruhig und gut." Von Merkel werden wir ähnlich dumme Beschwichtigungs-Floskeln hören.

Mit dem Merkel-Türkei-Besuch in dieser Situation bekommt Erdoğan freie Hand gegen die Kurden und jene Türken, die sich noch nicht seinem Diktat untergeordnet haben. Und wie weit diese freie Hand des neuen Sultans gegenüber Syrien reichen wird - wenn ihm niemand Einhalt gebietet - ist zu ahnen. Schon heute ist dem Erdoğan-Regime die syrische Grenze bedeutungslos. Seit Jahren will man die kurdischen Gebiete in Syrien heim ins osmanische Reich holen. Und da die aktuellen türkischen Interessen kaum mit denen der USA und des offiziellen Deutschland kollidieren, sind die Folgen für die syrische Souveränität noch gar nicht abzusehen.

Appeasement auch in Deutschland selbst. Hier wird mit der "Türkisch-Islamischen Union", der Anstalt für Religion e. V., ein verlängerter Arm des Erdoğan-Systems geduldet. Auf den ersten Blick fällt der Verein unter die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit. Doch der zweite Blick auf den Diyanet İşleri Türk İslam Birliği, (DİTİB), den Dachverband für die Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen türkisch-islamischen Moscheegemeinden, enthüllt das Bild einer türkischen Organisation, die immer schon unter Kontrolle und Aufsicht des türkischen Staates stand. Der Vorsitzende der DİTİB ist in Personalunion auch türkischer Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten. Als in der Bundesrepublik Deutschland tätiges Organ der türkischen Regierung vertritt die DİTİB einen Islam im Sinne der in der Türkei vorherrschenden sunnitischen Richtung. Wer sich auch nur für einen Augenblick ein solches Konstrukt auf schiitisch, sprich iranisch vorstellen mag, dem fällt die Absurdität wie Klappen von den Augen.

Seit Erdoğan in der Türkei die Macht hat, ist der reiche und mächtige DİTİB-Verband weit über seine religiöse Aufgabe hinaus ein politischer Verein geworden: Von dort geht Propaganda für das Erdoğan-Regime aus. Von dort wurde Wahlkampf für den neuen Sultan betrieben. Dort werden angeblich konkurrierende Glaubensgemeinschaften wie die Aleviten diskriminiert. Dort sind rund 1.000 Imame angestellt, Geistliche, die dem türkischen Staat verpflichtet sind, einem Staat, der längst von Erdoğan und seiner AKP gekapert ist. Über fast zwei Milliarden Euro verfügt das "Präsidium für Religiöse Angelegenheiten der Türkei", die Muttergesellschaft der in Deutschland agierenden Türkisch-Islamischen Union, die dem türkischen Ministerpräsidentenamt angegliedert ist. In den 20er Jahren wurde das "Diyanet İşleri Başkanlığı" vom laizistischen Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk, zur Kontrolle des Islam gegründet. Heute wird es als Transmissionsriemen einer Re-Islamisierung der Türkei begriffen.

Jeder soll glauben dürfen was er will: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich", sagt der Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes. Aber es sagt auch in seinem Artikel 9, 2: "Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten." Wie anders soll man einen Verein werten, der einen Staat auf dem Weg in die Diktatur vertritt, einen Staat, der die eigene Bevölkerung bombt und sich dieses brutale Recht auch gegenüber einem Nachbarstaat herausnimmt? Gründlich wie die deutsche Gesetzgebung ist, hat sie für genau den Fall des Grundgesetz-Artikels 9, 2 schon ein Ausführungsgesetz vorgesehen: Im Paragraph 14 des Vereinsgesetztes gibt es einen Abschnitt über Ausländervereine, die "über die in Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes genannten Gründe hinaus unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 verboten werden" können. Das Instrumentarium existiert. Man kann den DİTİB verbieten. Man muss nur wollen.

Wollen will die Merkel nicht.
Um ihren schmutzigen Flüchtlingsdeal zu retten, hat sie schon am Beleidigungsparagraphen herumgeschraubt, hat sich von inszenierten Kindern in einem türkischen Flüchtlingslager bejubeln lassen und ist dabei, den nächsten Schritt zur internationalen Anerkennung der Erdoğan-Diktatur zu tun. Frei nach Chamberlain: Wenn die Deutschen weiter zu Hause bleiben, werden sie bald nicht mehr ruhig schlafen können.