Gesammelte Handlungsempfehlungen für die EU

Publiziert am 14. Juli 2016 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Als Lieferanten für die vernünftigsten Reformpunkte dienen wissenbloggt drei Artikel, die frei von Brexit-Schelte auf die wesentlichen Themen eingehen. Die schwerwiegenden Kritikpunkte sind bei wb schon angesprochen in Real existierende EU-Politik, EU-Demokratieverständnis und EU-Demokratieverständnis II. Nun liefern drei weitere Artikel konstruktive Vorschläge, wie die EU modernisiert, generalüberholt und zukunftsfähig gemacht werden kann (Bild: geralt, pixabay):
1. Eine Publikation des Nationalökonomen und Herausgebers Albrecht Müller, Die EU ist eine verkorkste Konstruktion. Sichtbar daran, womit man sich in Brüssel hauptsächlich beschäftigt (NachDenkSeiten 8.7.).
2. Eine "Außenansicht" des Politikwissenschaftlers Professor Thomas König, Wider den Kuhhandel (Süddeutsche Zeitung 10.7.): Nach dem Brexit brauchen vor allem die EU-Kommission und das Europa-Parlament grundlegende Reformen.
3.
Ein Gastbeitrag von Fabio De Masi und Sahra Wagenknecht Brexit: Die EU zerstört die europäische Idee (ZEIT ONLINE 2.7.): Der Brexit war kein Votum gegen Europa, sondern gegen den Brüsseler Club, der sich der Demokratie entzieht. … Nicht der Brexit führt die EU in eine Krise. Er ist ein Symptom der europäischen Krise.

Die Punkte sind hier zusammengefasst, Nummer 1-3 stammen von König, Nummer 4-7 von Müller und 8-13 von De Masi/Wagenknecht (nicht alle Punkte von da übernommen):

1. die unbegrenzte Personen-Freizügigkeit. Die hatte schon mit der Osterweiterung für beachtliche Migration gesorgt, zumal in Großbritannien, Irland und Schweden, wo es keine Übergangsregelungen gab. Die Forderung lautet, auch für die unbegrenzte Freizügigkeit von Personen (gemeint Immigranten) Übergangsperioden festzulegen. (Anmerkung wb: Visafreiheit für alle Türken, Georgier und Ukrainer ist auch weitgehend unakzeptiert. Ebenso die Tatsache, dass es de facto keine Abschiebung gibt, auch nicht von abgewiesenen Asylbewerbern).

2. die Politisierung der Rechtsstaatlichkeit. Bei wb läuft das unter politische Willkür statt ökonomische Regeln. Die Forderung ist, das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit muss erhöht (wb: eher wiedergeschaffen) werden. Die Europäische Kommission ist überfordert in ihrer Doppelfunktion als Agendasetzer (das Monopol, Vorschläge für neue Rechtsvorschriften einzubringen) und Überwacher von Verträgen und Gesetzen. Agendasetzungs- und Überwachungsfunktion müssen getrennt werden.

3. die "Verösterreicherung" des Europäischen Parlaments. Damit sind Ämterkuhhandel und Demokratiedefizit gemeint. Die beiden großen Fraktionen Europäische Volkspartei und Sozialdemokratische Partei Europas verständigen sich regelmäßig auf die Bildung einer großen Koalition, die alles regelt. Es geht aber nicht darum, primär Ämter zu verteilen und die Politik unverändert zu lassen. Entweder müssen Maßnahmen gegen große Koalitionen ergriffen werden, oder dem Parlament werden regierungsähnliche Funktionen übertragen, die eine große Koalition rechtfertigen. Allerdings warnt der Autor vor einer fortschreitenden Vertiefung der Europäischen Integration, ohne vorher die Probleme zu lösen.

4. das Dogma vom nötigen Freihandel. Die LKW-Kolonnen sprechen dagegen, den Transport von Gütern noch mehr zu forcieren. Bei den Debatten über CETA und TTIP wird die Frage über Sinn und Zweck dieser Freihandelsabkommens kaum gestellt. Das Dogma gilt, es sei im Sinne unseres Wohls, den Welthandel weiter auszudehnen und dafür sogar die Souveränität unserer Staaten durch Schiedsgerichte zu durchlöchern. Das Drängen auf Handel und Freihandel ist durch eine EU-Handelskommissarin institutionalisiert worden. Entsprechende Kommissare für Verkehrsvermeidung, Steuergerechtigkeit und Steueroasenbekämpfung gibt es nicht. Auch nicht für ein ausgedehnteres Betriebsverfassungsrecht, eine bessere Vermögensverteilung und eine Robotersteuer (letzteres Ergänzung wb).

