Europa kaputt schlamasselt

Publiziert am 24. Mai 2016 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22.5. war sehr lesenswert. Auf der Titelseite durfte die Bundeskanzlerin sich äußern, Angela Merkel im Gespräch "Mich irritiert die Freude am Scheitern", ausführlicher: "Was mich irritiert, ist, dass ich manchmal fast so etwas wie eine Freude am Scheitern beobachte", sagt sie ( Bild: Bernhard_Staerk, pixabay).

Sie hat endlich gemerkt, dass die Mehrheit sie auf ihren Umtrieben gern scheitern sehen möchte. Wunder was, die große Politik hat so lange gegen den Mehrheitswillen anregiert, dass sie nun von der Mehrheit als Feind angesehen wird. Diskussionsvermeidung, Demokratieverweigerung und Bevormundung haben die Langmut der Regierten überstrapaziert. Per "alternativloser" Agendasetzung wurden stillschweigend Dogmen eingeführt, die lange Zeit meinungsdominierend wirkten:
Flüchtlingshilfe muss heißen, alle sollen herkommen, und wir integrieren sie.
Der Euro ist gut, auch wenn die Realität ihn als Wohlstandsvernichter zeigt.
Klimaschutz bedeutet, nichts darf sich ändern.
Die Correctness fordert, Übervölkerung und Übernutzung zu verschweigen.

Nationale und egoistische Interessen wurden unausgesprochenermaßen für illegitim erklärt, mit einem stillschweigenden Diskussionsverbot belegt und aus den Parlamenten rausgehalten. Die Solidarität der Vielen wurde im Übermaß strapaziert, und sie kam nicht mal den wirklich Bedürfigen zugute. Die Rettungsgelder landeten in den Banken statt in Griechenland. Nur die bessergestellten Flüchtlinge werden unterstützt; wer nicht das Geld für die Schleuser hat, wird vernachlässigt. Als Klimaschutz gilt die Konservierung des status quo ohne Beachtung der positiven Veränderungen (siehe Sensationelle Klimabefunde). Das Thema Übervölkerung ist das größte Tabuthema überhaupt (siehe Der europäische Schlamassel von Holger Steltzner, dem Herausgeber der FAZ. Er befasst sich mit der Zustimmungslage zur EU, die nicht nur in Großbritannien mau ist. In den Niederlanden wurde für Ablehnung votiert (über das EU-Abkommen mit der Ukraine), der Wunsch nach Volksabstimmungen über den EU-Austritt erfasst auch Italien, Frankreich und Schweden. Sogar 1/3 der Deutschen ist für den EU-Austritt, 40% wollen darüber abstimmen.

Die EU zeigt sich hilflos, schreibt Steltzner, sie habe nicht die Kraft dazu, die Konflikte in der  Nachbarschaft zu befrieden. Dafür entwickelt die EU und besonders Deutschland eine enorme Anziehungskraft in Arabien, Afrika und dem armen Teil Asiens. Der deutsche Sozialstaat zusammen mit seiner "Willkommenskultur" wirke wie ein Magnet auf Verfolgte, Vertriebene und Wirtschaftsflüchtlinge aus der halben Welt. Die deutsche Bundeskanzlerin wird in Arabien mit dem Namenszusatz "Engel des Lichts" oder "Mutter der Barmherzigkeit" versehen.

In Griechenland wird sie allerdings gehasst, trotz Hilfen in dreistelliger Milliardenhöhe. Insider zucken nur mit den Schultern bei der Frage, inwiefern neue Milliardenkredite die seit Jahrzehnten nicht funktionierende Verwaltung des Landes verbessern sollten. Griechenland ist eben ein chronischer Sanierungsfall. Hier geht es um die innere Logik von EU und Eurozone, wo das Wegbröckeln der Mitglieder mit allerhöchster Priorität bekämpft wird, demäß dem Dogma, ein Austritt ist undenkbar.

Dabei verfehlt die EU alle Ziele außer der Friedensstiftung, welche die Nachkriegsgeneration als bloße Selbstverständlichkeit hinnimmt. Von Wachstum und Wohlstand verabschiedet sich die EU, es herrschen Stagnation und Arbeitslosigkeit. Die Staatsschulden steigen, der Wohlstand nicht. Auch weil viele Mitgliedstaaten und die meisten EU-Institutionen den Wettbewerb ablehnen, werden EU und Eurozone im Wettlauf der Globalisierung nach hinten durchgereicht, so der Autor. Er sieht eine "routinierte Missachtung des geltenden Rechts" bei der Bewältigung von Euro- und  Flüchtlingskrise, den Kontrollverlust an den Grenzen, den Streit und die fehlende Solidarität - kurzum: den europäischen Schlamassel.

Brexit

Es ist kein Narrativ in Sicht, das neue Begeisterung für Europa wecken könnte. Der Brexit droht, die Bestätigung der Tatsache, dass es ein Leben nach dem EU-Austritt gibt. Wenn das passiert, wird die EU den Geist der Spaltung nicht wieder zurück in die Flasche bekommen, sagt Steltzner.

Kaum anzunehmen, dass der Brexit die EU zu den überfälligen Reformen von mehr Subsidiarität und weniger Zentralisierung motivieren würde. Das wäre in ganz anderes Thema als der Grexit, denn der wäre nur ein Urteil über Griechenland. Der Brexit wäre dagegen ein Urteil über die ganze EU.

Schleuserprofit

Die Eurokrise wurde von der Bundeskanzlerin federführend gemanaged, aber seit der Flüchtlingskrise verliert sie die Gefolgschaft für ihre Dogmen. Die sind auch gar zu unsinnig, denn warum kann Deutschland seine 3000 km Grenze nicht sichern (Merkel-Agenda), wenn es doch früher ging? Und wieso sollte die EU die vielfach längere Außengrenze sichern können, oder gar die Türkei das übernehmen lassen?

