Merkel schuld an AfD, Brexit, Trump

Publiziert am 16. 11. 2016 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Was sich wie eine neue Verschwörungstheorie anhört, gewinnt bei näherer Betrachtung Plausibilität. Wer nicht monokausal denkt, sondern auch Nebeneffekte in sein Kalkül einbezieht, wird durchaus fündig (Bild: jajif93, pixabay).

In puncto AfD braucht man sich nicht mal mit Nebeneffekten abzugeben. Wie die merkelsche Grenzöffnung die AfD beflügelte, muss nicht mehr belegt werden. Als die CDU plötzlich grün-linke SPD-Politik machte, verprellte sie ihre Klientel.

Eher ist Merkels ungewollter Beitrag zum Brexit strittig. Da schien die EU-Osterweiterung mit dem Millionen-Zuzug aus Osteuropa eine große Rolle zu spielen, und die Asylantenwelle kam dann noch obendrauf. Argumente dazu liefert der wissenbloggt-Artikel GB-Exit und EU-Exitus diskutiert. Der Fall scheint ähnlich gelagert zu sein wie bei der US-Wahl, wo der falsche Trumpf stach.

Eine schöne Darstellung liefert der Artikel Deutschland und die USA – Trumps Werk und Merkels Beitrag (Cicero 11.11.): Als Angela Merkel im September 2015 die Grenzen für die Flüchtlinge öffnete, legte sie damit einen Grundstein für den Erfolg Donald Trumps. Im Einwanderungsland USA stieß die deutsche Geste der Großzügigkeit auf Unverständnis und Spott.

Bei der Autorin Eva C. Schweitzer hat wahrscheinlich der Correctnesstrainer versagt. Sie traut sich jedenfalls Aussagen, die weder der deutschen noch der amerikanischen.Linken gefallen werden. Die progressive Bewegung kämpfte mit Unterstützung der linksliberalen Medien gegen alle Art von Uncorrectness und für trigger warnings – aber es war ihr egal, wie die Fabriken im Mittleren Westen geschlossen wurden, wie Kleinstädte verfielen und der Reallohn sank. Und die demokratische Parteielite verquickte sich mit der Wall Street, obwohl deren Raffgier (und kriminelle Energie, wb) bei der Bankenkrise Millionen von Amerikanern um ihr Häuschen brachte. Die Demokraten waren sogar stolz darauf, im Establishment angekommen zu sein.

Damit langt die Argumentation bei Angela Merkel an. Die merkelsche Grenzöffnung am 5.9.2015 wird von der Autorin als Schlüssel zur US-Wahl gesehen: Das war der Tag, an dem das Schicksal beschloss, dass Trump Präsident wird.

Aus Sicht von Schweitzer ging es darum, Deutschland mit seiner grenzenlosen Gastfreundschaft im Ausland beliebt zu machen. Möglicherweise habe das in Marokko und Tunesien funktioniert, sagt sie, aber nicht in England, Polen und den USA. Von den Redaktionen der linksliberalen Medien wie New York Times gab es denn auch Schulterklopfen, aber in den Kommentaren sah es von Anfang an anders aus. Man schüttelte über die naiven Deutschen den Kopf, wenn man nicht Schlimmeres vermutete, den Import von Arbeitssklaven, die gezielte Destabilisierung Europas mit dem Ziel der Machtübernahme. Und das waren die liberalen Kommentare. Bei den rechtsdrehenden wurde noch ganz anders vom Leder gezogen.

Und das war, bevor es anfing schiefzugehen. Ab dann produzierte Merkels Flüchtlingspolitik in den USA nur noch unschöne Schlagzeilen. Die Vorfälle von Köln erzeugten einigen Internet-Hype. Der Münchner Todesschütze wurde von CNN ausgiebig ausgeschlachtet. Das "traf einen Dauernerv", und dabei interessieren sich die Amerikaner eigentlich nicht für das Ausland.

Die deutsche Schönrederei interessierte in den USA erst recht niemanden. Da wurden Flüchtlinge, legale und geduldete Migranten "auseinanderfiletiert", Leute mit oder ohne deutschen Pass unterschieden und die Ausländer-Prozentzahlen in Relation zu gleichaltrigen Deutschen gesetzt. Was der moralischen Selbstbefriedigung der Willkommenskultur im Wege stand, wurde weggeredet.

Als dann die Bilder von brennenden Flüchtlingsheimen und fahnenschwenkenden Skinheads dazukamen, hatten die Linken in den USA genug: Die Flüchtlingsfreundlichkeit wäre nur Tünche, das Dritte Reich ginge weiter. Für die Rechten war das der Beweis, dass grenzenlose Einwanderung zu Bandenkriegen und Rassenkrawallen führt. Die Bilder der Flüchtlingstrecks lösten nur noch Panik aus. Beide Seiten hatten genug davon, es interessierte nur noch, wie man diesen Ärger von Amerika fernhalten kann.

Diese Chance ergriff Donald Trump. Ein Gutteil seines Wahlkampfs befasste sich damit, wie man Muslime draußen halten könnte – und Merkel wurde zur "toxischen Unperson". Dabei war sie in Amerika mal beliebt gewesen, vor allem unter Republikanern. Für Hillary Clinton war Merkel fortan nicht mehr existent, und Donald Trump erklärte öffentlich, sie zerstöre Deutschland.

Zurecht sieht die Autorin eine bittere Ironie darin, dass eine deutsche Geste der Großzügigkeit zur Wahl eines Präsidenten beitrug, der genau in die andere Richtung tendiert. Vielleicht war das der Grund, warum Angela Merkel von dieser Entwicklung kalt überrascht wurde?

Interessant sind die manchmal etwas rechtsdrehenden Kommentare am Ende von Schweitzers Artikel. Wenn die repräsentativ sind, ist die These der merkelschen Schuld an Trump weitgehend akzeptiert. Es ist schon etwas mehr dran als an einer gewöhnlichen Verschwörungstheorie – aber wie wär's mit dieser?

Demnach kam der Kanzlerin Trumps Sieg durchaus recht, und zwar aus Machterhaltungsgründen: Wäre Clinton Präsidentin geworden, hätte die Kapitalismuskritik hüben wie drüben ein besseres Ziel. Dann wäre zur Sprache gekommen, warum demokratische Politiker neoliberale Politik machen, und zu denen gehört Merkel ja meist auch. Aber der Polarisator Trump zieht das Augenmerk auf sich, so dass Merkel für ihre nächste Kanzerschaft planen kann.

Bahnt sich da eine neue bittere Ironie an, dass der neue US-Präsident die schwerbeschädigte deutsche Kanzlerin im Amt hält?