Türkischer Reichstagsbrand - Teil 2

Der Teil 1 wies darauf hin, dass es von der Wirkung her eigentlich egal ist, ob der Putsch gegen Erdogan echt war oder inszeniert, weil auch die Folgen des Reichstagsbrandes vom 27.2.1933 nicht vom tatsächlichen Urheber abhängig waren, sondern in jedem Fall den Nazis zur endgültigen Machtübernahme dienen konnten.

Am 24.3.1933 war vom deutschen Reichstag das "Ermächtigungsgesetz" verabschiedet worden, das die Koalitionsregierung unter dem seit 30.1. amtierenden Reichskanzler Adolf Hitler ermächtigte, Gesetze ohne Reichstagsbeschlüsse zu erlassen.
Das Gesetz lautete:
Art. 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten Gesetze (Anm.: diese Artikel betrafen Budgetgesetze).
Art. 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben unberührt.
Art. 3. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in Kraft. Die Artikel 68 bis 77 der Reichsverfassung finden auf die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze keine Anwendung (Anm.: diese Artikel betrafen die Reichsgesetzgebung).
Art. 4. Verträge des Reichs mit fremden Staaten, die sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen nicht der Zustimmung der an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften. Die Reichsregierung erlässt die zur Durchführung dieser Verträge erforderlichen Vorschriften.
Art. 5. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 außer Kraft; es tritt ferner außer Kraft, wenn die gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere abgelöst wird.
Hitler ließ 1937 das Gesetz durch den längst ausschließlich aus Nazis bestehenden Reichstag bis 1941 und danach bis 1943 verlängern, dann erteilte er dem Gesetz im Erlasswege unbefristete Gültigkeit.

Erdogan hat inzwischen tausende Personen verhaften lassen oder aus dem Staatsdienst entfernt, Publikationen wurden verboten, Radio- und TV-Sender geschlossen, Wissenschaftler erhielten Ausreiseverbote.

Am 20.7.2016 setzte verfügte Sultan Erdogan für drei Monate den Ausnahmezustand und setzte damit seinen Weg in Richtung seiner Variante eines Ermächtigungsgesetzes fort.
Die türkische Verfassung gibt dem Kabinett unter Vorsitz des Staatspräsidenten das Recht, nach Beratungen mit dem Nationalen Sicherheitsrat den Ausnahmezustand zu verhängen. Anlass für das Ausnahmerecht können "weit verbreitete Gewaltakte zur Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Ordnung" oder ein "gravierender Verfall der öffentlichen Ordnung" sein. Das Kabinett kann unter Vorsitz von Präsident Erdogan Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, dem allerdings das Parlament zustimmen muss. Was keine große Kunst ist, weil die Erdogan-Partei hat ja die absolute Stimmenmehrheit. Grundrechte können eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Das Parlament kann den Ausnahmezustand in Viermonat-Etappen verlängern.

Der Weg zum allmächtigen Erdogan ist also eingeschlagen. In der EU hat man ihn vorerst sogar als Demokratieretter gelobt, die angekündigte Wiedereinführung der Todesstrafe hat die EU immerhin veranlasst, die EU-Beitrittsverhandlungen in diesem Fall zu beenden. Man verhandelt seit 2005, bisher ist nur einer von 33 Punkten abgeschlossen. Das Flüchtlingsproblem setzt die EU jedoch weiterhin unter türkischen Druck, weil in die Türkei geflüchtete Syrier und andere Personen aus dem arabischen Bereich jederzeit zur Weiterreise nach Europa motiviert werden könnten. Wenn die EU nicht in absehbarer Zeit überwiegend von Rechtspopulisten regiert werden will, wird man aber wohl auch meerseitig für eine Außensicherung der Grenzen sorgen müssen...