Photo: Brian J. Matis (edited), CC BY-NC-SA 2.0
Sicherheitspolitik
ist mehr als Organisation und Verwaltung militärischer Effizienz nach
außen und Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen. Eine
wirksame Abwehr äußerer Bedrohungen setzt Stabilitätssicherung des
gesellschaftlichen Verbunds und zwischenmenschliche Solidarität voraus.
Die innere und äußere Krisenreaktionsfähigkeit beruht auf funktionierenden politischen und zivilen Komponenten.
Hierzu muss die „von Ernsthaftigkeit und Verantwortung entwöhnte Politik“
(Volker Zastrow) zurückgewonnen werden für die Schaffung eines
politischen, geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Grundvertrauens
zwischen den auf Zeit Regierenden und den Regierten.
Hingegen bedrängen die Gefühlskultur eines vorgeblichen Humanitarismus,
der die unbedingte Liebe zum Fremden an sich zum alleinigen Maßstab
politischen Handelns erhebt (Arnold Gehlen), die angebliche
Alternativlosigkeit getroffener Entscheidungen und die wider jede
Realität propagierte globale Friedfertigkeit die Politik des Machbaren.
Sie überfordern die Vernunft.
Allein die Thematisierung dieser
Fragen löst vielfache Entrüstungsreflexe aus, entschärft damit aber
nicht den sozialen Sprengstoff innerhalb der Gesellschaft.
Während
Sicherheit immer mehr zum Fetisch wird, bedrohen Ghettobildung in den
Großstädten, absehbare Verteilungskämpfe zwischen einwandernder Armut
und sesshafter Ärmlichkeit, schwindende zwischenmenschliche Solidarität,
politische Verharmlosung religiöser Schonräume, und die Infragestellung
des staatlichen Gewaltmonopols den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Infolge
ungerechter Güterverteilung können mit Hilfe der Religion als
Unterfütterer bestehender Konfliktlagen auch innerhalb von Demokratien
Bürgerkriege entstehen.
Und wenn der herrschende Zeitgeist
Querdenker ausgrenzt, moralisch stigmatisiert und deren physische
Existenz bedroht, verkümmern intellektueller und praktischer Bürgermut. Political correctness als Ersatzreligion führt durch beständige politisch-mediale Tabuisierung zur geistigen Selbstzensur.
Als
Konsequenz des Eindrucks, dass die Stimme der Mehrheit für Politiker
und Medien belanglos sei, steigt eine diffuse Aggressivität, gespeist
aus der Verzweiflung über das Schwinden der öffentlichen Ordnung und der
damit einher gehenden Entsicherung des eigenen Lebensgefühls. Umso
mehr hätten Parteien ihre Rolle bei der politischen Willensbildung des
Volkes als Organisatoren und Kollektoren wahrzunehmen – und nicht als
Zensoren und Tabuisierer existenzieller Probleme.
Im Rahmen ihres
postdemokratischen Verfalls gibt jedoch die politische Kommunikation die
Themen vor, über die noch gesprochen werden darf, während andere Themen
der Schweigespirale (Elisabeth Noelle-Neumann) unterliegen, da die Medien die veröffentlichte Meinung als öffentliche Meinung ausgeben.
Damit
präsentieren sie dem Einzelnen eine vorgegebene Meinung als angebliche
Mehrheitsmeinung, und setzen ihn unter Druck, sich nicht andersartig zu
äußern.
Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch, der den Begriff Postdemokratie geprägt hat, definiert diese als „…
ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […],
in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die
öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass
sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe
von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.“ (Colin Crouch: Postdemokratie, Bonn 2008, S. 10.).
Postdemokratie
bedeutet daher nicht die Abwesenheit von Demokratie, da die
Institutionen weiter bestehen und Wahlen abgehalten werden, die zu
legitimen Regierungsbildungen führen.
Postdemokratie bezeichnet
vielmehr ein politisches System, in dem das grundlegende demokratische
Prinzip der Willensbildung von unten nach oben durch politische Parteien
und Medien umgedreht wird – während das politische System, nach Crouch,
vom wirtschaftlichen System gekapert wird.
Diesen
Zustand gilt es wieder umzudrehen. Die Mitglieder einer Gesellschaft
sind nicht bloße Mehrheitsbeschaffer für die Parteien. Vielmehr sollten
diese die Auffassungen der jeweiligen Klientel verlässlich in den
politischen Willensbildungsprozess integrieren, um damit politische
Macht auf Zeit zu erlangen.
Auch bei den Medien-Multiplikatoren sollte Gesinnung nicht die Verantwortung drangsalieren.
Die Wagenburgmentalität der political correctness
ist zu Gunsten eines Demokratiebegriffs aufzubrechen, der offene
Diskussion statt Stigmatisierung durch moralinsaure Kampfbegriffe und
selbständiges Denken statt moralischer Diffamierung von Andersdenkenden
erzwingt.
Politische Visionäre müssen daher die Gegenwart als
Maßstab vermitteln, das heutige Menschentum einschließlich seiner Angst
vor der Angst des Mitmenschen, anstatt Prophetien des Vergangenen oder
Künftigen zu betreiben.
Die Vergangenheit ist vorbei. Die Weichen
gesellschaftlicher Zukunft können in der Gegenwart gestellt werden: im
Sinne Karl Poppers soll sich die ‚Offene Gesellschaft‘ pluralistisch in einem fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen evolutionär fortentwickeln.
Das
kann nur gelingen, wenn über existentielle Bedrohungen des Gemeinwesens
abseits von postdemokratischer Kommunikation und Schweigespirale ein
freier und ergebnisoffener Diskurs zur Lösungsfindung geführt wird.