Dönmez: Das Leben beginnt dort, wo die Angst endet

Efgani Dönmez, ehemaliger Bundesrat der Grünen, am 2.7.2016 in den OÖNachrichten.

Vor 25 Jahren tobte ein furchtbarer Bruderkrieg vor unserer Haustüre. Das Resultat von blindem Nationalismus, gepaart mit politischer Unfähigkeit bescherte über hunderttausend Tote und noch mehr Flüchtlinge im ehemaligen Jugoslawien.

Die EU glaubte das Problem durch Wegschauen lösen zu können. 25 Jahre später schaut die EU nicht nur weg, sondern ist Teil des Problems. Sie wäre aber gleichzeitig auch Teil der Lösung in der Flüchtlingsfrage.

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass es sich bei all den Konflikten, sei es in Syrien, Afghanistan, Nordafrika, usw. um Krisen handelt. Krisen sind kurzfristig, meist regional begrenzt. Was wir gegenwärtig an Klimaveränderungen, Ressourcenkonflikten und Terrorismus erleben, sind mittlerweile Realitäten, auf die einzelne Länder noch weniger Antworten haben werden als eine geeinte, starke EU. Die Werte der Aufklärung wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit kann man am ehesten leben, wenn man sich nicht von der Angst leiten lässt.

Wenn man mit sich selbst im Einklang ist, dann ist man dies meist auch mit den Mitmenschen. Wenn man sich selbst nicht mag, kann man kaum andere Menschen mögen. Wenn wir an einem geeinten, starken Europa arbeiten wollen, müssen wir ständig an uns selbst arbeiten. Wenn wir weniger Bürokratie und Fremdbestimmung wollen, setzt dies Eigenverantwortung voraus und weniger Abhängigkeit von sogenannten Verbündeten. Die USA sind Verbündete von Saudi Arabien, der Türkei und der EU. Der Obmann der Österreichisch-Türkischen Kulturgemeinde (TKG), Birol Kilic, brachte die Anschläge von Istanbul mit folgender Aussage auf den Punkt: "Terrorismus ist eine internationale, kannibalistisch sich vermehrende Pest, wovon jedes Land betroffen sein kann. Niemand kann sagen: Es geht uns nichts an. Kannibalistisch deswegen, weil dieser Terror auch diejenigen treffen wird, die hier im In- und Ausland diesen Terror als Brandstifter vorbereiten, unterstützen und dann als Feuerlöscher auftreten."

Vor der europäischen Haustüre haben sich Saudi Arabien und die Türkei auf dem Balkan mit ihren Netzwerken und Milliarden breitgemacht. Besonders durch die starke materielle und finanzielle Präsenz der Saudis wird jene salafistische Strömung des Islams gesellschaftsfähig gemacht, die den Nährboden für Terrorismus aufbereitet. Durch Perspektivenlosigkeit und fehlenden Zukunftschancen werden gerade junge Menschen in die Hände von Extremisten getrieben. Die EU macht dieselben Fehler wie vor 25 Jahren, sie schaut auf dem Balkan weg. Was Angst macht, ist der Umstand, dass sich die Geschichte, wiederholen könnte, weil mehr von der Angst Getriebene in den Entscheidungsgremien agieren, als vom Leben Getragene.