Österreichs Grenzschließungen und Obergrenzen stellen einen Verrat an der Merkel-Doktrin dar, dabei sind sie ein Zwangsprodukt der Vernunft. Der Autor diskutiert die Willkür der Willkommenskultur und deren angebliche Alternativlosigkeit. Im Zuwanderungsgesetz steht aber schon im ersten Satz, dass dieses Gesetz der "Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern" dient. Die Genfer Flüchtlingskonvention erlaubt einem Land ebenfalls die Abweisung von Migranten, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen, und Deutschland ist von solchen Staaten umgeben.

Und wie human ist wohl die gegenwärtige Schleusersituation, die so abläuft: Wer es an die Küste Libyens geschafft hat und genug Geld für die Überfahrt aufbringen kann, wird von den Schleusern "mit vorgehaltener Kalaschnikow" gezwungen, in ein überfülltes Schlauchboot zu steigen. Dann bekommen die Bootsinsassen ein Satellitentelefon mit der voreingestellten Nummer der italienischen Küstenwache in die Hand gedrückt. Der Anruf setzt die Retter in Gang, das Benzin im Boot reicht vielleicht für ein Dutzend Seemeilen, und deshalb werden die allermeisten Flüchtlinge dicht vor Libyens Küste aufgegriffen. Wieso müssen sie dann nach Italien gebracht werden? Menschen in Seenot müssen gerettet werden, auch wenn sie sich aus eigenem Antrieb darein begeben. Aber sie müssen nicht bis nach Europa transportiert werden, so der Autor.

Das befördert nur das menschenverachtende und hochlukrative Geschäft der Schleuser. Mit Menschenhandel verdient die organisierte Kriminalität inzwischen mehr als mit Rauschgift, Prostitution oder Glücksspiel. Es wird ein vernichtendes Urteil über die Bundesregierung zitiert: "Alle Flüchtlinge nach Deutschland einzuladen war ein kolossaler Fehler von Angela Merkel." Die Einladung sei auch moralisch verwerflich gewesen, denn sie habe die Menschen quasi aufgefordert, nach Europa zu schwimmen.

Dogmendämmerung

Diese Sicht ist inzwischen die der Bevölkerungsmehrheit, die keinen unbegrenzten und ungesteuerten Zustrom von Asylbewerbern, Migranten und Wirtschaftsflüchtlingen wünscht. Auch das Vorpreschen in punco bedingungsloser Islam-Akzeptanz wird kritisiert, zumal der Islam hier "zunehmend rückwärtsgewandt gelebt wird". Und die egoistische Frage wird nun ausgesprochen: Sind die Wähler bereit, ihren Wohlstand zu teilen? Die Antwort: Viele wollen das nicht. Viele Leute wollen den Sozialstaat nicht wegen einer Masseneinwanderung aus dem Orient beschneiden. Die Agenda, dass es unterm Strich ein Gewinn für alle wäre, tut Steltzner so ab: Alle wissen, dass man den Euro nur einmal ausgeben kann.

Er konzediert entgegen der normalen FAZ-Agenda, die Menschen in der EU wie auch in den USA haben den berechtigten Eindruck, dass es ihnen materiell schlechter geht als der Generation ihrer Eltern, und dass die Realeinkommen in vielen Industriestaaten sinken. Er sieht die Globalisierung als zu komplex zum Durchdringen, daher der Vertrauensverlust und das Gefühl der Bedrohung, was wiederum zu ethnischen Spannungen führt, und zur Ablehnung von ungesteuerter Einwanderung.

Erdogahnsinn

Für Merkels Anbiederung an den türkischen Präsi Erdogan findet der Autor keine freundlichen Worte. Merkels Unterstützung von Erdogans Wahlkampf in Ankara und ihre Distanzierung von der "bewusst verletzenden" satirischen Erdogan-Kritik werden konterkariert durch Erdogans Affront, Merkels türkischen Verhandlungspartner, Ministerpräsident Davutoglu, zu schassen.

Erdogan sucht laut Steltzer nicht den Kompromiss, sondern den Konflikt mit Europa; er schmähte sogar die EU als Diktatur. Um seine Kurdenverfolgung abzurunden, hat er das türkische Parlament beschließen lassen, die Immunität von 1/4 der türkischen Abgeordneten aufzuheben. Dieses "Ermächtigungsgesetz" macht den Weg frei, um die kurdische Opposition wegen angeblicher Sympathie mit dem PKK-Terror strafrechtlich zu verfolgen. Als nächstes kommt dann eine Verfassungsänderung zur Einführung einer Art Präsidialdiktatur für den Möchtegern-Sultan.

Und Kanzlein Merkel ist wieder nach Ankara gefahren, um den nächsten Schritt zur internationalen Anerkennung der Erdogan-Diktatur zu tun (Zitat aus Merkel zum Kotau nach Ankara, Rationalgalerie 23.5.). Um mit der FAS zu schließen: Das Schicksal Europas sollte man nicht in die Hände eines unberechenbaren "neuen Sultans" legen.

Europa ist auch so schon kaputt schlamasselt, da braucht es keinen Erdogan mehr.

Links dazu:
Der Diktator diktiert (Humor hochaktuell)
Radio Erdogan (Humor)
Immigration als neue Normalität?
Türkische Träume, schmutzige Deals IV
Fortgesetzter Erdogahnsinn
Der neuste Erdogahnsinn
Die Integrationsverhinderer
Amerikanischer Abgesang auf Europa
Ach, Europa