Es muss demnächst die Stelle eines Bundestag-Herolds ausgeschrieben
werden. Der sollte, in einer schicken Uniform, versteht sich, vor Beschlüssen
des Bundestages, neben das Rednerpult treten, dreimal mit seinem Zeremonienstab
nachdrücklich auf den Boden des Hohen Hauses klopfen und in die Kameras
rufen: "Hört! Hört! Hört! Falls die Versammlung dieser,
in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählten
Vertreter des ganzen Volkes (Artikel 38 Grundgesetz) zu irgendeinem Beschluss
kommen sollte, dann ist das alles unverbindlicher Unsinn. Selbst wenn es kein
Unsinn sein sollte, kann und wird sich die Regierung davon distanzieren, wann
immer es ihr beliebt!" Das würde nicht nur der Wahrheitsfindung
dienen, sondern auch der Abbildung der Wirklichkeit. Denn wenn der Bundestag
wirklich einmal eine Meinung hat, die von der Regierungsmeinung abweicht, dann
ruft die Regierung schnell "gilt nicht" und schon ist der Rechtsfrieden
wieder hergestellt. Wie jüngst im Fall der Armenien-Resolution.
Mit
dem Herold sollte eine weitere hohe Institution installiert werden: Das Erdogan-Ja-Sage-Büro.
Das wäre dann zuständig dafür, die Wünsche des türkischen
Despoten zu erahnen und für ihre umgehende Erfüllung zu sorgen.
– Schon lange wird der offiziellen Türkei der Wunsch erfüllt, den
Widerstand der Kurden gegen ihre Unterdrückung als "Terrorismus"
zu bezeichnen. Das militärische Vorgehen gegen diese ethnische Minderheit
in der Türkei hat Tradition: Schon 1934 wurde im türkischen Parlament
das "Zwangsevakuierungsgesetz" beschlossen, das die scheinrechtliche
Grundlage für die Ermordung von etwa 70.000 Kurden zur Folge hatte. Die
Zahl der Opfer, die organisierte Methode der Liquidation und der Einsatz von
Giftgas lassen auf einen Genozid schließen. Diesen Massenmord an Kurden
– im Gefolge der Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern – zu ächten,
würde die Minderheiten-Politik der modernen Türkei von den 30er Jahren
bis heute an den Pranger stellen. Hier liegt der tiefere Grund des Wütens
der Erdogan-Despotie: Ihre eigene brutale Kurden-Verfolgung könnte Gegenstand
internationaler Ächtung werden. Das kann die deutsche NATO-Regierung nicht
wollen: Man wäre als Komplice entlarvt.
Hört, hört, hört!
könnte der Herold beim nächsten Besuch von Recep Tayyip Erdogan rufen,
wenn er dem Akklamation-Bundestag das verkündet, was der kürzlich
in die Welt setzte: "Wir werden einen Terror-Korridor im Norden Syriens
und südlich von uns auf keinen Fall zulassen." Übersetzt bedeutet
das Polit-Gestammel: "Wir marschieren mit Panzern und Raketen in ein
Nachbarland ein. Dort erschießen wir so viele Kurden wie möglich.
Das macht mich noch wichtiger, als ich ohnehin schon bin. Gedeckt werden wir
durch unsere NATO-Mitgliedschaft und die deutschen Flieger, die in Incirlik
stationiert sind." Und wer das nicht glaubt, der muss nur einen Blick
in die Nachrichten riskieren: Umkommentiert von Merkel und Steinmeier wird das
Völkerrecht mit Panzerketten zermalmt. Die zartbesaiteten Seelchen, die
sonst schnell mal Menschenrechte! in die Luft rufen, schweigen von kurdischem
Blut, vergossen auf syrischer Erde.
Hätte der Bundestag so etwas
wie ein Rückgrat, wäre sein nächster Beschluss eine Reise-Anweisung:
Er müsste die Abgeordnete Sevim Dagdelen zur Bundeswehr in Incirlik senden.
Sie gehört zu jenen deutschen Parlamentariern, denen der Despot Erdogan
nach der Armenien-Resolution im Bundestag "verdorbenes Blut" attestierte.
Aus ihrer Plenar-Rede sind folgende Zitate: "Auch heute wird, wer an den
Völkermord auch nur versucht zu erinnern, als Freund kurdischer oder armenischer
Terroristen diffamiert. - Mit ungeheurem propagandistischen Aufwand soll die
Gleichung der Völkermörder, Terrorist gleich Armenier, in den Köpfen
verankert werden. – Ziel ist es, die Zustimmung von großen Teilen der
Bevölkerung zu einem Unterdrückungssystem par exellence zu erzielen.
– Und gerade deshalb ist Aufklärung so wichtig. Und gerade deshalb habe
ich mich entschieden, mich von Drohungen oder zahlreichen üblen Beschimpfungen
der Erdogan-Anhänger von `armenischer Hure´ bis `kurdischer Terroristin´
nicht einschüchtern zu lassen. - Es ist höchste Zeit, diese Leute
in die Schranken zu weisen und sie nicht weiter zu ermutigen, wie dies die Bundeskanzlerin
Merkel und Vizekanzler Gabriel durch ihre Abwesenheit bei der Abstimmung über
den Völkermord an den Armeniern, wieder einmal getan haben." Und wenn
Frau Dagdelen auf ihrer Rückreise von Incirlik die deutschen Soldaten gleich
mit nach Hause nähme, wäre Deutschland einen Schritt weiter: Zurück
zu seinem Grundgesetz.
Der Deutsche Bundestag hat eine eigene Postleitzahl,
die 11011. Das ist nicht Ausdruck seiner Souveränität. Diese eigene
Postadresse hat er als "Großempfänger" bekommen. Post vom
deutschen Volk erhält er alle vier Jahre bei den Wahlen. Die Zahl der Absender
sinkt. Vielleicht auch, weil man dem Bundestag keine Souveränität,
keine Selbstbestimmung zutraut. Längst sind viele Entscheidungen an NATO
oder EU delegiert. Und den Rest erledigt die deutsche Regierung. Der Bundestag
schafft sich selbst ab.