Die FDP hat in Sachen Kirche und Staat ein ambivalentes Verhältnis
in Baden-Württemberg. Nicht zuletzt bei der vergangenen Landtagswahl waren
es Kandidaten der Liberalen, die sich im Vorfeld bei den klassischen "Wahlprüfsteinen"
trotz einer Programmatik für Humanismus für eine große Nähe
zwischen Klerus und Politik ausgesprochen hatten - und dabei nicht selten
allergisch auf Nachfragen reagierten, wie es denn mit einem freiheitlichen Grundrechtsverständnis
vereinbar sei, den Säkularismus nur auf dem Papier zu leben, im eigenen
Interesse aber durchaus die Verbundenheit mit den Glaubensgemeinschaften zu
suchen. Immerhin scheint es innerhalb der Partei doch ganz erhebliche Unterschiede
in der Auffassung darüber zu geben, wie eng man mit weltanschaulichen Gruppierungen
zusammenarbeiten soll, wenn man sich doch gleichzeitig für größtmögliche
Unabhängigkeit des Einzelnen einsetzen möchte.
Dass manch
ein Parlamentarier aber offenkundig besonders große Sorgen um die Kirchen
hat, zeigt eine aktuelle "Kleine Anfrage" des Landtagsabgeordneten
Dr. Friedrich Bullinger der baden-württembergischen FDP/DVP-Fraktion (Freie
Demokraten / Demokratische Volkspartei). In Drucksache 16/1663 bittet er die
Landesregierung um Auskunft darüber, "ob bis zum Jahr 2024 in der
Evangelischen Landeskirche in Württemberg weitere 220 Pfarrstellen gestrichen
werden sollen". Auch wollte der Abgeordnete vom zuständigen Kultusministerium
wissen, welche Gründe es "neben der Herausforderung des demografischen
Wandels" denn "für diese Reduzierung" gebe. Und besonders
pikant: Ihn interessiere auch die Meinung der Landesregierung, bittet er doch
um Beurteilung, wie man in Stuttgart "die Ausdünnung der Versorgung
mit Seelsorgern und Religionslehrern" einschätzt. Der Staat soll sich
in die Aufgaben, in die höchsteigenen Verantwortlichkeiten der Kirchen
einmischen, die in Deutschland ohnehin so schwach erkennbare Grenze zwischen
Staat und den Glaubensgemeinschaft überschreiten - nur, weil ein Landtagsabgeordneter
seine offenkundige Barmherzigkeit mit der vertrackten Lage der Kirchen nicht
zurückhalten kann? Man fragt sich, ob Dr. Bullinger mit seiner Anfrage
entweder eine gewisse Naivität offenbart hat - oder aber einen wesentlichen
Grundsatz unserer Verfassung nicht verstehen will, nämlich den aus Art.
140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV, wonach eben "keine Staatskirche"
besteht.
In seiner Begründung sorgt sich der Abgeordnete insbesondere
um den Rückgang der Zahlen an Religionslehrern - und bezieht sich damit
wohl auf Art. 7 Abs. 1 GG, der die Verantwortung für das gesamte Schulwesen
beim Staat sieht. So warnt der Parlamentarier vor Unterrichtsausfall, wenn die
Zahl der Theologen und wohl auch der Religionspädagogen vor allem im Ländlichen
Raum Württembergs in den kommenden Jahren sinken dürfte. Man fragt
sich, woher das strenge Bemühen von Dr. Bullinger rührt, ist der Religionsunterricht
doch zumindest eine "res mixta", eine "gemeinsame Angelegenheit"
- und damit nicht in der alleinigen Verantwortung des Staates. Warum soll sich
der Staat entsprechend um ein hausgemachtes Problem der Kirchen kümmern?
Tut er nicht schon mehr als genug für eine Institution, welche sich nur
allzu oft auf die Unterstützung der öffentlichen Hand verlässt?
Dass es sowohl ein Problem mit dem Nachwuchs bei den Pfarrern, aber auch bei
den Religionslehrern gibt, das ist nicht wirklich neu - und auch in der evangelischen
Kirche keinesfalls eine Seltenheit. Während im Vergleich zur katholischen
Seite nicht das Zölibat eine wesentliche Rolle spielt, ist es bei den Protestanten
ein langwieriges Studium, ein komplizierter Einstieg in den Beruf, mindestens
gleichgroße Gemeinden mit einem immer höheren Arbeitsaufwand, die
allgemeine Glaubensskepsis, die sich nicht selten in der Ausbildung noch weiter
verschärft, und die häufig überaus konservative Ausrichtung,
die gerade in Württemberg zu erheblichen Verwerfungen innerhalb der Landeskirche
selbst führt.
Das Ministerium hat erkannt, dass der Abgeordnete
mit seinem Eifer die Grenzen zwischen den Kompetenzen überschritten hat.
Zu wesentlichen Inhalten antwortete man lapidar unter anderem wie folgt: "Die
Fragen betreffen Angelegenheiten, die die Kirche in eigener Zuständigkeit
regelt". Gleichsam scheint Dr. Bullinger die Ursachen für das
schwindende Personal und den damit einhergehenden Verlust der seelsorgerlichen
Betreuung der württembergischen evangelischen Christenheit auch in der
finanziellen Situation zu sehen, erkundigt er sich für ganz Baden-Württemberg
auch nach den Kirchensteuereinnahmen und deren Entwicklung, die offenbar nicht
Grund für weniger Mitarbeiter sein können: Blickt man nämlich
allein auf die angesprochene Landeskirche, so hat sie nach Auskunft des Ministeriums
zwischen 2012 und 2016 insgesamt 100 Millionen Euro mehr eingenommen. Jedweder
Versuch, auch nur irgendeine staatliche Möglichkeit zu finden, das inhaltlich
und personelle Verdörren der Kirchen durch eine helfende Hand des Staates
aufzuhalten, scheitert mit der Anfrage, die nicht nur jeden Staatsrechtler verblüffen
müsste, sondern auch Ausdruck dessen ist, dass nicht hinter jeder Partei
das steckt, was auf ihrem Aushängeschild präsentiert wird...