Thema Feierlichkeiten: Zwischenruf vom Bodensee

Am 20.11.2016 sandte Dennis Riehle vom Humanistischen Arbeitskreis Bodensee (HABO) diesen Artikel aus:

Totensonntage, Jugendweihe und Bierdeckel: Mut zu neuer Originalität!

Am Sonntag vor dem 1. Advent, am letzten Sonntag im Kirchenjahr, da begehen die Kirchen im Land den Totensonntag, den Ewigkeitssonntag. Geprägt vom geistlichen Gedenken an die Verstorbenen des vergangenen Jahres, schließen die christlichen Konfessionen damit vor ihrem "Neujahr" - um innerhalb von einer Woche aus tiefer Traurigkeit in die gespannte Erwartung auf die Ankunft von Jesus Christus in einem Monat überzugehen. Die Vorfreude denkt sich mit dem beginnenden Treiben auf den Weihnachtsmärkten und der heißen Phase für das Geschenkekaufen für den Heiligabend.

Eigentlich klingt das alles ziemlich religiös. Doch der Totensonntag ist mittlerweile weit mehr. Eine Woche nach dem Volkstrauertag wird es immer öfter auch bei uns ganz selbstverständlich, diesen Gedenktag zu verstaatlichen. Und nicht nur das: Selbst die säkulare Szene erkennt den Ewigkeitssonntag als eine Gelegenheit zur Erinnerung an die Toten. Viele humanistische Kreise bieten gar eigene Veranstaltungen an, um im weltlichen Rahmen von denjenigen Abschied zu nehmen, die innerhalb des letzten Jahres verstorben sind. Wie es heute Zeremonien zu Taufe, Konfirmation oder im Sterbefall auch für diejenigen gibt, die keiner religiösen Gemeinschaft angehören, so scheint die Tendenz deutlich zuzunehmen, die kirchlichen Rituale nachahmen zu müssen. Willkommensfeiern, Jugendweihe, Abschiedsfeiern - mehr als Wortneuschöpfungen verbirgt sich dahinter wohl kaum.

Doch ist das wirklich nötig? Und vor allem in dieser Art und Weise?
Müssen Humanisten am Totensonntag der Toten gedenken, weil es die Christen eben auch tun? Oder gerade trotz dieses kirchlichen Gedenktages? Fördert eine freidenkerische Bewegung damit nicht eher die Selbstverständlichkeit, wonach religiöse Feiertage auch für jene Bedeutung gewinnen, die eigentlich völlig fern von Konfessionen sind? Generell tut sich im Verhältnis zwischen Kirche und Staat immer wieder die Frage auf, ob von Seiten der säkularen Interessen ein oppositionelles Dasein oder aber ein Miteinander versucht werden muss. Erreicht man, den Konfessionen ihre scheinbare Omnipräsenz im Alltag der Menschen dadurch zu entreißen, ihre Praxis lediglich zu kopieren - oder mit ganz anderen Akzenten zu verdeutlichen, dass man auch ohne christliche Vorlage eine eigene Weltanschauung darstellen kann, die nicht die Grundlage der Kirchen bedarf, um selbstständig eine Philosophie zu erarbeiten?

Wir debattieren auch darüber, ob eine humanistische Überzeugung überhaupt eine Ritualhaftigkeit braucht, um sich zu etablieren. Doch definieren wir uns als soziale Wesen nicht gerade durch das Zusammenkommen in Gemeinschaft, durch das Praktizieren einer verlässlichen Tradition, durch das Teilen unserer Emotionen zu besonderen Anlässen, die eine Zäsur in unserem Leben markieren? Viele sagen, man könne auch gut alleine durch den Alltag gehen. Letztlich scheint diese Meinung in den vergangenen Jahren zuzunehmen, weshalb die Abwägung von immer größerer Bedeutung wird. Doch völlig egal, wie man sich hierbei entscheidet, würde sich eine eigene und unabhängige Kreativität der säkularen Bewegung für eine Kultur des Trauerns, des Gedenkens und des Feierns anbieten, statt den Ideen hinterher zu rennen, die die Kirchen überlegen für sich proklamieren. Humanistisches Selbstbewusstsein zeigt sich nicht dadurch, wie anspruchsvoll wir am Totensonntag unsere eigene Gedenkfeier auszurichten in der Lage sind. Viel eher durch eine Auseinandersetzung damit, wie Trauer abseits von kirchlicher Zeremonie und ihrer Bedeutung verstanden werden kann und schlussendlich auch autonom umsetzbar ist.

Manchmal fehlt es in säkularen Kreisen an Mut für bewusst eigenes Denken.
Kürzlich erst haben wir gelesen, wie ein humanistischer Landesverband auf eine Aktion der Kirchen Antworten gefunden hat, die eigenen Glaubenssätze auf einen Bierdeckel kurz zusammenzufassen. Heraus kamen dabei allgemeinverbindliche Aussagen, die wahrscheinlich jeder unterschreiben würde, der an Menschenrechte, Demokratie und Freiheit festzuhalten bereit wäre. Es fehlte an Konsistenz der aufgeschriebenen Schlagworte, weil auch hier auf die Religion lediglich re-agiert wurde.

Daher eignet sich nicht nur der diesjährige Ewigkeitssonntag für einen Appell an alle, die nicht nur ein Abbild von einer hiesigen Religion sein wollen: Hetzen wir nicht den Kirchen und ihren Visionen hinterher, nehmen wir uns Zeit, gemeinsam über stichhaltige und authentisch bleibende Eigenkreationen nachzudenken, statt wie Getriebene zu erscheinen. Wir haben es nicht nötig, in unseren Überzeugungen, unseren Werten und unseren Riten nur Duplikate zu sein. Wir haben das Zeug zu einem ehrlichen Original!