5. die Zielvorstellungen von einer besseren Gesellschaft sind nicht institutionalisiert. Die Subvention der Landwirtschaft ist institutionalisiert, speziell für die Großbetriebe mit der großen Lobby-Macht. Das ist eine Fehlkonstruktion. (Besonders weil immer noch Tierhaltung subventioniert wird statt Ersatzprodukte oder Fleisch aus der Retorte, Anmerkung wb). Umwelt, Soziales, Nachhaltigkeit, Arbeitnehmerrechte sind eher klein geschrieben.

6. die Konstruktions- und Ideologiefehler. Dazu gehört nicht nur die falsche Ausrichtung der Zielvorstellungen, die zur Gestaltung einer menschlichen Gesellschaft notwendig sind, und die in Brüssel nicht oder nur nebenbei vorkommen. Die Ideologie von maximaler Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Innovationsgeschwindigkeit ist durch den Euro gründlich schiefgegangen (Anmerkung wb). Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich und Belgien haben schwere Wirtschaftsprobleme, und das strahlt auf die ganze EU aus.

7. der Medienfilz in Brüssel. Zumindest die deutschen Korrespondenten der Medien sind zu eng mit der EU-Zentrale verbunden. Es gibt kaum kritische Berichterstattung und Kommentierung aus Brüssel. Der Autor nennt das "embedded", eingebunden. Solidarität mit Europa ist gut, aber darum geht es nicht. Es wird Solidarität mit den Brüsseler Institutionen geübt, und das stört. Dieser Fehlkonstruktion ist es zu verdanken, dass die öffentliche Debatte über die EU-Probleme im argen liegt.

8. die Trennung des Investmentbankings vom seriösen Einlagen- und Kreditgeschäft sowie der Schutz von Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Also das Gegenteil der angestrebten Kapitalmarktunion, die eine erneute Entfesselung der Finanzmärkte bewirkt, die Verbriefung von Schrottkrediten fördert und Zockerbuden gegenüber seriösen Kreditbanken begünstigen wird.

9. die Einschränkung des Wettbewerbsrechts. Das sorgt für eine zukunftsfähige Industrie- und Beschäftigungspolitik sowie den Schutz des öffentlichen Eigentums und der Daseinsvorsorge der Kommunen.

10. ein soziales und ökologisches Investitionsprogramm zum Wiederaufbau Europas. EZB-Geld soll öffentliche und private Investitionen statt Finanzblasen finanzieren, um die Wirtschaftskrise zu überwinden.

11. die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Eine EU-weite Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre soll zum Abbau der öffentlichen Verschuldung führen. Mit dem Lastenausgleich, einem ähnlichen Projekt, hatte in der Bundesrepublik einst der Wiederaufbau begonnen.

12. die Ersetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch einen Pakt für außenwirtschaftliche Stabilität. Und zwar nach dem Muster des deutschen Wachstums- und Stabilitätsgesetzes von 1967, um neue Schuldenkrisen in der Eurozone zu verhindern. (Konzertierte Aktion statt Defizitverfahren, wb.)

13. Volksentscheide zu zentralen EU-Themen in den Mitgliedstaaten.

Das sollte das finito für die Brexit-Schelte sein, die den Briten immer noch den Absturz in ein schwarzes Loch prophezeit. Und das, obwohl sich ein solches gerade für die Eurozone auftut (italienische Banken, Deutsche Bank, Bremer Landesbank, siehe auch Neuauflage „Systemrelevante vs. Allgemeinheit“). Dazu der Barroso-Wechsel durch die Lobby-Drehtür (EU-Kommission = Lobbytruppe) und die neue »EU-Globalstrategie« für militärische EU-Einsätze rund um die Welt (Real existierende EU-Politik). Bleibt zu hoffen, dass diese Punkte nicht vergessen werden, wenn es eine EU-Reform gibt.

Weitere Links dazu:
GB-Exit und EU-Exitus diskutiert
Great Brexitannia
Europaparlament fordert …
Europa kaputt schlamasselt
Ach, Europa
Das metamurphysche Prinzip (warum es nicht funktioniert)